Zwischen Freundschaft und Feindschaft: Tschechiens Beziehungen zu Russland seit 1989

Tschechiens Beziehung zu Russland

Tschechien und die USA waren im Mai 2021 die ersten beiden Staaten, die von Russland auf seine „Liste feindlicher Länder“ gesetzt wurden. Warum war gerade die Tschechische Republik Wladimir Putin ein Dorn im Auge? Wie haben sich die tschechisch-russischen Beziehungen nach 1989 entwickelt? Und inwiefern wird die Debatte heute immer noch von der Nachkriegszeit bestimmt – also von jener Epoche, in der die Tschechoslowakei Teil des Ostblocks war und in der es 1968 zur Invasion der Truppen des Warschauer Paktes kam? Diese Fragen stellt sich Filip Rambousek in der zweiten Folge des Podcasts „Sechsmal Tschechien“, der in Kooperation mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung entsteht.

„Sechsmal Tschechien“ – ein Podcast, sechs Folgen, sechs Themen

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Im sechsten Prager Stadtbezirk stand bis vor kurzem eine Statue für den sowjetischen Marschall Konew. Bis 2020, um genau zu sein. Dann wurde das Monument entfernt. Heute ist kaum noch zu erkennen, wo genau das Denkmal einst stand, es ist einfach spurlos verschwunden. Der Historiker Karel Svoboda ist Experte für jüngere russische Geschichte:

General Konew | Foto: Tschechisches Fernsehen

„Die Statue wurde ursprünglich 1980 hier platziert. Sie sollte ein Denkmal dafür sein, wie die sowjetischen Truppen die Tschechoslowakei – oder konkreter Prag – befreit haben. Man erzählte sich, dass das Monument gerade an diesem Ort errichtet wurde, um jenen Genossen eine Freude zu machen, die hier entlang zum Hotel International fuhren. Dieses Hotel wurde in den 1950er Jahren zu Ehren Stalins erbaut. An der Statue war aus künstlerischer Sicht rein gar nichts Besonderes – das sagen zumindest die Kunsthistoriker. Auch historisch hatte sie eigentlich kaum Bedeutung.“

Das Entstehungsjahr 1980 lässt aufhorchen. Die Statue wurde nicht etwa 1945 oder 1947 errichtet, sondern erst während der Zeit der Normalisierung. Das Monument hat somit eine andere Bedeutung, als wenn es kurz nach dem Krieg hier platziert worden wäre. Svoboda fährt fort:

„Die russische Geschichtsschreibung versucht, die Statue als ein Denkmal darzustellen, das die dankbaren Prager zu Ehren des Marschalls und Befreiers Konew errichteten. In Wirklichkeit entstand das Bildnis aber eben viel später. Unter Stalin wäre diese Statue undenkbar gewesen, denn der hatte seinen eigenen Personenkult. Auch als Chruschtschow an der Macht war, hatte die Sowjetunion ganz andere Prioritäten. Erst zur Zeit des späten Breschnewismus entstand wieder ein Kult für den Zweiten Weltkrieg – oder besser gesagt, den Großen Vaterländischen Krieg.“

Michael Romancov | Foto: Jana Přinosilová,  Tschechischer Rundfunk

Derartige Gedenkstätten seien aus politischen Gründen und als Machtsymbol erbaut worden, sagt Michael Romancov, der sich mit politischer Geographie beschäftigt. Das sei im Übrigen schon zur Zeit des Russischen Kaiserreichs so gewesen:

„In allen Regionen, die das russische Imperium eroberte, wurde stets eine orthodoxe Kirche errichtet. Dadurch sollte die Zugehörigkeit des Ortes zur russischen Einflusssphäre gestärkt werden. Nach 1945 wurden dann keine Kathedralen mehr errichtet, sondern eben monumentale Denkmäler, die vor allem Stalin gewidmet waren. Als kleine Randbemerkung sei erwähnt, dass die Tschechoslowakei eines der wenigen Länder des Ostblocks war, in dem nichts nach Stalin benannt war. In Ungarn, Polen oder der DDR war das anders, dort erhielten ganze Städte entsprechende Namen. Hierzulande gab es damals lediglich die Stadt Gottwaldov, die nach dem ersten kommunistischen Präsidenten der Tschechoslowakei benannt war. Aber es entstanden eben viele Denkmäler. Das Konew-Denkmal sollte vor allem die Zugehörigkeit Prags und der Tschechoslowakei zum sowjetischen Block zum Ausdruck bringen.“

