Anders und ausgegrenzt: Zum 100. Geburtstag des Schriftstellers Ladislav Fuks

Ladislav Fuks

Ladislav Fuks war Prosa-Autor und Verfasser psychologischer Romane, in denen die Angst eines von Unfreiheit und Gewalt bedrohten Menschen im Mittelpunkt stand. Als Symbol für dieses Thema wählte er den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Der größte Teil seines Werks ist autobiografisch, obwohl oft im Verborgenen. Die Figur eines sensiblen, schwachen Jungen, der in seiner inneren Welt lebt und sich nach emotionaler Freundschaft sehnt, zieht sich durch fast alle seine Bücher. Ladislav Fuks wurde vor 100 Jahren, am 24. September 1923 geboren.

Der hohe künstlerische Wert, ein raffinierter Stil sowie eine humanistische Botschaft sind laut der Literaturhistorikerin Michaela Kuthanová kennzeichnend für die Bücher von Ladislav Fuks. Die stellvertretende Leiterin des Literaturarchivs im Tschechischen Literaturmuseum hat eine große Ausstellung zum 100. Geburtstag von Ladislav Fuks kuratiert, die bis Ende Oktober 2023 im Lustschloss Hvězda in Prag zu sehen ist.

Ladislav Fuks hat 1963 sein Erstlingswerk publiziert. Damals war er gerade 40 Jahre alt.

Ladislav Fuks | Foto: Václav Richter,  Radio Prague International

„Das Buch ‚Herr Theodor Mundstock‘ (Pan Theodor Mundstock) wird der sogenannten zweiten Welle der Kriegsliteratur eingeordnet. Das waren Werke, die in den 1960er Jahren veröffentlicht wurden, also mit einem Abstand von 15 bis 20 Jahren nach dem Kriegsende. Für die zweite Welle ist nicht nur dieser zeitliche Abstand prägend, sondern auch eine persönliche Distanz, mit der die Problematik betrachtet wurde. Die Literatur brachte nicht nur eine bloße Aufzeichnung der Kriegsereignisse und Verbrechen des Nationalsozialismus, sondern versuchte, sie auf eine allgemein menschliche Ebene zu bringen. Dies ist auch das Hauptmerkmal des Buches ‚Herr Theodor Mundstock‘.“

Ladislav Fuks habe sich in seiner Erstlingsnovelle als ein Autor präsentiert, der schon einen ausgefeilten und raffinierten Schreibstil besitze, hebt die Literaturhistorikerin hervor:

Bücher von Ladislav Fuks | Foto: Václav Richter,  Radio Prague International

„Er schildert das Geschehen aus der Perspektive seiner Hauptfigur, in direkter Rede und vor allem im inneren Dialog. Das Schreiben, das er hier an den Tag legte, blieb charakteristisch für seine Werke in den nachfolgenden Jahren: In den Büchern findet sich ein tiefes Gespür für die innere Psychologie seiner Protagonisten, vor allem solcher, die Gewalt, Aggression und die Übermacht äußerer Umstände erleben mussten.“

Die Novelle schildert das Schicksal eines Prager Juden in der Zeit der deutschen Okkupation der Tschechoslowakei:

„Der Autor begleitet einen jüdischen Beamten in der Zeit des Protektorats, in der der Druck auf die jüdische Gemeinde zunimmt. Fuks verfolgt, wie der Protagonist innerlich mit dem zurechtkommen muss, was um ihn herum geschieht: Nach und nach verschwinden seine Freunde, jede Woche müssen neue und neue Menschen zur Deportation antreten. Herr Mundstock weiß, dass auch er eines Tages einen Brief im Postkasten findet, der ihn auffordert, sich zur Deportation anzumelden. Er entscheidet sich, sich auf diese Situation vorzubereiten. Das Wesentliche daran ist, dass Herr Mundstock auch in einer so extremen Situation nicht aufgibt und sich bemüht, seine menschliche Identität zu bewahren und bis zum letzten Moment, wenn möglich, den Menschen in seiner Umgebung zu helfen.“

Zweiter Weltkrieg und Holocaust

Ladislav Fuks hat den Holocaust wiederholt in seinen Büchern thematisiert. Er selbst hatte aber keine jüdischen Wurzeln:

 ‚Herr Theodor Mundstock‘  | Foto: Žatva

„Seine Sensibilität für diese Thematik wird oft anhand seiner Homosexualität erklärt, der er sich wahrscheinlich während seiner Studienzeit bewusst wurde. Die homosexuelle Minderheit wurde in den Jahren des Protektorats ähnlich verfolgt wie die jüdische. Das Gefühl, von der Gesellschaft ausgegrenzt und ausgestoßen sowie einfach anders zu sein, endete bei Fuks nicht mit dem Kriegsende. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Homosexualität hierzulande bis 1961 als Straftat galt und auch danach von der Gesellschaft tief verachtet und verspottet wurde. Zudem war Ladislav Fuks ein tief religiöser Mensch. Dies war sicherlich die Ursache für einen tiefen inneren Zwiespalt, der sein persönliches Leben ebenso wie seine literarischen Texte geprägt hat.“

Die Novelle „Herr Theodor Mundstock“ ist das im Ausland bekannteste Werk von Fuks. Es sei in viele Sprachen übersetzt sowie für Film und Theater bearbeitet worden, und habe besonders in den deutschsprachigen Ländern eine besondere Beliebtheit erlangt, sagt Kuthanová.

