Abenteuer aus Kalk und Sand auf der Burg Bečov

Bečov (Foto: Barbora Kmentová)

Etwa 15 Kilometer südlich der Kurstadt Karlovy Vary / Karslbad liegt das Städtchen Bečov / Petschau. Dominanten der Stadt sind das Barockschloss und die gotische Burg. Im Rahmen des Projektes „(Un)geahnte Zusammenhänge“ werden mehrmals in der Saison Sonderführungen durch die Burg angeboten. Die Besucher können dabei Räume betreten, die sonst nicht zugänglich sind und einiges lernen über die Bauverfahren, die im 14. Jahrhundert angewandt wurden. In einer der vergangenen Ausgaben der Sendereihe „Reiseland Tschechien“ haben wir Ihnen die Geschichte der Burg Bečov und ihrer Bewohnern näher gebracht. Dabei haben wir versprochen, die Sonderführung fortzusetzen.

Foto: Martina Schneibergová
Die Sonderführung durch die Burg Burg Bečov heißt „Das Abenteuer aus Kalk und Sand“. Das Baudenkmal wird dabei als ein historisches Exponat vorgestellt, das aus authentischem Baumaterial besteht. Für die Experten ist das erhaltene Originalbaumaterial eine wichtige Quelle von Informationen über das Leben auf der Burg. Dagmar Michoinová leitet das technologische Labor des staatlichen Denkmalschutzamtes. Sie hat die Sonderführungen auf Bečov mit initiiert:

„Anhand des Putzes kann man sich eine Vorstellung davon machen, was für Bauverfahren und welche Instrumente der mittelalterliche Handwerker benutzt hatte. Zudem kann man abschätzen, welchem Zweck ein bestimmter Burgraum diente, wie er gestaltet wurde und wer ihn besucht hatte. Das alles kann uns der Putz auf der Burg verraten.“

Bei einer genaueren Betrachtung der Innenräume merkt man, dass der Putz an mehreren Orten der Burg nicht glatt, sondern recht grob ist. Die Expertin:

Foto: Martina Schneibergová
„Die Burg wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erbaut. Der Putz ist also etwa 660 Jahre alt. Damals wurde er sehr einfach bearbeitet. Die grobe Oberfläche zeugt davon, dass es sich wirklich um den Originalputz handelt. Auf den Wänden findet man zudem verschiedene Aufschriften, Zahlen, Notizen und Zeichnungen. Anhand dessen wissen wir, wie die einzelnen Räume genutzt wurden. Denn an einer der Wände hat sich beispielsweise jemand notiert, wie viele Säcke mit welchen Lebensmitteln dort gelagert wurden. Dieser Raum diente also als Speisekammer. An einem anderen Ort gibt es wiederum eine Notiz darüber, wie viel einer der früheren Bewohner im Würfelspiel gewonnen hat. Diese Angabe befindet sich auf der Wand der ehemaligen Rüstungskammer.“

Erst bei den Führungen, die sich auf die Bautechnologien spezialisieren, haben die Experten festgestellt, dass der Putz in verschiedenen Etagen unterschiedlich aussieht.

Foto: Martina Schneibergová
„Im Erdgeschoss ist der Putz sehr einfach. Wir vermuten, dass sich dort eher die Lagerräume, Speisekammern und Abstellräume befanden. In einigen Fällen wurden die Wände auch gar nicht verputzt. In der ersten Etage sind die Wände eher einfach bemalt. Dort lagen wahrscheinlich Wohnungen. In den oberen Etagen sind Fragmente von Wandmalereien erhalten geblieben, zu sehen sind viele Figuren- sowie Pflanzenornamente. Zudem gibt es dort einige längere Aufschriften. Daraus geht hervor, dass diese Räumlichkeiten Repräsentationszwecken gedient haben müssen.“

Die Handwerker, deren Arbeit auf der Burg zu bewundern ist, haben in so genannten Bauhütten gearbeitet, eine Art Werkstattverband oder Atelier. Die Bauhütten waren aber nicht nur an einem einzigen Ort tätig, sie arbeiteten in ganz Europa. Die Kenntnisse haben die Handwerker meistens von ihren Vorgängern übernommen. Die Bauhütten achteten darauf, bestimmte Spezialkenntnisse geheim zu halten, sagt Dagmar Michoinová:

