Zwischen Hoffen und Bangen: Franzosen in Tschechien vor der Stichwahl

Macron-Komitee in Prag (Foto: Stefan Welzel)

Rund 2500 Franzosen leben zwischen Aš / Asch und Zlín. Auch sie sind am Sonntag dazu aufgerufen, ihr Staatsoberhaupt zu wählen. Hierzulande sehr beliebt ist der 39-jährige Zentrist Emmanuel Macron. Viele „Expatriés“ wollen ihn gegen die rechtspopulistische Marine Le Pen unterstützen. Deren Anhänger haben es im Ausland etwas schwerer.

Emmanuel Macron  (Foto: ČTK)
Es ist ein Hauch Frankreich, der durch das Café 35 weht. Im Restaurant des Prager „Institut Français“ lesen die Gäste französische Tageszeitungen und diskutieren bei Espresso und Croissant die Präsidentschaftswahlen. Vor zwei Wochen haben der liberale Senkrechtstarter Emmanuel Macron und die rechtspopulistische Marine Le Pen in der ersten Runde die meisten Stimmen erhalten. Von den 2500 in Tschechien lebenden Franzosen legten 1400 ihr Votum ab. Dabei kam Macron auf 40 Prozent, Le Pen lediglich auf 5,7 Prozent. Nun geht es am Sonntag in das finale Duell.

Unternehmer Pierre D. lebt seit 1991 in Prag. Auch er hat Macron gewählt, obwohl er sich zunächst nicht entscheiden konnte:

„Ich habe lange gezögert. Es war eine sehr spezielle, noch nie dagewesene Ausgangslage mit so vielen aussichtsreichen Kandidaten. Letztlich bin ich froh, Macron gewählt zu haben. Was für mich nicht in Frage kam, war ein Kandidat der traditionellen Parteien.“

Mit Bauchschmerzen zur Wahlurne

Mona Eid  (Foto: Stefan Welzel)
Gar nicht zufrieden mit dem Ergebnis ist die junge Barkeeperin Mona Eid aus Marseille. Die 22-Jährige legt eine Studienpause ein und lebt seit vergangenem Herbst in der tschechischen Hauptstadt. Wie so viele in ihrem Alter hat sie den Linksaußen-Kandidaten Jean-Luc Melanchon gewählt. Nun tut sich Mona Eid schwer mit dem Gang zur Stichwahl.

„Ich werde wählen gehen, auch wenn es ein Dilemma für mich ist. Da bieten sich für links Wählende wie mich keine guten Alternativen. Es bereitet mir etwas Bauchschmerzen, aber ich werde Macron wählen gehen. Meine Prokuration habe ich bereits meiner Mutter zu Hause in Frankreich erteilt.“

Prokuration, das ist ein spezielles Verfahren im französischen System. Wer am Wahltag nicht selbst zur Urne gehen kann, darf seine Stimme einer Vertrauensperson überschreiben. Man muss davor lediglich das zuständige Amt informieren, für Auslandsfranzosen ist das die jeweilige Botschaft. Eine Unterschrift genügt. Marie-José Růžičková erklärt das Wahlprozedere für die „Expatriés“. Die Rentnerin lebt seit 34 Jahren in Prag, elf davon war sie beim Konsulatsbüro angestellt.

Marie-José Růžičková  (Foto: Stefan Welzel)
„Alle Franzosen, die wählen möchten, mussten sich bis zum Ende des Jahres 2016 in die Wählerlisten eingetragen haben. In Tschechien ist es einzig die Prager Botschaft, die den Urnengang organisiert. Mit der Prokuration besteht die Möglichkeit, seine Stimme einer Person zu überschreiben. Jeder Bürger kann drei solche Stellvertreter-Stimmen annehmen und für die Person wählen gehen, die ihm das Vertrauen schenkt.“

Bedingung für eine erfolgreiche Prokuration ist, dass die Vertrauensperson im gleichen Wählerverzeichnis steht. Auch in Tschechien gibt es viele Franzosen, die ihre Stimme übertragen haben. Nicht zuletzt solche, die weit weg von Prag wohnen. Dennoch standen bei der ersten Runde am 23. April viele bis zu zweieinhalb Stunden in der Schlange, um in der Botschaft ihrer Bürgerpflicht nachzukommen. Manch einer hat dabei seinen Zug nach Hause in die tschechischen Regionen verpasst.

Das Macron-Komitee trifft sich

Macron-Komitee in Prag  (Foto: Stefan Welzel)
Dass zumindest gleich viele Franzosen wie vor zwei Wochen auch am Sonntag abstimmen gehen, hofft Stéphane Reznikow. Der Geschichtslehrer am Prager französischen Gymnasium ist ein Macron-Anhänger der ersten Stunde. Nur wenig fürchtet der 51-Jährige mehr als eine große Wahlabstinenz oder Bürger, die ihren Stimmzettel leer in die Urne werfen. Reznikow lebt und arbeitet seit 26 Jahren in der tschechischen Hauptstadt. Und fast genauso lange wartet er auf einen Kandidaten, dessen Programm sich mit seinen eigenen politischen Überzeugungen deckt. Mit Macron hat er ihn gefunden. Im September 2016 ist er in den Wahlkampf eingestiegen.

