Abgerissen zwischen 1990 und 2020: Die verschwundenen Bauten Prags

Transgas-Gebäude

Abrisse begleiten die Stadtgeschichte Prags genauso wie der Bau neuer Häuser. Wir führen Sie an Orte, an denen einst Häuser standen, die es heute nicht mehr gibt.

Kateřina Bečková: Zbořeno | Foto:  Verlag Paseka

In ihrem Buch Zbořeno (auf Deutsch: Abgerissen) dokumentiert die Historikerin Kateřina Bečková zahlreiche Häuser und Gebäude, die von 1990 bis 2020 in Prag verschwunden sind. Die teils historischen Objekte mussten Neubauten und kommerziellen Projekten weichen. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte die Historikerin:

Kateřina Bečková | Foto: Miloslav Hamřík,  Tschechischer Rundfunk

„Das Buch umfasst rund 50 abgerissene Häuser, aber auch etwa Gebäudekomplexe alter Fabriken. Ich habe des Weiteren Bauten erwähnt, denen der Abriss aktuell droht. In einem Kapitel geht es um Häuser, deren Fassade erhalten ist. Viele Menschen erkennen gar nicht, dass das ursprüngliche Haus dahinter nicht mehr steht.“

Špaček-Haus – der erste Medienskandal

Špaček-Haus um 1940 | Foto:  Nationalinstitut für Denkmalpflege

Der Abriss des Špaček-Hauses im Jahr 1993 sei für sie der Impuls gewesen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, sagt Bečková:

„Dies war nach der Wende von 1989 der erste Medienskandal, die Zeitungen schrieben viel darüber. Wir haben damals zum ersten Mal erlebt, wie ein gesundes und schönes Haus in der Denkmalschutzzone abgerissen wurde. Das war ein Schock. Dabei zeigte sich, dass selbst die Demokratie wertvolle Bauten nicht schützen kann, wie wir es angenommen hatten – eher im Gegenteil.“

Špaček-Haus  (ganz Hinten) auf dem Gemälde von Jan Minařík | Foto  aus dem Buch „Zbořeno“ von Kateřina Bečková,  Verlag Paseka

Konkret handelte es sich um ein dreistöckiges Wohngebäude sowie Pferdeställe im Stil des Neubarock, die 1902 am Moldau-Ufer entstanden. Der Post- und Speditionsunternehmer Václav Špaček hatte dort seinen Firmensitz. Špačeks Nachkommen erhielten das von den Kommunisten konfiszierte Areal nach der Samtenen Revolution zurück und entschieden sich, an seiner Stelle einen der ersten Bürokomplexe in Prag zu errichten. Dadurch entfesselte sich eine hektische Debatte:

Špaček-Haus | Foto: Otakar Pajer,  Buch „Zbořeno“ von Kateřina Bečková,  Verlag Paseka

„Die ältere Generation der Kunsthistoriker fand an dem Haus überhaupt keinen Wert und Gefallen. Ihrer Meinung nach war der neubarocke Stil dort allzu locker umgesetzt worden. Die Öffentlichkeit und die Laien, die sich für solche Details nicht interessieren, waren unglücklich über die Pläne der Erben.“

Bečková hat das allmähliche Verschwinden des Gebäudes mit ihrem Fotoapparat verfolgt. Dieser Fall bewog sie zudem, dem „Klub für das alte Prag“ beizutreten, dessen Vizevorsitzende sie heute ist. Dieser Verein setzt sich für den Erhalt wertvoller Baudenkmäler ein. Die Historikerin hat seitdem das Verschwinden von mehreren Dutzend Häusern aus dem Prager Stadtzentrum dokumentiert. Auf die Idee, darüber ein Buch zu verfassen, kam sie jedoch erst vor einigen Jahren:

Špaček-Haus | Foto: Ondřej Němec,  Buch „Zbořeno“ von Kateřina Bečková,  Verlag Paseka

„Als sich der Abriss der Gebäude häufte, wurde mir klar, dass ihre Geschichten gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen. Zum Beispiel die Tatsache, dass sie keine Kulturdenkmäler sind und dass die Öffentlichkeit vergeblich versucht hat, sie als solche registrieren zu lassen. Beziehungsweise dass ihr Wert in Zweifel gestellt wurde oder wird.“

Das Phenol greift an

Haus Nr. 12 in der Soukenická-Straße | Foto: © Google

In der Soukenická-Straße in der Prager Neustadt befand sich zum Beispiel ein spätbarockes Wohnhaus mit gotischen Kellern und einer Engel-Figur über dem Portal. Es stand nur wenige Wohnblöcke entfernt vom Špaček-Haus. Heute prangt dort eine Lücke. Denn die Anwohner haben über zehn Jahre lang gegen den ursprünglich geplanten Bau von zwei achtstöckigen Türmen gekämpft. „Das Phenol greift an“ heißt das Kapitel, in dem dies behandelt wird:

Haus Nr. 12 in der Soukenická-Straße | Foto  aus dem Buch „Zbořeno“ von Kateřina Bečková,  Verlag Paseka