Ein weiteres Buch, das große Anerkennung findet, sind „Die Mäuse der Natalie Mooshaber“ (Myši Natalie Mooshaberové), ein Roman mit Horrorszenarien, der aber auch groteske und phantastische Momente enthält.

„‚Die Mäuse der Natalie Mooshaber‘ wurden im Übergang von den 1960er zu den 1970er Jahren veröffentlicht, nachdem die Bewegung des sogenannten Prager Frühlings unterdrückt worden war und eine harte Politik der sogenannten Normalisierung vorbereitet wurde. Das Buch ist ein Versuch um das Genre Science Fiction. Die Geschichte spielt in einem nicht näher bezeichneten Land in einer unbestimmten Zeit, es kommen darin sowohl historische als auch stark futuristische Elemente vor. Wichtig ist, dass es sich um ein Bild eines autoritären, totalitären Regimes handelt, das seine Bürger sehr streng verfolgt. Wir finden darin zahlreiche typische Merkmale der Totalität hierzulande, wie etwa die Listen von unbequemen Personen, die Aufsicht über die Erziehung von Jugendlichen und die andauernde Polizeiüberwachung.“

Fuks wurde manchmal vorgeworfen, dass er die späteren Ausgaben um ein Vorwort ergänzte, das die Leser dazu bringen sollte, die fiktive literarische Welt nicht mit der damaligen sozialistischen Realität zu verknüpfen:

„Die Parallelen sind aber so offensichtlich, dass ein durchschnittlicher Leser bis heute erkennen kann, worum es geht. Das Buch endet mit einem offenen Militärputsch gegen den Totalitarismus. Die motivische und sprachliche Struktur des Buches ist eine intelligente Satire auf das damalige Regime.“

Homosexualität

Der Einstieg in die Literatur 1963 kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel, und Ladislav Fuks wurde in kürzester Zeit zu einem der bekanntesten Schriftsteller nicht nur in der Tschechoslowakei, sondern auch in Europa. Ende der 1960er Jahre beugte er sich jedoch dem politischen Druck und stellte sich immer deutlicher auf die Seite des herrschenden kommunistischen Regimes. Er gab in zahlreichen Zeitungen Interviews, in denen er das sozialistische Establishment lobte, und wurde Mitglied des sich normalisierenden tschechoslowakischen Schriftstellerverbands. Mit all dem sorgte er wohl dafür, sein persönliches Leben nach seinen eigenen Vorstellungen führen zu können:

Ladislav Fuks in seiner Wohnung | Foto: Václav Richter,  Radio Prague International

„Ladislav Fuks war nach Aussagen seiner Freunde und Zeitgenossen kein Heldentyp. Er war nicht in der Lage, dauerhaft unter der Last der Angst oder in einem Konflikt zu leben. In Folge dessen war er ein leichtes Ziel für die Zwänge der Macht. Laut seinen Zeitgenossen stand dahinter keine Böswilligkeit oder der Wille, jemandem Schaden zuzufügen. Er war sich bewusst, versagt zu haben, und schämte sich wahrscheinlich auch dafür. Andererseits lässt sich aber nicht leugnen, dass er gewisse Vorteile daraus zog. Er konnte seine Texte veröffentlichen, und zwar nicht nur hierzulande, sondern auch im Ausland, wovon er wiederum finanziell profitierte. Es war nicht üblich, dass ein tschechoslowakischer Staatsbürger ein Devisenkonto besaß, auf das Honorare aus dem Westen überwiesen wurden. Er reiste regelmäßig nach Jugoslawien, Italien, Westdeutschland, hatte Freunde in der Schweiz. Und nicht zuletzt konnte er ein Leben der Bohème mit seiner Gesellschaft, mit seinen jungen, charmanten männlichen Freunden führen, und das wurde toleriert.“

Ladislav Fuks in seiner Wohnung | Foto: Václav Richter,  Radio Prague International

Von Sagen umwoben war nicht nur der extravagante Lebensstil, sondern auch die bizarre Wohnung des Schriftstellers im Prager Stadtteil Bubeneč. Die Fenster waren verdeckt, an den Wänden hingen viele Bilder, es gab dort eine große Anzahl von Büchern und anderen Gegenständen, unter anderem einen Käfig mit einem ausgestopften Papagei und Kunstblumen.

