100 Tage Regierung Topolanek - drei Jahre tschechische EU-Mitgliedschaft
In der folgenden Ausgabe von "Im Spiegel der Medien", der Mediensendung von Radio Prag, werfen wir einen Blick in die tschechischen Zeitungen. Im Mittelpunkt der Kommentare stehen dabei der Rückblick auf die ersten hundert Tage der Regierung Topolanek, das dreijährige Jubiläum der tschechischen EU-Mitgliedschaft, wie auch der Beschluss über die Gründung des Instituts des nationalen Gedächtnisses.
Zunächst aber zur Regierungsbilanz. Das Urteil der Kommentatoren fiel dabei äußerst unterschiedlich aus. Auf der einen Seite wurde anerkennend erwähnt, dass das Minderheitskabinett Topolanek trotz der ungünstigen Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus sich die Mühe gab ein ambitioniertes Reformprogramm zu formulieren, mit dessen Verabschiedung im Parlament es seine weitere politische Zukunft verbinden will. Andererseits offenbarte die Regierung auch einige Schwächen, die zwar mehr die Form als den Inhalt der Regierungsarbeit betrafen, aber dennoch kein gutes Licht auf die Drei-Parteien-Allianz aus Bürgerdemokraten, Christdemokraten und Grünen warfen. Dazu gehören insbesondere einige umstrittene Auftritte von Regierungschef Topolanek wie auch die immer noch nicht aus der Welt geräumten Korruptionsvorwürfe gegen Topolaneks ersten Stellvertreter an der Regierungsspitze, den Christdemokraten Jiri Cunek.
Petr Holub von der Internetzeitung aktualne.cz fielen aber bei seiner Bilanz der ersten 100 Tage der Regierung Topolanek II. auch einige erstaunliche Ähnlichkeiten mit einer der Vorgängerregierungen auf, nämlich mit dem Kabinett des Sozialdemokraten Vladimir Spidla, das in den Jahren 2002 bis 2004 regierte."Beide Regierungschefs haben ein Maßnahmenpaket vorgestellt, mit dem sowohl die Steuern, wie auch die Sozialleistungen neu geregelt werden sollten. Spidla wollte auf diese Weise den Wiederaufbau nach dem Jahrhunderthochwasser des Sommers 2002 finanzieren. Das Maßnahmenpaket scheiterte jedoch am Widerstand einer einzigen Abgeordneten. Spidla musste auf sein Projekt verzichten und war seither angeschlagen. Auch Topolanek will entgegen der Ratschläge wichtiger Experten alles auf einmal lösen und setzt sich somit der Gefahr aus, dass er dabei genauso wie Spidla scheitern könnte. Die wichtigste Ähnlichkeit zu Spidla liegt jedoch in der miserablen Kommunikation der Regierung mit der Öffentlichkeit, die praktisch nur indirekt und auf Umwegen über die geplanten Veränderungen und Reformmaßnahmen erfahren hat. Die Entwürfe blieben sogar auch dann noch unter Verschluss, als sie von der Regierung bereits verabschiedet worden waren. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendeine Regierung ihre Beschlüsse bezüglich der Steuern und Haushaltspolitik geheim gehalten hätte."
Die Parallele zwischen Spidla und Topolanek lässt sich auch weiter fortsetzen. So wie Vladimir Spidla seinerzeit die größten Gegner seiner Reformen in der eigenen Partei vorfand, muss auch Topolanek um die Loyalität seiner eigenen Fraktion bangen. Der Grund ist die Ankündigung des ehemaligen Finanzministers und einflussreichen ODS-Abgeordneten Vlastimil Tlusty für die Reformgesetzte in ihrer gegenwärtigen Form nicht die Hand heben zu wollen. Seither wird über die Motive Tlustys spekuliert. Hängt das damit zusammen, dass Tlusty, der jahrelang als sicherer Anwärter auf den Posten des Finanzministers galt und das Amt auch für kurze Zeit inne hatte, von Premier Topolanek übergangen wurde und sich nun rächen will? Oder lässt sich dahinter eine Taktik vermuten, wie man doch noch einige Veränderungen durch die Hintertür und den beiden Koalitionspartnern vorbei einschleusen könnte?