„Als der Plan des Investors im Sommer 2015 nach dem dritten Einspruch der Anwohner erneut zu scheitern drohte, ließ dieser den Dachstuhl und den Hinterhofflügel ohne Genehmigung abreißen. Danach passierte etwas Merkwürdiges: Die Menschen in der Umgebung nahmen einen unangenehmen Geruch wahr. Das Gesundheitsamt stellte fest, dass sich dort giftiges Phenol ausbreitet. Deswegen ordnete das Bauamt einen sofortigen Abriss des Hauses an. Ich kann nicht behaupten, dass der Investor selbst dahintersteckt. Erklärt wurde das Phänomen damit, dass in der Zwischenkriegszeit dort eine Apotheke untergebracht gewesen sei und die chemischen Stoffe aus dieser Zeit stammen würden. Der Investor erzielte aber, was er wollte.“

Haus Nr. 1277 in der Vodička-Straße | Foto  aus dem Buch „Zbořeno“ von Kateřina Bečková,  Verlag Paseka

In der verkehrsreichen Vodička-Straße in der Nähe des Wenzelsplatzes machen wir als Nächstes halt. 1876 war dort ein kleines, sehr dekoratives Haus erbaut worden. 1956 wurde darin das erste und damals einzige chinesische Restaurant in Prag eingerichtet:

„Das Restaurant war sehr beliebt, es bot eine hierzulande unbekannte Gastronomie an. Besonders bei Menschen aus dem Showbusiness war es beliebt. Die Köche, aber auch die Einrichtung, stammten aus dem befreundeten China.“

Nach der Wende erwarb ein Investor das Haus. Sein Plan, dort ein Einkaufszentrum zu errichten, rief eine Welle des Protests hervor. In der Folge versprach er, zumindest einen Teil des Baus zu erhalten. Allerdings hieß es dann, bei den Demolierungsarbeiten sei ein Teil des Hauses eingestürzt. Anschließend wurde das ganze Gebäude abgerissen.

Euer Haus ist unsere Stadt!

Kozák-Haus | Foto: Kristýna Maková,  Praha křížem krážem

Ähnliche Vorkommnisse gab es auch auf dem Wenzelsplatz. 2017 verschwanden von dort ein Bürohaus und die anliegende Druckerei an der Ecke zur Opletal-Straße. Es war das Kozák-Haus im Neurenaissance-Stil aus den 1880er Jahren. Mit seinen reichen Verzierungen und seiner Kuppel bildete es einen Gegenpol zum Nationalmuseum am oberen Ende des Wenzelsplatzes. Im 20. Jahrhundert wurde seine Fassade erfolgreich modernisiert:

„Dieses Haus ist mir wohl am meisten am Herzen gelegen. Meine Kollegen und ich vom ‚Klub für das alte Prag‘ haben zehn Jahre lang für seine Rettung gekämpft. Wir hielten es für unmöglich, ein gesundes und genutztes Haus in der Denkmalschutzzone ohne weiteres abreißen zu lassen.“

„Wir hielten es für unmöglich, ein gesundes und genutztes Haus in der Denkmalschutzzone ohne weiteres abreißen zu lassen.“

„Euer Haus ist unsere Stadt!“ Unter diesem Motto fanden Demonstrationen für die Rettung des Hauses statt. Kateřina Bečková:

„Wir wollten mit dem Slogan zum Ausdruck bringen, dass dem Besitzer zwar die Ziegeln und die Mauern, also die Baumaterialien gehören. Die Bedeutung des Hauses gehört aber uns allen, die hier wohnen, am Haus vorbeigehen und Prag als ihre Stadt wahrnehmen. Ich bin der Meinung, dass der Besitzer nicht beliebig mit seinem Besitz verfahren kann, wenn sich dieser an einem Ort befindet, der für viele weitere Menschen von Bedeutung ist.“

Transgas-Gebäude | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Einer der vorerst letzten wertvollen Baukomplexe, die aus dem Stadtbild Prags getilgt wurden, ist das sogenannte Transgas-Gebäude. Es war in den 1970er Jahren oberhalb des Wenzelsplatzes errichtet worden:

„Es war ein außerordentlicher Bau. Er diente als Sitz des Energieministeriums und als Kontrollzentrum für die Gaswerke. Der Komplex bestand aus drei Gebäuden. Die Gaswerk-Zentrale im vorderen Bereich war mit Pflastersteinen verkleidet. Dadurch sollte eine Großrechenanlage vor den Einflüssen der Umwelt geschützt werden. Der Bau war sehr originell und erinnerte an nichts, was wir hierzulande kannten.“

Foto: Tomáš Vodňanský,  Tschechischer Rundfunk

Trotz massiver Proteste und Bemühungen gelang es nicht, das Haus zu retten. Sogar der Prager Magistrat wollte es abkaufen, der vom Investor geforderte Preis war aber zu hoch. Laut Medienberichten bemüht sich aktuell der Besitzer, der dort ein Einkaufszentrum geplant hatte, das Grundstück zu verkaufen. Seit 2020 ist dort eine leere Fläche.

Autoren: Markéta Kachlíková , Šárka Jančíková
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