10 Jahre Rudolfinum. 10 Jahre internationale, zeitgenössische Kunst in Tschechien

Direktor der Galerie Rudolfinum Dr. Petr Nedoma

Bravo und Gratulation zum 10 jährigen Bestehen der Galerie Rudolfinum in Prag! Grosse Künstlernamen wie Nan Goldin, Sindy Sherman, Bettina Rheims, Jürgen Klauke oder Bill Viola hat die staatliche Kunsthalle Prag bisher schon nach Tschechien gebracht. Ein ausgezeichnetes Gespür für sensible Themen, große Werke und exzellente Künstler sind Peter Nedomas Gütesiegel geworden. Als Direktor der Galerie, hat er in den letzten 10 Jahren 50 Ausstellungen organisiert. Die Galerie Rudolfinum, als Zentrum für aktuelle Kunst ist für die Tschechen natürlich ein Begriff. Jedoch öffnet sich die Einrichtung im neuen Europa nun auch einem internationalen Kunstpublikum. Für unseren heutigen Kultursalon traf sich unsere Autorin Kristin Schneider mit dem Direktor der Galerie Rudolfinum Dr. Petr Nedoma zum Gespräch.

10 Jahre Rudolfinum. Das heißt 10 Jahre zeitgenössische, freie Kunst in Tschechien. Bei meinem Treffen mit Petr Nedoma wollte ich zunächst wissen, was für ihn als Gründer, Kurator und Direktor der Kunsthalle in Prag dieser Begriff freie Kunst bedeutet:

"Mindestens die Hälfte unseres Ausstellungsprogramms sind Namen aus dem Ausland. Das heißt von großen Persönlichkeiten von heute, manchmal auch Ausstellungen der sogenannten klassischen Moderne, d.h. der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Freie Kunst, das kann man auch politisch erklären: Ich habe 40 Jahre Kommunismus überlebt. Ich habe seit 1994 mit dem Aufbau der neuen Galerie in Prag aber auch in Tschechien begonnen und wollte einen neuen Typus von Museum schaffen. Denn eine Staatskunsthalle in diesem Sinne gab es damals in Tschechien noch nicht. Die Galerie Rudolfinum ist sozusagen die erste Kunsthalle in Tschechien. Es ist eine Galerie, die keine Sammlung hat, aber versucht, große Ausstellungen mit umfangreichen Begleitprogrammen für unser Publikum zu produzieren."

In der heutigen Kunst, also in der zeitgenössischen Kunst, herrscht beim Publikum eine große Sprachlosigkeit. Kunst von heute lässt sich immer schwerer in Worte fassen. Sie lässt sich nicht mehr erklären und was man nicht erklären kann, dass versteht man nicht und was man nicht versteht, schaut man sich nicht an...So argumentiert die breite Masse der Menschen. Nun, wie geht Nedoma vor, wenn er eine Auswahl für ein Thema, für eine Ausstellung in ihrem Haus treffen will:

"Die wichtigste Aufgabe für uns, seit Existenz der Galerie Rudolfinum, war es, etwas gegen den Analphabetismus beim tschechischen Publikum im Bereich zeitgenössische Kunst aus Europa und der Welt zu tun. Das tschechische Publikum hat 40 Jahre hinter dem eisernen Vorhang gelebt. Die Kunstkritiker und Kunsthistoriker wussten daher fast gar nichts über das Geschehen in Europa und Amerika. Diesen Zustand, diese Lücken, versuchten wir irgendwann zu überbrücken. Es ging darum, die letzten 40 Jahre nicht mehr zu wiederholen. Es handelte sich um den Kontext, wie man die Kunst, beispielsweise der 60er und 70er konsumierte. Diese Kontextfragen sind in der Kunst sehr wichtig für mich."

Der Direktor der Galerie Rudolfinum hat großes Gespür für große, wichtige Namen aus der internationalen Kunstszene gezeigt, indem er in den 90er Jahren Sindy Shermann und Nan Goldin nach Prag holte, noch bevor sie in Westeuropa bekannt wurden. Doch niemand kannte damals diese Künstlerinnen hier in ihrem Land. Wie hat das tschechische Publikum reagiert?

