Action, please!- RTL verfilmt Flüchtlingsdrama von '89 in Prager Botschaft
Sie kamen nach Prag, weil sie in ihrem Staat nicht mehr leben wollten: Tausende DDR-Bürger suchten im Herbst 1989 Zuflucht in der westdeutschen Botschaft in Prag. Zeitweise über 5000 Frauen, Männer und Kinder harrten in der in der diplomatischen Vertretung aus, sie alle hofften auf eine Ausreise in die Bundesrepublik. Der private deutsche Fernsehsender RTL verarbeitet die geschichtlichen Ereignisse von 1989 jetzt in einem Spielfilm, gedreht wurde in und um Prag.
Und dann alles noch ein Mal von vorne los. Denn so ganz zufrieden ist Regisseur Lutz Konermann noch nicht. Schauspieler Hans-Werner Meyer muss sich noch ein Mal den Weg durch die wartenden Menschen bahnen und die verzweifelte Frau an der Feldküche beruhigen. Sie steht in einem weißen Rot-Kreuz-Zelt und klagt dem Herrn im schwarzen Anzug ihr Leid; im Hintergrund drängen sich Männer, Frauen und Kinder mit Schüsseln und Bechern in der Hand, sie warten ungeduldig auf die Essensausgabe. Strahler und Leuchten tauchen das Zelt in ein helles Licht. Zwei schwere Fernseh-Kameras sind auf die beiden Darsteller gerichtet.
Was heute noch einmal für den Film nachgespielt wird, war vor 17 Jahren für Tausende Menschen Realität. Es war eng im Garten und in den Räumen der Botschaft. Am 19. August 1989 lebten rund 120 Flüchtlinge dort, täglich kamen 20 bis 50 weitere hinzu. Am 23. August schloss Botschafter Hermann Huber das Barockpalais für den Publikumsverkehr, die Konsularabteilung musste vorübergehend in ein Prager Hotel umziehen. Der Botschafter außer Dienst hat später die Ereignisse des Herbstes 1989 niedergeschrieben. Nachdem die Konsularabteilung ausgelagert war, bezogen sofort Flüchtlinge die freigewordenen Räume, erinnert er sich.
"Sodann wurde die dadurch freigewordene Orangerie der Botschaft in Schlaf- und Aufenthaltsräume für die Flüchtlinge umfunktioniert. Am 24. August erteilte mir Minister Genscher die Erlaubnis, Zelte und zusätzliche sanitäre Anlagen im Park aufzustellen. Beides hatte die Botschaft bereits angefordert, so dass wir schon am 25. August sechs große Zelte aufstellen konnten, in denen zunächst 60 Flüchtlinge bequem Platz fanden. Eines dieser Zelte diente als Schulzelt. Meine Frau kaufte in Weiden in der Oberpfalz Schultüten, so dass wir pünktlich am 1. September die Erstklässler `einschulen` konnten. Unterricht erteilten als Lehrerinnen ausgebildete Ehefrauen von Botschaftsangehörigen."Von Schulunterreicht kann vier Wochen später keine Rede mehr sein. Rund 4000 Frauen, Männer und Kinder drängen sich im Garten, auf den Fluren und dem Dachboden. Immer wieder will DDR-Rechtsanwalt Wolfgang Vogel die Flüchtlinge zur Rückkehr überreden. Er stellt ihnen eine baldige Ausreise von der DDR in die Bundesrepublik in Aussicht.
Vor diesem Hintergrund spielt der Film "Prager Botschaft". Er erzählt die Geschichte der jungen ostdeutschen Bettina, die mit ihrem Mann in Prag auf Hochzeitsreise ist. Er überredet sie, in der Stadt zu bleiben und in die Botschaft zu fliehen, während er sich aufmacht, den gemeinsamen Sohn nachzuholen. In der westdeutschen Vertretung trifft Bettina dann zufällig eine lang verflossen geglaubte Liebe wieder, den Kulturattaché Georg Stein, gespielt von Hans-Werner Meyer.
"Georg Stein ist eine erfundene Figur. Er ist der ehemalige Liebhaber von Bettina und sie ist die Liebe seines Lebens. Fünf Jahre vor den Ereignissen in der Prager Botschaft haben sie sich aus den Augen verloren. Und jetzt treffen sie sich zufällig hier wieder", umreißt Theater- und Filmschauspieler Meyer die Beziehung von Georg und Bettina.Anneke Kim Sarnau spielt die Bettina, auch ihre Rolle hat die Drehbuchautorin erfunden. "Bettina ist eine junge Frau, die eigentlich nicht in den Westen fliehen möchte. Im Grunde glaubt sie an ihr Land und möchte es von innen heraus ändern. Sie fühlt sich überrumpelt, als ihr Mann sagt, dass sie flüchten müssen. Als Bettina später herausfindet, dass sie von der Stasi bespitzelt wurde, bricht eine Welt für sie zusammen. Ihre wahre Kraft entwickelt sie erst in der Botschaft, denn sie ist bereit für ihre Familie zu kämpfen und gegen ihr Land", sagt die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Schauspielerin.
