35 Kilometer Bücher: Nationalbibliothek eröffnet neues Zentraldepot

Foto: Archiv der Nationalbibliothek

Die Tschechische Nationalbibliothek dient als die zentrale Bibliothek in Tschechien. Sie hat ihren Hauptsitz im Barockareal des ehemaligen Jesuitenkollegs Klementinum. Da die Kapazitäten der historischen Gebäude nicht mehr ausreichen, wurde am Stadtrand von Prag ein neues Depot erbaut. Kurz vor der vollständigen Inbetriebnahme des modernen Außenmagazins wurde dort vorige Woche ein Tag der offenen Tür veranstaltet. In seinem Rahmen konnten sich die Besucher auch einige Räumlichkeiten anschauen, die sonst für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind.

Außenmagazin der Tschechischen Nationalbibliothek in Prag-Hostivař  (Foto: Martina Schneibergová)
Das erste Außenmagazin der Tschechischen Nationalbibliothek wurde bereits Mitte der 1990er Jahre im Prager Stadtteil Hostivař errichtet. Für das Magazin wurde damals eine ältere Halle aus Eisenbeton genutzt, die für die Zwecke der Bibliothek umgestaltet wurde. Das neue Zentraldepot wurde nahe dieser Halle erbaut. Von der Station Skalka der Metro-Linie A sind es noch einige Haltestellen mit den Bussen Nr. 125 oder 111 bis zum Halt Myšlínská. Von dort gelangt man in etwa fünf Minuten zu Fuß zur Bibliothek. Das farbige Glasgebäude hinter einem Zaun lässt sich nicht übersehen. Der Bau wurde Ende 2012 beendet. Vergangenes Jahr gab es dann einen großen Umzug: Millionen Bücher wurden aus dem Klementinum in das neue Depot transportiert. Einige Räume im neuen Gebäude sind streng klimatisiert, denn dort wird der so genannte „Nationale Konservierungsfonds der Bibliothek“ aufbewahrt. Tomáš Böhm leitet die Nationalbibliothek:

Tomáš Böhm  (Foto: ČT24)
„Das neue Depot wurde mit dem einzigen Ziel erbaut, die Raumprobleme bei der Lagerung der Bücher zu lösen. Ursprünglich sollten die Buchsammlungen in eine neue Nationalbibliothek im Letná-Park kommen. Doch 2008 scheiterten die Pläne für eine neue Bibliothek, deswegen entschieden wir uns, ein neues Zentraldepot zu errichten. Hierher wurden nicht nur Bücher gebracht, sondern es werden zudem viele Mitarbeiter der Nationalbibliothek aus dem Klementinum umziehen. Es handelt sich um Experten, die an der Katalogisierung arbeiten, die sich um die Verwaltung der Dokumente kümmern, die neue Zuwächse bearbeiten und weitere Fachkräfte. Nach dem Umzug einiger Sektionen der Bibliothek haben wir im Klementinum jetzt mehr Raum, und das erhöht den Komfort und Service für die Besucher der Nationalbibliothek im Prager Stadtzentrum.“

Foto: Martina Schneibergová
Im neuen Depot wird von nun an auch die Sektion für die Digitalisierung der Nationalbibliothek untergebracht sein. Das Digitalisierungsprojekt wird aus EU-Fonds finanziert, sagt Böhm:

„Im Rahmen dieses Projektes haben wir die Aufgabe, 8,3 Prozent der Bohemica, die die Nationalbibliothek besitzt, zu digitalisieren. Es handelt sich hierbei um etwa 50.000 Bände – also um etwa 13 Millionen Seiten, die jährlich digitalisiert werden sollen. Dieser Prozess wird auch in Zukunft weitergeführt. Denn die Buchbestände wachsen ständig an, und wir müssen den Schnitt von 8,3 Prozent einhalten. Im Laufe eines Jahres kommen etwa 100.000 neue Buchposten hinzu. Der Prozess wird eigentlich nie vollendet sein.“

Foto: Martina Schneibergová
Bohemica sind alle Veröffentlichungen aus den früheren Böhmischen Ländern, der Tschechoslowakei und der heutigen Tschechischen Republik. Laut Böhm liegt der Anteil digitalisierter Bücher in der Nationalbibliothek im Übrigen niedriger als in den vergleichbaren Einrichtungen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder Norwegen.

„Diese Länder haben aber auch viel früher mit der Digitalisierung ihrer Fonds begonnen. Neben der Digitalisierung der Bohemica haben wir in diesem Jahr auch noch ein weiteres Projekt gestartet, im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft mit Google: Es ist die Digitalisierung alter Bücher und Handschriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert.“

Studiensaal  (Foto: Martina Schneibergová)
Im neuen Zentraldepot sind rund zwei Millionen Bände gelagert. Künftig soll zudem die ältere Halle des Außenmagazins modernisiert werden, wo momentan etwa drei Millionen Bücher aufbewahrt sind. Insgesamt sollen nach dem Umbau des älteren Gebäudes in Hostivař bis zu zehn Millionen Bücher gelagert werden können.

Links vom Eingang in das Gebäude geht es in den Studiensaal. Er erinnert an den so genannten „Brüsseler Stil“, der nach der Expo in Brüssel 1958 benannt ist. Auf verstellbaren Tischen können auch Dokumente mit größerem Format ausgebreitet werden. Ebenso steht hier eine Handbibliothek zur Verfügung. Hanuš Hemola ist stellvertretender Direktor der Nationalbibliothek, er ist für die Verwaltung der Bücherfonds zuständig:

Zentraldepot  (Foto: Archiv der Nationalbibliothek)
„Den ersten Kontakt zur Nationalbibliothek werden Interessenten auch weiterhin über die Zentrale im Klementinum pflegen. Hier im Zentraldepot befinden sich der Nationale Konservierungsfonds und die Konservierungsfonds des 19. Jahrhunderts. Aus diesen Fonds werden die Bände oder Dokumente nur in dem Fall ausgeliehen, wenn es das gesuchte Dokument weder im Klementinum, noch in einer anderen Bibliothek in Tschechien gibt. Dann wird der Besucher zu uns ins Zentraldepot geschickt. Hier kann er mit unseren Mitarbeitern dann vereinbaren, was er wann brauchen wird - und unsere Angestellten werden die Dokumente für ihn nach Bedarf zur Verfügung stellen.“

Foto: Martina Schneibergová
Als Laie misst man die Kapazität eines Depots nach Bänden oder Büchern. Hanuš Hemola zufolge ist der Begriff „Band“ aber nicht ganz korrekt, auch wenn er benutzt wird. In der Fachsprache sprechen die Bibliothekare von „Bucheinheiten“.

„Das kann auch eine Ansichtskarte, ein Mikrofilm oder ein großer Foliant sein. Es handelt sich nicht immer um richtige Buchbände.“

Um deutlicher zu machen, wie viele Bucheinheiten im vergangenen Jahr aus dem Klementinum nach Hostivař transportiert wurden, sagt Hemola: Alle Bände aneinandergereiht würden eine 35 Kilometer lange Schlange bilden.

Das neue Zentraldepot der Tschechischen Nationalbibliothek befindet sich in der Straße Sodomkova Nr. 2 in Prager Stadtteil Hostivař.