Das Macron-Komitee in Prag zählt mittlerweile über 40 Mitglieder. Reznikow sitzt zusammen mit Gleichgesinnten in einer Prager Pizzeria und berät das weitere Vorgehen. Vor der Annahme, die Kampagne des Pro-Europäers Macron sei bei im EU-Ausland lebenden Franzosen ein Selbstläufer, warnt Reznikow:

Stéphane Reznikow  (Foto: Stefan Welzel)
„Bei der Stichwahl besteht immer die Gefahr einer hohen Wahlabstinenz. Und auch wenn Macrons Programm bei Auslandsfranzosen so etwas wie ein Heimspiel ist, darf man den Kontrahenten nie unterschätzen. So simpel es klingt: Jede Stimme zählt. Wir wollen auch diejenigen Franzosen mit an Bord holen, die sich ausgeschlossen und abgehängt fühlen. Wir wollen zeigen, dass politische Lösungen nicht in populistischen Parolen und Programmen zu finden sind. Auslandsfranzosen haben ihren Landsleuten zu Hause viel zu sagen. Gerade was die Abkehr von stereotypem Denken bezüglich Frankreich, der Globalisierung und der Europäischen Union angeht.“

Macron wird in Frankreich oft mit Martin Schulz verglichen. Reznikow sieht Macron und seine Partei „En Marche“ nicht weit weg von den Positionen der deutschen Sozialdemokraten.

Marine Le Pen  (Foto: ČTK)
„Die französischen Sozialisten hatten kein ‚Bad Godesberg‘, wo die SPD in den 1950er Jahren ihr Bekenntnis zur Marktwirtschaft gab. Macron ist nun dabei, die Linke mit den Grundsätzen des Liberalismus zu verknüpfen. Ich meine aber, dass ,En Marche‘ mehr Berührungspunkte mit der deutschen SPD und ihrem Pragmatismus hat als Macron mit der Person Martin Schulz.“

Le-Pen-Anhänger in der Minderheit

Die Meinungsumfragen sahen Macron zuletzt bei rund 60 Prozent und damit klar vor Le Pen. Doch diese hat gerade vor einigen Tagen ihre bislang so harte Anti-EU und -Euro-Haltung aufgeweicht. Ihre Hinwendung zur politischen Mitte lässt die starke Frau des Front National bei den Umfragen aufholen. Und obwohl die meisten Experten dennoch davon ausgehen, dass der nächste Präsident der „Grande Nation“ Macron heißt, haben die Le-Pen-Anhänger längst nicht aufgegeben. Einer davon ist Jean-Pierre Hottinger. Der Geschäftsmann aus Mülhausen im Elsass lebt wie sein „Kontrahent“ Reznikow seit 26 Jahren in Prag. Hottinger ist der offizielle Vertreter des Front National in Tschechien. Gleichzeitig bewirbt er sich für einen von elf Abgeordnetensitzen im Parlament, die für Auslandsfranzosen vergeben werden. In Prag hält er ganz alleine die Fahne der rechten Kandidatin hoch. Wie will er den vielen europafreundlichen Franzosen in Tschechien das Programm einer Anti-EU-Partei vermitteln? Der 58-Jährige zögert etwas und räumt zunächst die Außenseiterrolle ein:

Café 35 im Institut Francais  (Foto: Stefan Welzel)
„Ich rechne nicht damit, dass wir hier in Prag ein außergewöhnliches Ergebnis holen werden. Es ist in der Tat so, dass die Franzosen, die hier leben, ein Sonderfall sind. Sie sind wohlhabender und weltoffener, reisen mehr als der durchschnittliche Bürger in Frankreich. Sie sehen die Dinge anders als die Franzosen in Frankreich. Doch führe ich in erster Linie einen Wahlkampf für Frankreich und die Franzosen. Ich muss und will den Wählern klar machen, dass bei einer Wahl Le Pens in Frankreich nicht einfach die Grenzen dichtgemacht werden. Wir wollen einfach bessere Kontrollen darüber, wer rein- und wer rauskommt.“

Genau dieser Protektionismus ist es, den viele Auslandsfranzosen für gefährlich halten. Sind es doch vor allem sie, die von Schengen und dem freien Personenverkehr profitieren. Für Marie-José Růžičková wäre ein Sieg Marine Le Pens jedenfalls eine Katastrophe.

„Auch wenn Macron nicht mein persönlicher Favorit war, werde ich ihn trotzdem wählen. Man muss auf jeden Fall Le Pen als Präsidentin verhindern. Die Zukunft von Frankreich steht auf dem Spiel.“