Im Lobkovic-Palais, der Botschaft in Prag, durfte die Filmcrew nur einige Tage drehen, deshalb hat man in Doksany, 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt, den Botschaftsgarten nachgestellt. Auf rund 3500 Quadratmetern reihen sich 20 Zelte aneinander. Welkes Laub liegt auf den Planen, der Untergrund ist matschig, am Rande steht ein alter Toilettenwagen aus verwitterten Holzplanken. Dort wo gerade nicht gedreht wird, warten Rot-Kreuz-Helfer, Techniker und Komparsen in 80er-Jahre-Kleidung auf ihren Einsatz. Insgesamt 1800 Statisten wirken in dem Film mit, erzählt Producerin Annette Köster.
"Man kann 1800 Leute nicht in einem Fernsehbild zeigen. Also spielen immer nur so viele mit, wie gerade in der Kameraeinstellung gesehen werden können. Die Komparsen sind Tschechen, viele von ihnen sprechen Deutsch, aber sie kommen aus Prag", so Köster.Der zweite Regieassistent gibt den Komparsen ihre Anweisungen, er ist zweisprachig aufgewachsen, spricht Tschechisch und Deutsch. Dass die Laiendarsteller Deutsch können, sei dann wichtig, wenn sie kleine Sprechrollen haben, so wie die Frau an der Feldküche. Im Film habe sie später ein akzentfreies Deutsch, erzählt Annette Köster, denn die Stimmen der Komparsen werden in Köln im Studio lippensynchron nachgesprochen.
Die 13-jährige Tereza Skruzena hat gerade Drehpause. Zusammen mit Freunden sitzt sie bei Cola und Keksen an einem langen Tisch im beheizten Komparsenzelt und erzählt von ihren Fernseh-Auftritten:
"Wir müssen zum Beispiel an der Essensausgabe Schlange stehen. In einer Szene esse ich Gulasch und manchmal sitze ich auch nur im Hintergrund und wir unterhalten uns."
Gelegentlich als Statisten im Bild sind auch 20 Helfer vom Roten Kreuz. Schon 1989 waren sie vor Ort, heizten die Feldküche an, verteilten Kleidung und schliefen nachts neben den Flüchtlingen auf der Treppe, erinnert sich Rot-Kreuz-Helfer Hubert Hoping. Heute unterstützt er das Drehteam. Das Rote Kreuz hat Zelte, Uniformen und Feldbetten aus den 80er-Jahren zur Verfügung gestellt. Auch wenn am Set jetzt alles fast genauso aussieht wie 1989, so sei es eben doch nur ein Film, meint Hubert Hoping."Wir sind vor zwei Wochen auch in der Botschaft gewesen und dort ist alles fast so nachgebaut worden, wie damals. Aber so ein Ereignis mit 10 000 Menschen auf dem Gelände und den vielen Trabis auf der Straße kann man gar nicht nachspielen."
Am 30. September um 18.30 Uhr trifft Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Lobkovic-Palais ein, schreibt Botschafter Huber später.
"Um 18.58 betritt der Minister den Balkon des mit Stockbetten vollen Kuppelsaals. Von dort spricht er zu den Flüchtlingen `Liebe Landsleute, ich bin heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland bevorsteht.` Der Jubel der cirka 4000 Menschen im Park ist unbeschreiblich."
"Als Herr Genscher oben auf dem Balkon stand und sagte, verkündete, dass alle in den Westen reisen dürfen, war die Stimmung toll. Wir lagen uns mit den Leuten aus dem Osten in den Armen und haben geheult",
schildert Hubert Hoping die Stimmung an diesem historischen Tag. Genscher selbst war zwar bei den Dreharbeiten vor Ort, die historische Szene noch einmal spielen, wollte er aber nicht. So mimt nun ein tschechisches Double den damaligen Außenminister. Voraussichtlich im Herbst 2007 können auch die Fernsehzuschauer ein Stück deutsch-deutsch-tschechischen Geschichte am Bildschirm miterleben. Dann strahlt RTL die rund zwei Millionen teure Produktion "Prager Botschaft" und einen Dokumentarfilm über die Botschaftsflüchtlinge aus.