„Ich muss sagen, dass der tote Papagei und die Kunstblumen typisch für Fuks‘ Weltanschauung und Ästhetik sind: Es handelt sich um Dinge, die nicht dem Diktat der Zeit unterworfen sind. Die künstlichen Blumen verwelken nicht, der ausgestopfte Papagei muss nicht gefüttert werden, er gibt keinen Laut von sich. Er ist eine statische Erinnerung an etwas, das gewesen ist. Er ist eine Erinnerung an den Lauf der Zeit. Und das ist einer der Hauptgedanken, mit dem Fuks spielt und den er dann in seinem letzten Roman aufgreift.“

'Die Herzogin und die Köchin' | Foto: Žatva

Das erwähnte letzte Buch ist der Geschichtsroman „Die Herzogin und die Köchin“ (Vévodkyně a kuchařka) aus dem Jahr 1983:

„Fuks selbst hat diesen Roman als Geschichts-Science-Fiction bezeichnet. Das klingt widersprüchlich, charakterisiert aber dieses merkwürdige Werk. Der Roman gilt neben Arbeiten von Milan Kundera als einer der markantesten Vorboten der Postmoderne in der tschechischen Literatur. Er erschien im Jahr von Fuks‘ 60. Geburtstags, und ich würde ihn als sein literarisches Vermächtnis bezeichnen. Allgemein wird die These angenommen, dass die Hauptfigur, die Herzogin Sophie, ein Alter Ego des Autors ist. Sie teilt viele Interessen mit ihm, die Vorliebe für bildende Kunst und Musik etwa, aber auch die Lebensweise.“

Erinnerung an Vergangenes

Ladislav Fuks | Foto: Václav Richter,  Radio Prague International

Der Roman spielt in der aristokratischen Gesellschaft in Wien am Ende des 19. Jahrhunderts. Gleichzeitig ist auch das mittelständische bürgerliche Element stark vertreten, vor allem in Person der Köchin, die tschechischer Herkunft ist. So, wie sie dargestellt ist, erinnert sie an die legendäre tschechische Köchin und Autorin des 19. Jahrhunderts, Magdalena Dobromila Rettigová.

„Der Umgang mit den historischen Fakten ist für Fuks typisch. Er mischt fiktive Charaktere, wie etwa die Hauptfigur der Herzogin Sophie, mit real lebenden Personen, wie zum Beispiel Pauline Metternich, mit der die Herzogin befreundet ist und sich in ihrem Salon trifft. Hinter den Namen der Personen um die Herzogin stehen aber auch viele Freunde und Bekannte von Fuks.“

Im Zusammenhang mit seinem 100. Geburtstag wird viel an ein Zitat von Fuks erinnert: Am vollständigsten sei er nur in seinen Büchern enthalten. Wenn jemand sie in hundert Jahren lese, werde er sich nicht dafür interessieren, wie er selbst gewesen sei, so der Autor. Der Schriftsteller hat schon zu Lebzeiten viele Dokumente über sich verbrannt und versucht, selbst zu beeinflussen, wie er nach seinem Tod wahrgenommen wird:

Eltern von Ladislav Fuks | Foto: Václav Richter,  Radio Prague International

„Ladislav Fuks fing noch zu seinen Lebzeiten an, seine Schriftstücke an unser Literaturarchiv zu übergeben. Zuvor hatte er sie sehr ordentlich sortiert. Er beschrieb zum Beispiel die Fotos, wenn auch nicht immer korrekt und richtig. Wenn er von bestimmten Materialien meinte, dass sie nicht Gegenstand der Forschung sein und in die Hände von Literaturhistorikern geraten sollten, hat er sie vernichtet.“

Dies betreffe auch die Umstände seiner legendären Ehe:

„Er versuchte das Brandzeichen seiner sexuellen Orientierung loszuwerden und der Macht der tschechoslowakischen Organe zu entkommen und heiratete 1964 die italienische Bohemistin Giuliana Limiti. Die Ehe brach nach sehr kurzer Zeit total zusammen. Fuks flüchtete vor seiner Frau zurück nach Prag und versteckte sich für mehrere Wochen in einer psychiatrischen Klinik. Seine Gattin, die zuvor nichts geahnt hatte, erzielte später die kirchliche Scheidung, die bürgerliche Ehe wurde aber nie geschieden.“

Soweit Michaela Kuthanová. Ladislav Fuks wird meistens wahrgenommen als Autor von Büchern mit einer düsteren Atmosphäre, voller morbider Elemente und Motive. Die Literaturhistorikerin weiß aber auch den Humor in seinen Büchern zu schätzen. Dieser basiere auf seinem raffinierten Stil, seiner Bildung und seinem Intellekt, sowie auf der außerordentlichen Fähigkeit, mit grotesken Mitteln, also mit einer Kombination von Tragischem und Komischem, literarisch umzugehen.

Autoren: Markéta Kachlíková , Tomáš Pancíř
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