"Ich bin der Meinung, wenn das Publikum spürt, dass es sich um eine starke Sache handelt, inhaltlich, historisch usw. ..dann sind sie vielmehr offen, als wenn sie sich eine Sache anschauen, die sozusagen schon historisch geprägt ist. Also man darf nie, die Fähigkeit des Publikums unterschätzen, etwas wichtiges zu fühlen.Das war der Fall z.B. bei Nan Goldin und auch Sindy Sherman. Die Leute haben gespürt, dass diese beiden Künstlerinnen, die großen Damen der zeitgenössischen Photographie sind, obwohl sie fast keine, sagen wir Nebeninformationen hatten."

Stichwort "Verantwortung": Spürt man so etwas, wenn eine Ausstellungen konzipiert wird? Kann man sogar im voraus erahnen, wie die Ausstellung in der Öffentlichkeit angenommen wird, noch bevor sie eröffnet wird? Petr Nedoma:

"Das ist bei mir zwischen Ja und Nein, zwischen Verantwortung und Nichtverantwortung, denn manchmal passieren Sachen, die man nicht vorher sehen kann, z.B. die provokative INRI Ausstellung von Bettina Rheims, als sie die Bedeutung des alten Testaments in die Gegenwart übertrug. Das war eine neue Situation. Trotzdem versuche ich im Vorfeld, soweit wie möglich die Reaktionen des Publikums in meinem Inneren vorherzusagen."

Nun wird die Galerie Rudolfinum genau in diesem Jahr 10 Jahre alt, in dem die Tschechische Republik der Europäischen Union beigetreten ist. In diesem Zusammenhang wollte ich von Petr Nedoma wissen, was er sich in Bezug auf die Kooperation mit anderen Museen in Westeuropa wünscht:

"Mein großer Wunsch ist, dass der eiserne Vorhang irgendwann fällt. Jetzt nach dem 1. Mai 2004, wo die tschechische Republik ein Teil der Europäischen Union geworden ist, aber das ist nur meine eigene Erfahrung, dass muss ich betonen, bin ich der Meinung, dass die Situation, noch härter geworden ist. Nun sind wir über die Grenze gekommen, die Grenzen sind ganz offen und wir sind zu nah für sie. Das ist meine Meinung, erst jetzt sind wir für die Westeuropäer zu den wahren Konkurrenten geworden. Erst jetzt müssen wir mit wahrer Konkurrenz auf beiden Seiten rechnen und das müssen wir auch jetzt erst lernen. Das wird sehr schwierig, schwieriger als vorher."

Rudolfinum
Barockkirchen, Wenzelsplatz und die Burg... Prag muss sich vor seinem internationalen Publikum erst noch als Anlaufpunkt für zeitgenössische Kunst etablieren. Wie kann man die Aufmerksamkeit des Publikums von Aussen, auf das Rudolfinum lenken?

"Die Idee ist ganz einfach, wir haben bis lang große, internationale Künstlernamen nach Prag gebracht und werden dies auch weiterhin tun Louise Bourgeois, Sindy Shermann usw. Daneben stellen wir selbstverständlich auch die anderen, nicht die kleineren, aber eben andere Namen aus. Das heißt: Das Rudolfinum muss ein Begriff für Qualität sein. Damit habe ich manchmal Probleme in Tschechien, weil gewissen Leute der Meinung sind, die Latte zu hoch ist, aber ich bin der Meinung, die Latte kann noch höher sein. Dafür brauche ich kluge Ideen und ein bisschen Geld."

Meine abschließende Frage an den Direktor der Prager Kunsthalle Rudolfinum Petr Nedoma war eine obligatorische: Welche Pläne hat er für die nächsten Jahre in seiner Tätigkeit?

"Ich habe 10 Jahre gelernt und jetzt möchte ich das, was ich gelernt habe präzisieren. Das heißt jetzt möchte ich ein paar Jahre noch präzise arbeiten und bessere Projekte machen, Das alles was wir bisher gemacht haben, waren nur Schulaufgaben. Jetzt müssen wir etwas Besseres schaffen. Das ist alles. Jetzt möchte ich in den kommenden Ausstellungen die Hauptidee, das heißt diese Fragen, nach er Identität, wieder beleben, d.h. neue Konzepte zu entwickeln und auch neue Kuratoren ansprechen. Das heißt ich realisiere meine Ideen, bin aber auch für Ideen offen, die von außen kommen. Also ganz offene Politik, als auch zum Publikum, zu Kollegen. Ich bin offen, aber sehr kritisch."