Für den Kommentator der Tageszeitung Lidove noviny, Jaroslav Plesl, ist jedenfalls klar, dass die Regierung keine andere Möglichkeit hat, als mit Tlusty zu verhandeln."Wenn die Regierung Tlusty neutralisieren will, wird sie ihm in irgendeiner Weise entgegen kommen müssen. Wichtig ist, dass Tlusty dieses Einlenken der Regierung als seinen Sieg verkaufen kann. Ansonsten wird es ihm keine Schwierigkeiten bereiten gegen die Regierungsvorlage zu stimmen. Tlusty hat praktisch nichts zu verlieren: er übt kein wichtiges Amt aus und am Abgeordnetensessel klebt er auch nicht so fest. Nach einem möglichen Ausscheiden aus dem Parlament würde er sogar mehr verdienen, als jetzt. Die Herren Topolanek, Kalousek und Bursik sind jedoch erfahrene Politiker, was bedeutet, dass wir in dieser Frage sicher mit einem Kompromiss rechnen können."
Wie bereits eingangs erwähnt, kommentierten einige Zeitungen auch das dreijährige Jubiläum der tschechischen EU-Mitgliedschaft. In die positiven Bewertungen, wie sich das Land seither veränderte, drangen aber ab und zu auch kritische Stimmen ein. Eine davor war jene von Jan Machacek, der sich in der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny auch über das Erscheinungsbild Tschechiens innerhalb der Gemeinschaft Gedanken machte:
"Wir genießen den Ruf eines Landes, welches eine weiter gehende Integration ablehnt. Gut, in Ordnung, aber gleichzeitig hat Tschechien keine anderen positiven Visionen oder Ideale präsentiert. Wir tun immer noch so, als ob das Pronomen ´Wir´ nur die Tschechen bedeutet, während das Pronomen ´Sie´ auf die Union gerichtet ist. Was uns aber immer noch fehlt, das ist die Fähigkeit erfolgreich Verhandlungen zu führen und innerhalb der Gemeinschaft notwendige Allianzen zu schmieden. Die Veto-Karte, um etwas blockieren zu können, verschwenden wir beim Bier, wobei passieren kann, dass die Möglichkeit dieses außergewöhnliche Mittel anzuwenden dann wo anders fehlen wird. Worüber können wir uns also als EU-Mitglieder freuen? Sicherlich darüber, dass unser Land an eine gewisse positive Tradition von Vaclav Havels Außenpolitik anknüpfen konnte. Wir engagieren uns für Freiheit und Menschenrechte und daraus entwickelt sich so etwas wie unser Markenzeichen. Das sollten wir zu schätzen lernen."
Gegen Ende unseres heutigen Medienspiegels wollen wir noch kurz auf ein anderes Thema eingehen. Seit Jahren politische heftig umkämpft, in der vergangenen Woche vom Parlament endgültig verabschiedet: Die Rede ist vom neu geschaffenen Institut für das nationale Gedächtnis, dessen Aufgabe es sein soll, sich wissenschaftlich mit dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.Es ist eine Ironie des Schicksals, dass kurz vor dem Parlamentsbeschluss ein tschechisches Gericht endgültig den früheren Stasioffizier Pavel Minarik freigesprochen hatte. Minarik galt als Drahtzieher des Bombenanschlags gegen Radio Freies Europa in München in den 80er Jahren. Dazu fanden wir in der Tageszeitung Mlada fronta Dnes einen Kommentar von Karel Steigerwald, aus dem wir Ihnen abschließend einige Passagen zitieren wollen:
"Auch der Freispruch für Minarik ist, wie er nun nach 15 Jahren von den Gerichten festgestellt wurde, ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der tschechischen Geschichte. Es ist ein wichtiger Sieg der Erkenntnis, dass der kommunistischen Regierung nichts heilig war. Mehrere Jahre kämpfte man im Abgeordnetenhaus um die Errichtung eines Instituts des nationalen Gedächtnisses, dessen Aufgabe es sein sollte sich konzentriert mit dem Studium der modernen tschechischen Geschichte zu befassen - der Zeit des Nationalsozialismus und des Kommunismus. Die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit ist aber kein Herumwühlen in längst vergessenen Geschichten, sondern es ist auch ein aktueller politischer Kampf, wie sich beim Antiamerikanismus im Zusammenhang mit dem geplanten Bau des Raketenabwehrsystems zeigt. Der Kommunismus ist in der tschechischen Gesellschaft immer noch präsent. Er lebt und, wie das Urteil im Fall Minarik zeigt, er kann auch noch Siege feiern."