Als die Prager ihre Sommerresidenzen in Roztoky bauten

Einige Kilometer von Prag entfernt am linken Moldauufer liegt das Städtchen Roztoky. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte der eher ruhige Ort einen ungewöhnlichen Bauboom. Denn viele Prager entschieden sich für ein Sommerhaus dort. Mit diesem Phänomen befasst sich eine neue Dauerausstellung. Diese ist im Mittelböhmischen Museum zu sehen, das im Schloss von Roztoky untergebracht ist. 

Mittelböhmisches Museum in Roztoky | Foto: Martina Schneibergová,  Tschechischer Rundfunk

Vom Bahnhof in Roztoky zum dortigen Schloss sind es nur ein paar Minuten zu Fuß. In der Residenz hat das Mittelböhmische Museum seinen Sitz. Die ersten Informationen über eine an diesem Ort erbaute Festung stammen vom Anfang des 13. Jahrhunderts. Dazu Historikerin Marcela Šášinková vom Museum in Roztoky:

„Damals stand hier ein Holzbau mit einem Wassergraben. Dieser wurde später einige Mal umgebaut – und zwar im Renaissance- und dann im Barockstil. Mehrmals brannte das Gebäude ab. Interessant ist, dass der Adel hier nie gewohnt hat. Am längsten besaß das Adelsgeschlecht Liechtenstein die Residenz – und zwar von 1620 bis 1804. Das Gebäude diente als eine Art Vorratshaus für die Paläste der Familie in Prag.“

Foto: Gemeindeamt in Roztoky bei Prag

Roztoky wurde im 19. Jahrhundert zu einem beliebten Ziel der Prager im Sommerurlaub. 1850 entstanden dort die ersten Villen. „Das Leben in der Sommerresidenz, oder wie man zum Sommeraufenthalt nach Roztoky reiste“ – so heißt die neue Dauerausstellung, die im dortigen Museum zu sehen ist. Warum es viele Prager gerade nach Roztoky zog, weiß Marcela Šášinková. Sie hat die Schau konzipiert.

„Der Grund war die schöne Landschaft im Tal Tiché údolí entlang des Únětice-Bachs. Zudem befinden sich in der Nähe die Burgwallanlage Levý Hradec und die Burgruine Okoř. Und vor allem gab es schon damals eine gute Bahnverbindung zwischen Prag und Roztoky, da 1851 die staatliche Nordbahn fertiggestellt wurde. Zum größten Bauboom kam es im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die jüngste Villa stammt aus den 1930er Jahren. Damals gab es kaum noch Grundstücke, um weitere Häuser errichten zu können. Denn das Tal Tiché údolí ist recht eng“, so Šášinková.

Foto: Mittelböhmisches Museum in Roztoky

Zu den Sommerhäusern gehörten damals in der Regel große Gärten mit Teichen, Schwimmbecken und Zierbeeten. Die Sommergäste verbrachten der Historikerin zufolge viel Zeit in ihren Gartenlauben. Viele jüdische Unternehmer und Bankiers hätten vor allem in den 1870er Jahren Grundstücke gekauft und in den Bau der Sommerresidenzen investiert.

Künstler, Politiker und Bankiers

František August Brauner | Foto: Mittelböhmisches Museum in Roztoky

Unter den Besitzern der Villen waren auch mehrere bedeutende Persönlichkeiten aus Kultur und Politik. Zu den bekanntesten gehört die Malerin Zdeňka Braunerová (1858-1934). Ihr Vater, der Anwalt und Politiker František August Brauner, kaufte 1861 die sogenannte „Kleine Mühle“ in Roztoky. Seine Söhne reagierten in den 1880er Jahren auf die Nachfrage nach Sommeraufenthalten und bauten die frühere Mühle in ein Haus mit Ferienwohnungen um. Die Malerin Braunerová ließ sich 1904 vor Ort ein Atelier bauen. Und weiter erzählt die Historikerin:

