37 Jahre danach - Reflexionen zum 21.August 1968

August 1968

Auch in diesem Jahr mangelte es in Tschechien kaum an Jubiläen, ob kleinen oder großen. Kürzlich wurde hierzulande eines Jahrestages gedacht, der lange als schmerzhaft empfunden wurde. Und heute? Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen offensichtlich auch die Menschen. Ihre Reflexionen will mit Ihnen, liebe Radio-Prag-Freunde, Jitka Mladkova im nun folgenden Feuilleton teilen:

August 1968 auf dem Wenzelspaltz in Prag
Vor einer Woche wurde in Tschechien wieder einmal des 21. August 1968 gedacht. Zum 37. Mal. 72 Tote, 267 Schwerverletzte, und enorme materielle Schäden. Das ist die sachlich formulierte Bilanz der Ereignisse in der kurzen Zeitspanne zwischen dem 21. August und dem 3. September 1968, die als tragischer Schlusspunkt des so genannten Prager Frühlings in die Geschichte eingegangen sind.

Es gibt aber auch Schäden, die sich in keinen Zahlen der Welt erfassen lassen, und doch wirken sie weit über den Zeitrahmen eines Menschenlebens hinaus. Gemeint sind die Schäden, die verschiedene historische Umbrüche an der Seele einer Nation hinterlassen. So hatte auch der Überfall auf die damalige Tschechoslowakei im Sommer ´68 keineswegs nur für die politische Entwicklung im Lande Konsequenzen. Im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte haben sich unzählige Wissenschaftler oder auch Quasiwissenschaftler den Kopf darüber zerbrochen, welche Gestalt der historische Versuch um eine Reform des Kommunismus in dem kleinen Land in Mitteleuropa angenommen hätte, wenn dieses im August 1968 nicht von Sowjetpanzern überrollt worden wäre. Alle hierzu verfassten Analysen und Abhandlungen bleiben allerdings für immer im Rang purer Spekulation. Es ist in der Tat nicht wichtig zu wissen, wo man hätte sein können, wäre etwas nicht geschehen, was aber in Wirklichkeit doch geschehen ist.

1968
Der vor einer Woche hierzulande begangene Jahrestag der Niederschlagung des Reformprozesses durch die Warschauer-Pakt-Staaten hat wieder einmal etwas deutlich gemacht: Sechzehn Jahre nach dem Wendejahr 1989 werden Gedenkstunden vor allem von Politikern unter Beteiligung von immer weniger Zeitgenossen abgehalten. Die Ereignisse, einst mit tief empfundenen individuellen Erlebnissen verbundenen, schrumpfen mit zunehmendem Zeitabstand zu Geschichtsbuchdaten, die als substantielle Wendepunkte der Geschichte oft als unliebsamer Schulstoff erlernt und irgendwann später vergessen werden. Dieser Prozess setzte hierzulande in Bezug auf den 21. August 1968 bereits ein. Wird dieses Datum früher oder später so weit entfernt erscheinen wie etwa die napoleonischen Kriege aus heutiger Sicht? Da bin ich mir sicher. Ich persönlich werde den Moment, an dem mich meine Mutter in jener Nacht mit den Worten "Steh auf, es ist Krieg!" weckte, niemals vergesse