Foto: Martina Schneibergová
„Oft war es der Fall, dass die Söhne das Handwerk von ihren Vätern geerbt haben. Dies war für die präzise Arbeit der Handwerker wichtig. Sie arbeiteten ihr ganzes Leben lang mit einem einzigen Material, und zwar mit Kalk. Sie kannten seine Eigenschaften perfekt, wussten, wie man damit arbeitet und wie lange er hält. Die mittelalterlichen Handwerker hatten sehr gute Kenntnisse in diesem Bereich, die inzwischen in Vergessenheit geraten sind und die wir auch nicht mehr haben.“

Die Restauratoren sind laut Michoinová imstande, die Arbeit einer konkreten Bauhütte zu erkennen. Dabei helfen ihnen unter anderem Steinmetzzeichen: Markierungen, die Steinmetze an ihren Arbeiten anbrachten. Sie sind oft noch an Steinblöcken erhalten geblieben. Während der Führung durch die Burg können sich die Besucher davon überzeugen, dass nicht nur Stein ein sehr haltbares Material ist. Dagmar Michoinová:

Foto: Martina Schneibergová
„Wir zeigen den Besuchern, dass auch der Putz ein haltbares Material sein kann. Aber auch Holzelemente, bei denen man es nicht glauben würde, können sehr alt werden. Die Dendrochronologie ist eine wichtige Datierungsmethode, um das Alter von Holzelementen zu erforschen. Die Jahresringe von Bäumen werden mit dieser Methode anhand ihrer unterschiedlichen Breite einer bestimmten Wachstumszeit zugeordnet. Die Breite der Jahresringe ist von den klimatischen Bedingungen abhängig. Diese Anomalien ermöglichen den Dendrochronologen festzulegen, wann das für die Konstruktion benutzte Holz gewachsen und bearbeitet worden ist. Mit dieser Methode wurden die Regale sowie die unter den Burgfenstern eingebauten Holzsitze analysiert. Dadurch wissen wir, dass der Bau der Burg im Jahre 1356 beendet wurde.“

Die vielen Holzelemente sind erhalten geblieben, weil die Burg nie umgebaut wurde. Sie diente auch als Speicher und das Dach blieb immer intakt. Dies beweise, dass diese historischen Materialien auch bei minimaler Pflege sehr haltbar seien, so die Expertin.

Foto: Barbora Kmentová
Bei der Besichtigung fallen die verhältnismäßig viele Risse im Putz und im Mauerwerk auf, die es sowohl im Inneren als auch in der Fassade der Burg gibt. Die Expertin:

„Dies hängt damit zusammen, dass die Burg auf einem seismisch aktiven Gebiet steht. Wir wissen, dass unsere Vorfahren versuchten, die Risse zu füllen oder zu reparieren. Historische Gebäude sind aber lebende Konstruktionen, die auf Feuchtigkeits- und Temperaturschwanungen reagieren. Darum sind die Risse trotz Reparaturen wieder sichtbar. Die Burg bewegt sich übrigens bis heute. Die Risse zeugen davon, dass es hier mehrmals zu starken Erschütterungen kam. Zum ersten Mal gleich nachdem die Burg erbaut worden war. Bečov wurde aber so stabil gebaut, dass nicht einmal ein Erdbeben es beschädigen konnte.“

Foto: Barbora Kmentová
Das Einzigartige der Burg sind aber nicht nur der mittelalterliche Putz und die zahlreichen Originalholzelemente. Bečov sei zudem eine Schatzkammer verschiedener Inschriften und Zeichnungen. Die älteste Inschrift auf der Burg lautet „Ich hoff“ und befindet sich in der Mariä-Heimsuchung-Kapelle. Außer den Inschriften aus dem Mittelalter gibt es noch Hinterlassenschaften jüngeren Datums, sagt Dagmar Michoinová:

„Es gibt hier eine ganze Sammlung von Unterschriften der ersten Touristen, die die Burg besucht haben. Neben Namen und der Jahreszahl findet man oft auch eine kurze Nachricht. Dies beweist den Bedarf des Menschen, sich am Ort, den er besucht hat, zu verewigen.“

Burg und Schloss Bečov sind im September täglich außer Montag von 9 bis 16 Uhr geöffnet, im Oktober ist das Areal nur am Wochenende von 9 bis 16 Uhr zugänglich.

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