„Zu den bekannten Persönlichkeiten, die den Sommer in Roztoky verbrachten, gehörte auch der Volkswirt und österreichische Ackerbauminister Albín Bráf (1851-1912, Anm. d. Red.). Dank der Familie Brauner, bei der er im Sommer oft zu Besuch war, kaufte er sich in der Nähe ihres Hauses eine Villa. Diese Villa gehörte seinen Nachkommen bis in die 1960er Jahre. Anschließend wurde sie an eine Stiftung übertragen. Heute hat sie einen neuen Besitzer, der sich um das Haus gut kümmert.“

Mittelböhmisches Museum in Roztoky | Foto: Martina Schneibergová,  Tschechischer Rundfunk

In Roztoky seien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwei Typen von Villen erbaut worden, merkt Marcela Šášinková an…

„Es handelte sich einerseits um große Familienhäuser, die der breiten Verwandtschaft zur Verfügung standen. In diesen Villen gab es immer einen Salon, aber nur wenige Privatzimmer. Man hatte auch keine Kinderzimmer, weil die Kinder entweder bei der Mutter oder der Gouvernante untergebracht waren. Andererseits wurden hier Villen mit dem Ziel erbaut, sie an Sommergäste zu vermieten. In diesen Häusern befanden sich mehrere Küchen, zu denen immer ein Zimmer gehörte. Sie waren in der Regel sehr schlicht. Meist verbrachten gleich mehrere Familien auf einmal ihren Sommerurlaub in solch einer Mietvilla. Die Häuser bedeuteten für den Besitzer, der dort in der Regel selbst nicht wohnte, eine gute Investition.“

Die Dauerausstellung ist wie eine Führung durch eine Villa konzipiert. Der erste Raum erinnert an eine Eingangshalle, in der die Familie nach der Ankunft ihr Gepäck auspackte und das Personal ihr Tee servierte. Nicht selten kam die breitere Familie in diesen Villen zusammen, das konnten bis zu 40 Mitglieder sein. Im Winter wohnte dort nur der Verwalter mit seiner Frau. Von der Eingangshalle geht es in das sogenannte Boudoir.

Mittelböhmisches Museum in Roztoky | Foto: Martina Schneibergová,  Tschechischer Rundfunk

„Hier wird auf die typischen Hobbys der Frauen in der damaligen Zeit aufmerksam gemacht. Dazu gehörten das Sticken und das Sammeln von Porzellan und Kunstgegenständen. Damen aus höheren sozialen Schichten haben nicht selbst gekocht, das machte das Personal im Souterrain des Hauses. Nur Frauen mit Kindern lebten für längere Zeit in den Villen, denn die Herren gingen zur Arbeit“, so die Kuratorin.

Eine Vorstellung davon, wie in einer der Sommerresidenzen das Essen serviert wurde, können sich die Besucher im Speisesaal machen.

Dass im Sommer die Zahl der Einwohner in Roztoky wegen der Sommergäste anwuchs, bedeutete für den Handel in der Gemeinde ein großes Plus:

„Damit stieg die Nachfrage nach Backwaren, Gemüse und Fleisch. Einige der Sommerhäuser verfügten aber über eigene Gemüsegärten. Probleme gab es nur mit Fleischprodukten, diese mussten aus Prag geliefert werden.“

Mittelböhmisches Museum in Roztoky | Foto: Martina Schneibergová,  Tschechischer Rundfunk

Im Schlossraum, der als Speisesaal gestaltet ist, gibt es nicht nur einen gedeckten Tisch, sondern dort hängt auch ein interessantes Gemälde von Jan Dominik Kotula. Der Künstler malte im Jahr 1840 Roztoky– in einer Zeit, als es dort noch keine Eisenbahnverbindung gab und auch nicht die vielen Sommerresidenzen.

