30 Jahre Prager Metro
Wer schon einmal in Prag war, der kennt sie bestimmt - die Prager Metro. Heute kann man sich die tschechische Hauptstadt ohne dieses Verkehrsmittel überhaupt nicht mehr vorstellen. Über eine Millionen Menschen benutzen sie täglich. Wie voll wären Straßenbahnen und Busse, wie verstopft die Straßen, wenn die tschechoslowakische Regierung 1967 nicht grünes Licht für den Bau einer Untergrundbahn gegeben hätte! Wie auch immer die Tschechen über das vergangene, kommunistische Regime auch denken, für eines sind sie dankbar - die Metro. Doch bevor diese gebaut wurde, wurden jahrzehntelange Diskussionen geführt und, wie sooft, hat auch die Geschichte manchmal ein Wörtchen mitgeredet.
"Ich erlaube mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass es nun, da gerade die Assanierung verläuft, mit nur geringem finanziellem Aufwand möglich wäre, eine unterirdische Bahn zu errichten. Denn bei den verlaufenden Arbeiten an der Kanalisation werden die verschiedensten Gräben in der ganzen Stadt gegraben und so wären die Kosten dieser Bahn nur mäßig."
Die Assanierungsarbeiten im ehemaligen Prager Ghetto wurden ebenso durchgeführt wie die Errichtung einer neuen Kanalisation, nur die Untergrundbahn wurde damals nicht gebaut. Prag wäre nicht die erste europäische Stadt mit einer solchen gewesen. Vorreiter war London, in dem bereits seit 1863 unter der Erde Züge verkehrten, 1896 eröffnete als erste Stadt auf dem Kontinent Budapest seine Untergrundbahn. Als Ladislav Rott über den Bau einer Untergrundbahn in Prag nachdachte, baute man solche gerade in Berlin und Paris. Prag musste allerdings noch einige Jahrzehnte warten.
Nach der Entstehung der Tschechoslowakei 1918 kamen erneut Pläne zum Bau einer Untergrundbahn in der Hauptstadt des neuen Staates auf. 1926 stellte ein gewisser Ingenieur Jiri Hrusa seine Gedanken vor. Er befasste sich dabei nicht nur mit der Streckenführung, die übrigens der heutigen so ziemlich entsprochen hat, sondern auch mit dem Aussehen der Stationen:
"In jeder Untergrundstation werden drei Bahnsteige sein, die parallel zueinander liegen. Die zwei äußeren sind für den Einstieg, der innere für den Ausstieg. Wenn also ein Zug in die Station einfährt, befinden sich auf beiden Seiten Bahnsteige - die Türen öffnen sich auf beiden Seiten, und die Fahrgäste steigen nach rechts auf den Bahnsteig aus, zugleich steigen links neue Fahrgäste ein."
Keine schlechte Idee eigentlich, doch verwirklicht wurde sie nicht. Weitere Pläne sollten folgen. So stellten Ende 1926 die Ingenieure Vladimir List und Bohumil Belada ihr Projekt vor. In einer Rundfunkaufnahme von 1935 erinnert sich Vladimir List:
"Vor acht Jahren habe ich gemeinsam mit Ingenieur Belada der Stadt Prag unser Projekt einer Untergrundbahn gewidmet. Auch wenn man uns wie Fantasten anstarrte, weckten wir einiges Interesse. Die Elektrischen Betriebe schrieben für April 1931 einen öffentlichen Wettbewerb zur Lösung der gegenwärtigen Prager Verkehrsprobleme aus. Seither hat sich die Verkehrssituation in Prag durch die ständige Zunahme an Automobilen noch verschlechtert. Heute gibt es in Prag 27.000 Automobile, gegenüber 22.000, als der Wettbewerb ausgeschrieben wurde. Die Automobile verstopfen die Prager Strassen so sehr, dass selbst der zuständige Polizeirat öffentlich auf die Gefahr einer Verkehrskatastrophe hinweist und sich für den Bau einer Untergrundbahn ausspricht."
Was würde Ingenieur List wohl sagen angesichts der heutigen Automassen, die täglich die Prager Strassen verstopfen - trotz Metro. Aber auch der Plan der Ingenieure List und Belada wurde nicht verwirklicht, ebenso wie die der drei Sieger des besagten Wettbewerbs von 1931. Eines hatten alle Pläne gemeinsam: man rechnete mit einer kombinierten Streckenführung unter- und oberirdisch. Als Vorbild diente Berlin. Die Trassenführungen der vorgelegten Projekte entsprachen in etwa der heutigen. Es scheint, dass die Verkehrsprobleme stets gleich waren und die engen Gassen in der Prager Altstadt schon in den 30er Jahren Kopfzerbrechen bereiteten.