Dennoch wurde die Statue nicht sofort nach der Samtenen Revolution gestürzt. Die Rufe, sie zu entfernen, wurden erst ab 2015 lauter, also kurz nachdem Russlands Aggression im Osten der Ukraine begann. Ein Teil der tschechischen Öffentlichkeit und der Politik habe damals die Notwendigkeit gesehen, ein Zeichen gegen den Konflikt zu setzen, sagt Karel Svoboda:

Konew-Statue | Foto: Michaela Danelová,  Tschechischer Rundfunk

„Man wollte auf Russlands aggressive Politik in den postsowjetischen Ländern reagieren. Nach 2014 wuchs der Druck der tschechischen Öffentlichkeit, Sowjet-Denkmäler und andere Dinge, die an unsere einstige Zugehörigkeit zum sozialistischen Block erinnerten, aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. Das führte zu einigen Debatten, gerade auch bei konservativen kommunistischen Politikern; es wurden sogar einige kleinere Demonstrationen organisiert. Im Großen und Ganzen denke ich aber, dass die tschechische Öffentlichkeit die Entfernung der Denkmäler, die mit der Sowjetunion in Verbindung standen, in der Mehrheit eher unterstützt hat.“

Dies unterstreicht auch der Fakt, dass Konew vor Kurzem nicht nur um sein Denkmal, sondern auch um eine nach ihm benannte Straße im dritten Prager Stadtbezirk gebracht wurde. Der Platz vor der russischen Botschaft wiederum wurde 2020 in Boris-Nemzow-Platz umbenannt. Im angrenzenden Park Stromovka entstand zur gleichen Zeit eine Promenade, die den Namen der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja erhielt. Als Reaktion auf den Angriffskrieg in der Ukraine wurde zudem die Straße vor der russischen Botschaft in „Straße der Ukrainischen Helden“ umbenannt.

Rosaroter Panzer

Vielleicht war es auch die Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968, die später dazu führte, dass sich die Tschechoslowakei in den 1990er Jahren schnellstmöglich von den Machtstrukturen des ehemaligen Ostblocks lossagen wollte. Symbolisch brachte dies auch der Bildhauer David Černý zum Ausdruck. 1991 bemalte er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einen sowjetischen Panzer mit rosaroter Farbe. Das militärische Gerät diente eigentlich als Denkmal für die Befreiung Prags durch die Rote Armee. Die Aktion führte zum offiziellen Protest der sowjetischen Regierung. Wie Michael Romancov zudem betont, war die Tschechoslowakei der erste Staat, der den Abzug sowjetischer Truppen von seinem Gebiet durchsetzen konnte. Insgesamt handelte es sich um 70.000 Soldaten. Weiter der Geograph Romancov:

Rosaroter Panzer im April 1991 | Foto: Tschechisches Fernsehen,  ČT24

„Die Armee der Sowjetunion verließ die Tschechoslowakei 1991, noch bevor es im August desselben Jahres in Moskau einen Putschversuch gegen Gorbatschow gab. In dieser Zeit kam es zu mindestens zwei weiteren bedeutenden Ereignissen, an denen die Tschechoslowakei bedeutenden Anteil hatte. Zum einen war das die Auflösung des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe, zum anderen das Ende des Warschauer Paktes. Der Vertrag über die Auflösung dieses Militärbündnisses wurde in Prag im Palais Czernin unterzeichnet.“

Da Russland in den 1990er Jahren zahlreiche innenpolitische Probleme hatte, sei es für die Tschechoslowakei – und nach der Staatsteilung 1993 für die Tschechische Republik – leichter gewesen, ihren eigenen außenpolitischen Weg einzuschlagen, sagt Karel Svoboda:

„Die tschechische Außenpolitik zeichnete sich vor allem durch die Bemühungen aus, wieder ein Teil Europas zu werden. Der Weg ging eindeutig in Richtung Europäische Union. Russland sah man als einen chaotischen Koloss irgendwo im Osten an, den man nicht sonderlich im Blick haben muss.“