Ein Stück Japan in Roztoky

Hotel Sakura in Roztoky | Foto: Mittelböhmisches Museum in Roztoky

Aus dem Speisesaal geht es in den Wintergarten. Marcela Šášinková erinnert dort an das einst berühmte Hotel Sakura. Der Japanologe und Schriftsteller Joe Hloucha (1881-1957) habe 1924 – nach seiner Rückkehr aus Japan – eine Villa in Roztoky gekauft, erzählt die Historikerin:

Foto: Mittelböhmisches Museum in Roztoky bei Prag

„Er ließ das Haus im japanischen Stil umgestalten. Nach zwei Jahren hatte er finanzielle Probleme und entschied sich, die Villa dem Unternehmer Josef Jiroušek zu verkaufen. Dieser eröffnete dort ein japanisches Teehaus und ließ auf dem Grundstück das Hotel Sakura bauen. Das Hotel war damals sehr beliebt. Einige Filme wurden dort sogar gedreht. Nach dem Krieg wandelte man das Hotel in ein Krankenhaus um. Weil den Kommunisten aber der japanische Baustil nicht gefiel, ist fast nichts mehr von der ursprünglichen Architektur geblieben. An das Hotel war früher ein herrlicher Garten angeschlossen, am Tor standen zudem japanische Laternen. Diese sind auf dem Plakat des Hotels zu sehen. Binnen einiger Jahre wurde dann alles vernichtet. Dies bedeutet einen immensen Schaden, weil es sich um einen einzigartigen Bau gehandelt hatte.“

Foto: Mittelböhmisches Museum in Roztoky

Der repräsentativste Raum in jenen Villen, die kurz nach 1850 erbaut wurden, war der Salon. Später wurde auf diesen aber verzichtet, weil er war nicht wirklich nötig war.

„Denn im Sommer war es angenehm, draußen zu sein. Aus dem Grund sind die Salons allmählich aus den Bauplänen verschwunden. Sie wurden durch Privatzimmer der einzelnen Familienmitglieder ersetzt – durch Frauen- und Herrenzimmer. Und neu kamen auch Kinderzimmer hinzu. Die Salons waren mit den besten Möbeln ausgestattet, die die Familie besaß. In der Regel stand dort auch ein Musikinstrument. Im Salon spielte sich früher das Gesellschaftsleben ab. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden jedoch keine Salons mehr in den Sommerresidenzen errichtet“, so Šášinková.

Mittelböhmisches Museum in Roztoky | Foto: Martina Schneibergová,  Tschechischer Rundfunk

Der letzte Ausstellungsraum zeigt ein Herrenzimmer. Zudem wird dort an einige Persönlichkeiten erinnert, die mit Roztoky verbunden sind:

„Gezeigt wird hier eine Fotografie von Joe Hloucha von seiner Japan-Reise. Man findet hier eine Schrift von Albín Bráf und ein Handbuch über die Herstellung von Globen. Denn in Roztoky hatte die Firma Felkl ihren Sitz, die Globen in die ganze Welt exportierte. Hier steht einer der größten Globen, die von dem Unternehmen angefertigt wurden. So wie dieser Raum hätte vielleicht auch das Zimmer eines Professoren oder Architekten aussehen können, der die meiste Zeit in der Villa verbrachte und nicht jeden Tag zur Arbeit fahren musste.“

Das Mittelböhmische Museum in Roztoky und der Schlosspark sind von Mittwoch bis Sonntag geöffnet, und zwar von 10 bis 18 Uhr. Neben den Dauerausstellungen sind im Schloss eine neue multimediale archäologische Schau und eine Ausstellung mit dem Titel „Bienen und ihre Welt“ zu sehen. Zum Museum gehört zudem das Atelier der Malerin Zdeňka Braunerová, das sich in der Nähe des Schlosses befindet und ebenfalls besucht werden kann.

10
50.158065800000
14.397617300000
default
50.158065800000
14.397617300000