100 Jahre Staatlichkeit: Alternative Feier in Prag

„Eine Million Augenblicke für die Demokratie“ (Foto: Martina Schneibergová)

Mehrere Tausend Menschen nahmen auf dem Prager Wenzelsplatz an einer nicht offiziellen Veranstaltung zu 100 Jahren Gründung der Tschechoslowakei teil.

„Eine Million Augenblicke für die Demokratie“  (Foto: Martina Schneibergová)
Mehrere Tausend Menschen sind am Sonntagabend auf dem Prager Wenzelsplatz zusammengetroffen. Sie nahmen an einer alternativen „Feier anlässlich 100 Jahre Republik“ teil. Mit dabei waren Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.

Tomáš Klus mit seiner Band war einer der Musiker, die auf dem Podium vor dem Wenzelsdenkmal auftraten. Die vielen Menschen, die sich bei starkem Regen in der oberen Hälfte des Wenzelsplatzes drängten, konnten oft das Podium meist nicht sehen. Regeschirme versperrten die Sicht. Doch auf die Worte der Redner reagierten sie mit Beifall. Veranstaltet wurde die Feier vom Verein „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“. Mikuláš Minář ist Mitbegründer des Vereins, er sprach zum Publikum:

Foto: Martina Schneibergová
„Hauptsache, das Wetter hat geklappt. Wir feiern 100 Jahre Republik. Gibt es etwas zu feiern, wenn wir uns dessen bewusst werden, wie das mutige Projekt der Ersten Republik geendet hat? Wenn wir sehen, dass nicht einmal unsere Gegenwart eine Erfüllung des demokratischen Traums von Präsident Masaryk ist? Doch, wir haben einen Grund zu feiern, denn trotz verschiedener Mängel war die Erste Republik das erste demokratische Staatsgebilde auf unserem Gebiet. Anstelle einer Idylle müssen wir jedoch Wahrheiten hören, viel mehr als skeptische Erklärungen brauchen wir eine Vision.“

Die Veranstalter hatten mehrere Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen aufs Podium geladen. Diese sollten sich mit dem Vermächtnis der Vergangenheit auseinandersetzen und Herausforderungen für die Zukunft formulieren. Der Philosoph und ehemalige Dissident Daniel Kroupa erinnerte daran, dass Ex-Präsident Václav Havel im Jahr 1989 an Masaryks Gedanken angeknüpft hat. Havel habe sich dann bemüht, dass in der Tschechischen Republik Freiheit und Demokratie herrschten und dass diese Bestandteil der EU würde, so Kroupa.

Daniel Kroupa  (Foto: Martina Schneibergová)
„Wie haben wir unsere Freiheit genutzt? Ich befürchte, nicht besonders gut. Stellen wir uns die Frage, ob wir Menschen in führende Posten gewählt haben, denen es mehr um das Wohl der Republik als um ihre eigenen Interessen geht. Kümmert sich nicht der Premier mehr um seine Firmen und die Konkurrenz als um die Interessen Tschechiens? Masaryk und Havel haben sich darum bemüht, dass die politische Macht dem Gesetz untergeordnet ist. Wir erwarten darum vom Staatspräsidenten, dass er die Verfassung respektiert. Wir erwarten, dass er Staatsauszeichnungen an Menschen verleiht, die Verdienste um den Staat haben, und nicht an Menschen, die für ihre Servilität geehrt werden.“

Šimon Pánek  (Foto: Martina Schneibergová)
Der Philosoph forderte die Teilnehmer auf, sich nicht nur auf ihre private Freiheit und Freuden zu konzentrieren, sondern sich auch um das öffentliche Wohl zu kümmern. Er warnte vor dem Verlust der Freiheit.

Der Leiter der renommierten tschechischen Hilfsorganisation „Mensch in Not“, Šimon Pánek, war einer der Studentenführer während der Samtenen Revolution von 1989. Er räumte ein, er sei damals jung und naiv gewesen. Denn er habe gedacht, dass sich alles von nun an gut entwickeln werde, so Pánek.

„Die Demokratie ist kompliziert. Die Wahlen bringen auch Ergebnisse, mit denen wir unzufrieden sind. Das Schlimme ist, wenn aus einem Oppositionellen ein Feind wird. Und dies passiert hierzulande in den letzten Jahren. Schuld daran trägt vor allem der Mann im Staatspräsidentenamt. Er verbreitet starken Hass, provoziert und vulgarisiert. Er regt das Schlechtere im Menschen an anstatt das Bessere. Zum Glück haben wir eine Zivilgesellschaft, die versucht nachzuholen, was in unserem Land versäumt wurde.“

„Eine Million Augenblicke für die Demokratie“  (Foto: Martina Schneibergová)
Auch der Naturwissenschaftler und Theologe Marek Orko Vácha war während der Samtenen Revolution noch Student. Er erinnerte an eine oft zitierte Erklärung von Václav Havel und wandte sich vor allem an die jungen Menschen:

„Meine Generation hat nach 1989 gelernt, dass die Wahrheit und Liebe zwar siegt, aber nicht von selbst. Ich glaube an Eure Begeisterung und Kreativität. Ich bin davon überzeugt, dass Ihr Eure Zeit nutzen werdet. Ich wünsche uns allen, den Jungen wie den Älteren, die Havelsche Teilnahme am Wunder des Seins.“

Die Veranstalter bezeichneten die Veranstaltung auf dem Wenzelsplatz als eine Art Gegengewicht zu den offiziellen Feiern auf der Prager Burg.