Zu Beginn des Jahres 1939 beschlossen die Prager Elektrobetriebe, die für die Straßenbahnen zuständig waren, die Verkehrsprobleme im Prager Zentrum endlich zu lösen und eine Untergrundbahn zu bauen. Nun wurde es ernst. Selbst die Okkupation der Böhmischen Länder und die Errichtung des Protektorats im März 1939 konnten das Projekt nicht stoppen. Detaillierte Pläne wurden ausgearbeitet, Wagons und Stationen entworfen, erste Probebohrungen durchgeführt. Sämtliche Pläne waren bis ins Detail ausgearbeitet, man wartete auf den Arbeitsbeginn - doch der Verlauf des zweiten Weltkriegs machte einen Strich durch die Rechnungen. Im Juni 1941 wurden die Arbeiten vorerst eingestellt, im Mai 1943 wurde das Projekt endgültig aufs Eis gelegt.
Direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs konnte man in den Zeitungen lesen, dass nun die Pläne verwirklicht werden. Doch diesmal kam die Machtergreifung der Kommunisten im Februar 1948 dazwischen. Diese sprachen sich wegen der hohen Kosten gegen den Metrobau aus. Außerdem konnte das kommunistische Regime wohl schlecht die während des Protektorats von bourgeoisen Ingenieuren ausgearbeiteten Pläne realisieren. Zuerst einmal musste man selber Pläne machen, auch wenn bereits exakt ausgearbeitete existierten.
In den 60er Jahren nahmen die Verkehrsprobleme in Prag zu, die Straßenbahnen blieben im Stau stecken oder wegen technischer Mängel des oftmals veralteten Netzes stehen. Es war höchste Zeit, die unerträglich werdende Situation ein für alle mal zu lösen. Und so beschloss die Regierung den Bau einer Untergrundbahn. Am 7. Januar 1966 verkündete die Abendzeitung Vecerni Praha:
"Ein historischer Augenblick für den Prager Verkehr: der Bau einer unterirdischen Straßenbahn hat begonnen. Heute um 14 Uhr erfolgte der erste Spatenstich für die Untergrundbahn."
Einige Monate später wurde ein tschechoslowakisch-sowjetischer Vertrag über die Zusammenarbeit beim Bau der Untergrundbahn unterzeichnet. Das Prager Stadtzentrum begann einer Großbaustelle zu gleichen - die Straßen waren aufgerissen, Häuser wurden abgerissen, der Wenzelplatz war nicht mehr befahr- und oftmals auch nicht begehbar. Im August 1967 traf die tschechoslowakische Regierung eine weitere, wichtige Entscheidung: eine Metro sollte entstehen, die ausschließlich unter der Erde verkehren würde. Die ursprünglichen Pläne einer im Stadtzentrum unter der Erde fahrenden Straßenbahn wurden fallengelassen. Am 9. Mai 1974 war es endlich soweit. Die erste 6,6 Kilometer lange Teilstrecke wurde feierlich eingeweiht.
Von den damaligen Genossen wurde das Werk der tschechoslowakischen-sowjetischen Freundschaft in höchsten Tönen gelobt, man sprach von einem Sieg der leninistisch-marxistischen internationalen Politik und verdammte in den Eröffnungsreden die Verräter des Prager Frühlings, die das Metro-Projekt angeblich stoppen wollten.
Die Metrowagons wurden damals aus der Sowjetunion geliefert. Kvetoslav Strachar, bei der Metro seit 1974 angestellt, erklärt, wie die Wagen nach Prag kamen:
"Die Metrozüge kamen auf den Schienen hierher. Dass heißt, bis zum Grenzbahnhof Cop hatten sie in der Sowjetunion andere, russische Fahrgestelle. Ab der Grenze dann die normalen. Bis nach Prag sind die Wagons dann wie ein Zug gefahren."
Zum Abschluss für diejenigen von Ihnen, die Statistiken und Zahlen lieben, einige genaue Angaben zur Metro:
Heute verfügt das Metronetz über eine Gesamtlänge von 50 Kilometern mit 51 Stationen. Die längste Trasse ist 25 Kilometer lang, die kürzeste 9 Kilometer. Die tiefste Metrostation ist Namesti Miru mit 53 Metern unter der Erde. Das kürzeste Intervall beträgt 110 Sekunden. Täglich fahren ca. 1,2 Millionen Menschen mit der Metro, seit 1974 waren es schon über 10 Milliarden. Auch nach 30 Jahren wächst die Metro weiter - im Juni wird ein neues Teilstück mit zwei Stationen eingeweiht.