Václav Havel | Foto: Tomáš Adamec,  Tschechischer Rundfunk

Der Frontmann der damaligen prowestlichen Ausrichtung Tschechiens war Staatspräsident Václav Havel. Michael Romancov meint:

„Havel war eindeutig proeuropäisch und proatlantisch. Er war nie antirussisch, hat aber stets vor Russland gewarnt und betont, dass es wichtig ist, vor dem Land auf der Hut zu sein.“

Veränderte Dynamik

Die symbolische Rückkehr nach Europa bestätigte Tschechien offiziell 1999 durch den Nato-Beitritt und 2004 durch den Eintritt in die EU. Staatsoberhaupt war damals immer noch Václav Havel. Die Eingliederung Tschechiens in westliche Strukturen sah er auch als Schutzmaßnahme vor einer eventuellen Gefährdung durch Russland. Zur gleichen Zeit begann sich aber die Dynamik zwischen Russland und Mitteleuropa zu verändern, wie Romancov betont:

„In diesem Moment wurden wir für die Russen wieder interessant. Für sie war es nicht gerade eine Freude, zu sehen, wie Tschechien, Polen, Ungarn und weitere Länder sozusagen die Seite wechseln. So nahm das Russland damals war. In der gleichen Zeit wurde Václav Klaus Tschechiens Staatspräsident. Das ist für mich ein Schlüsselmoment. Klaus war im Westen nämlich nicht so angesehen wie zuvor Václav Havel. Das war in den Vereinigten Staaten genauso wie in Großbritannien, Frankreich oder Deutschland. Meiner Meinung nach hat sich Klaus bewusst und programmatisch Russland zugewandt.“

Václav Klaus | Foto: René Volfík,  Tschechischer Rundfunk

Klaus‘ Zuneigung zu Russland zeigte sich etwa darin, dass er Wladimir Putin bei dessen Prag-Besuch 2006 anbot, die Verhandlungen auf Russisch zu führen. Dazu Romancov:

„Putin quittierte das damals mit den Worten, er fühle sich geehrt. In Wirklichkeit muss ihm aber klargewesen sein, dass wir uns ihm damit unterwerfen. Denn weder Klaus noch sein Nachfolger Zeman, der diese Marotte später übernahm, sprach Russisch auf so einem Niveau, dass sie mit einem Muttersprachler eine gehobene Konversation führen konnten.“

Einige Jahre später, 2009, kam es zum Treffen zwischen dem damaligen tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg und seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow. Laut Romancov zeigt diese Begegnung besonders gut das Denken, mit dem Russland auf Mitteleuropa blickt…

„Karel Schwarzenberg sprach an, wie wir in Mitteleuropa die Situation in Osteuropa sehen. Lawrow unterbrach ihn und meinte, dass Tschechien kein mitteleuropäisches, sondern ein osteuropäisches Land sei. Schwarzenberg widersetzte sich dem, woraufhin Lawrow sagte, er hätte seine Aussage nicht konfrontativ gemeint. Er hätte Tschechien nur deshalb als Osteuropa bezeichnet, da das Land bei den Vereinten Nationen zur Gruppe der osteuropäischen Länder gehöre. Das mag objektiv gesehen zwar stimmen, die Russen haben damit aber eindeutig klargemacht, wo sie uns gern sehen würden. Klaus und Zeman haben dann leider alles unternommen, damit dieser Wunsch Moskaus in Erfüllung zu gehen schien.“

Wie steht die tschechische Gesellschaft zu der russischen Invasion in die Ukraine? Und wieso kam es in den letzten Monaten zu mehreren regierungskritischen Demonstrationen, bei denen antiukrainische Parolen laut wurden? Diese Fragen werden in der Langversion von „Tschechien und Russland: Entwicklung der Beziehungen seit 1989" diskutiert. Diese ist ab sofort auf unserer Webseite und in allen gängigen Podcast-Apps verfügbar. In der nächsten Folge wird es um die Rechte von LGBTQ+ Menschen in Tschechien gehen und auch um die Rolle der katholischen Kirche in der öffentlichen Debatte zu diesem Thema.

Autor: Filip Rambousek
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