Zwischen Orchestrion und Polyphon - Prager Wunderkammer der mechanischen Musikautomaten
"Co Čech, to muzikant" - jeder Böhme ist ein Musikant. So will es jedenfalls ein bekanntes Sprichwort. Für alle die aber, die die Musik nicht im kleinen Finger hatten, die nicht selbst spielen konnten oder wollten, gab es auch schon lange vor den Zeiten von CD und mp3-Player einen Ausweg... Die Wunderwelt der mechanischen Musikautomaten kann man in Prag in einem kleinen Privatmuseum bestaunen.
Prag, der Hradschiner Platz. Unweit vom Haupttor der Burg erhebt sich der Erzbischöfliche Palast mit seinen Nebengebäuden. Ein schmaler Torweg führt zu einem schummrigen Gewölbe voller sonderlicher Apparaturen. Hier beginnt das Reich von David Thoma:
"Wir sind hier im Museum der mechanischen Musikautomaten. Alle Geräte funktionieren, und wir führen sie den Besuchern auch gerne vor. Die Sammlung habe ich in mehr als zehn Jahren zusammengetragen. Die Idee zum Museum entstand, weil wir einen geeigneten Aufbewahrungsort für die mehr als 150 Geräte gesucht haben. Da lag ein Museum auf der Hand: die Geräte brauchen eine entsprechende Atmosphäre, und wenn sie in Gang gehalten werden und spielen, dann leben sie auch. Deshalb das Museum."
Vier Räume sind dicht an dicht gefüllt: Polyphone, Orchestrien, selbst spielende Klaviere, Flaschinette - allein die Namen klingen wie magische Formeln! Und natürlich Spieluhren jeder Art und Form. Sie wurden vor allem in der Schweiz hergestellt, aber auch in Böhmen gab es im 19. Jahrhundert eine lebendige Industrie:
"Die älteste böhmische Spieldose stammt aus der Werkstatt von Frantisek Hrebicek. Sein Sohn Gustav hat seine Arbeit später fortgesetzt. Das Spielwerk nutzt die Resonanz der Holzplatte oder des Kastens, auf den es montiert ist."
Spieluhren wurden praktisch überall eingebaut, das belegt die Sammlung von David Thoma: in Schmuckkästchen und Zigarrendosen, in Uhren, Zierkacheln und Heiligenbilder. Sogar Weihnachtsbaumständer gibt es zu sehen, bei denen die ablaufende Uhr zugleich den Baum drehte. Und schließlich die einfachen Umhänge-Spieldosen für Kinder - der Walkman des 19. Jahrhunderts.
"Sehr beliebt waren Weihnachtslieder oder vaterländische Kompositionen. Modern waren die tschechische Hymne oder ´Hey Slovane´ - Auf, ihr Slawen! Den Radetzkymarsch gibt es auch sehr oft. Interessant ist: als Radetzky in Ungnade gefallen war, gab es einen Erlass, dass man seine Spieldose zum Uhrmacher tragen musste, damit er die entsprechenden Stifte auf der Walze herauszieht und so die Melodie entfernt. Solche Sachen gab es also auch schon vor dem Kommunismus! Typisch ist allerdings auch, das das natürlich niemand gemacht hat, und so hat diese Spieldose bis heute überlebt."
Den kleinen Spieluhren mit ihren zarten Stimmen steht in dem Halbdunkel der Barockgewölbe ein schrankgroßes Ungetüm gegenüber, bestimmt dazu, gleich ein ganzes Orchester zu ersetzen - daher auch der Name:
"Das ist ein Orchestrion. Auf den Walzen sind neun Lieder. Als Münzautomat hat es vor allem in den Kneipen zum Tanz gespielt. Für den Gastwirt war das billiger - anstatt selbst eine Kapelle zu bezahlen, hat er hier noch das Geld aus dem Orchestrion eingenommen. Ich zeige Ihnen, wie das spielt!"
"Hier haben wir jetzt die Leierkästen - von den großen mit 125 Pfeifen, die im Zirkus oder auf dem Jahrmarkt gespielt haben, bis hin zu den kleinen, mit denen die Bettler herumgezogen sind. Das waren meist Kriegsinvalide, die vom Amt eine Bewilligung dazu erhalten haben und dann für ein paar Münzen auf dem Leierkasten spielen durften. Entweder haben sie den Leierkasten gekauft, oder sie konnten ihn auch beim Hersteller mieten, wenn sie nicht so viel Geld hatten. So ein Leierkastenmann hatte vier Walzen dabei - je eine für Weihnachten, Ostern, Beerdigungen und Hochzeiten. Damit kam er dann über die Runden."
Und wer weiß - vielleicht hat ja einer der vielen Leierkästen, die David Thoma zusammengetragen hat, einstmals gar dem blinden Methodius gehört, den Egon Erwin Kisch in seinen Prager Erinnerungen verewigt hat - ein unerschöpflicher Lieferant von Balladen und schaurigen Moritaten, der seine Runden durch die Prager Gassen und Höfe gezogen hat. Von einigen der Instrumente kennt Thoma tatsächlich die Geschichte:
Ganz besondere Töne hat auch dieser kleine und unscheinbare Kasten: eine Vogel-Orgel, eine der ältesten Drehorgeln aus Thomas Sammlung:
"Darauf hat damals die Frau Gräfin ihren Kanarienvögeln vorgespielt. Wenn der Vogel das überlebt hat, dann hat er die Melodie irgendwann nachgepfiffen. Und die Gräfin hat natürlich behauptet, dass sie ihm das am Klavier beigebracht hat."
Im letzten Raum der Ausstellung dämmert schließlich bereits die Moderne herauf. Erstmals reproduzieren die Geräte tatsächliche Aufnahmen. Am Anfang steht Edisons Phonograph, der ursprünglich als Bürodiktaphon gedacht war. Weiß David Thoma, wie seine eigene Stimme aus dem Edison-Diktaphon klingt?
"Wir haben versucht, etwas aufzunehmen, aber es hat nicht geklappt. Das gibt es ein gewisses Paradox: Gerade die älteren Phonographen funktionieren nämlich mit Strom, und zwar mit 120 Volt. Die Sicherungen in der ganzen Umgebung sind herausgeflogen, aber mit der Aufnahme ist es nichts geworden. Das Abspielen der Walzen, das ist kein Problem, aber die eigene Stimme aufzunehmen, das hat nicht geklappt."
Mehr als 150 mechanische Musikautomaten kann man in dem Museum von David Thoma unweit der Prager Burg bestaunen - eine Wunderkammer längst vergangener Zeiten. Bleibt zum Schluss die Frage: Wie sieht es bei Thoma daheim aus? Gibt es auch einen CD-Player? Ja, lautet die Antwort. Mehr nicht - für jemanden wie Thoma kein Thema, über das man weitere Worte verlieren muss.
Fotos:ORCHESTRIONY
Dieser Beitrag wurde am 12. August 2007 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.