Albträume und Briefe an Freunde in Strafkolonien: Belarussische Studierende in Tschechien
Sie leben in Tschechien, aber in Gedanken sind sie immer noch in Belarus. So äußern sich Student*innen, die vor den Repressionen des Lukaschenko-Regimes nach Tschechien geflüchtet sind.
Im ersten Semester dieses akademischen Jahres haben 113 Student*innen aus Belarus von tschechischen Universitäten finanzielle Unterstützung bekommen. Die meisten studieren an der Prager Karlsuniversität, an der Westböhmischen Universität in Plzeň und an der Technischen Universität in Liberec. In der nordböhmischen Kreisstadt studieren auch die Belarussinnen Lisaweta, Darya und Wera. Vor einem Jahr flüchteten sie nach Tschechien. Warum, das verrät auch ein Aufkleber auf der Zimmertür im Studentenwohnheim:
„Dort steht, dass wir neue Wahlen fordern,“ sagt Lisaweta. Sie erinnert sich dabei an die Präsidentschaftswahlen von 2020. Eine Zeichnung, auf der ein Polizist abgebildet ist, macht im Studentenzimmer zudem darauf aufmerksam, wie brutal die Proteste nach Veröffentlichung des offiziellen Wahlergebnisses unterdrückt wurden. Für Lisaweta ist das jedoch kein abgeschlossenes Kapitel. Davon zeugt auch das T-Shirt, das sie trägt, mit einer Aufschrift in Belarussisch:
„Buduju buduschtschinu. Das bedeutet, ich baue die Zukunft auf,“ erklärt die Studentin. Über den Belarussischen Studentenverband stehe sie mit weiteren Studierenden in Verbindung, die in andere Länder geflüchtet seien:
„Sie sind in der Ukraine, in Deutschland, in Litauen sowie in Polen. Da wir jetzt in der Freiheit leben, können wir alles Mögliche für Belarus tun.“
So schreiben sie beispielsweise ihren ehemaligen Mitstudenten, die in Strafkolonien geschickt wurden, Briefe.
„Wir sind viele und haben diese Menschen nicht vergessen. Ich habe drei Freundinnen, die im Gefängnis sitzen. Sie müssen dort arbeiten, Uniformen für die Polizei nähen. Wenn man jemandem schreibt, der im Gefängnis ist, muss man mit der Zensur rechnen. Man darf keine politischen Themen erwähnen.“
Die Studentinnen erzählen außerdem von Albträumen über eine mögliche Rückkehr an die Universität im Heimatland. Die Erlebnisse auf den Demonstrationen hätten sie nicht vergessen, betont Darya:
„Wir wohnen zwar hier, aber unsere Gedanken sind noch in Belarus. Natürlich möchten wir unsere Familien und unsere Freunde treffen. Aber das ist jetzt einfach nicht möglich.“
Auf die Frage, ob ihre Angehörigen und Freunde in Sicherheit sind, gibt es eine klare Antwort:
„Nein, denn in Belarus kann niemand in Sicherheit sein. Dort weiß man nicht, was morgen sein wird. Zurzeit gibt es nur Repressionen über Repressionen.“
Alle drei Belarussinnen haben bei Studienantritt in Liberec einen Tschechisch-Kurs absolviert. Schon im ersten Semester hatten sie Vorlesungen und Seminare auf Tschechisch. Mit Fachbegriffen hätten sie jedoch noch Probleme, wie sie zugeben. Hilfe beim Tschechisch-Unterricht bietet den belarussischen Student*innen unter anderem die vor kurzem entstandene Initiative „11+1“. Der Name erinnert an den 12. November 2020. Damals wurden elf Studenten und eine Professorin in Minsk verhaftet mit dem Ziel, die anderen Student*innen und Pädagog*innen einzuschüchtern. Petr Ťoupalík ist Doktorand an der Prager Karlsuniversität und Mitbegründer der Initiative:
„Wir sind mit etwa 60 Menschen in ganz Tschechien vernetzt. Die Mehrheit von ihnen erweitern laufend ihre Tschechisch-Kenntnisse. Einige befassen sich mit Fächern wie die Geschichte Mitteleuropas oder Linearalgebra.“
Das tschechische Bildungsministerium unterstützt belarussische Student*innen zudem mit speziellen Stipendien.