Literaturagentin: „Tschechien ist nicht unbedingt ein Land, in dem sich Verleger umsehen“

Tschechische Bücher auf der Leipziger Buchmesse

Tschechisch ist eine kleine Sprache, und das schränkt den Büchermarkt hierzulande ein. So darf es auch nicht verwundern, dass die „Prague Literature Agency“ eine Solo-Show ist. Maria Sileny als Gründerin und Besitzerin ist diejenige, die tschechischen Autorinnen und Autoren dabei hilft, ihre Werke in Übersetzung zu publizieren und so an Leser im Ausland zu kommen.

Maria Sileny | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Frau Sileny, Sie sind Literaturagentin. Was darf man sich unter diesem Beruf vorstellen?

„Es gibt verschiedene Arten von Agenturen, aber im Prinzip ist eine Agentur eine Art Brücke zwischen Schriftsteller und Verlag. Die Agentur sucht Autoren aus, oder die Autoren wenden sich an sie, damit sie beurteilt, ob Werke in einem Verlag Erfolg haben könnten. Dann spricht sie die Verlage an, und zwar so, dass die Agentur im Voraus eine Wahl getroffen hat und die Verlage dadurch eine ganze Menge an Arbeit gespart haben. Es handelt sich also um eine Dienstleistung sowohl für die Autoren als auch für die Verlage.“

Wie funktioniert dies eigentlich in der Branche: Wie viele Autorinnen und Autoren wenden sich an einen Agenten, und wie groß ist der Anteil derjenigen, die sich selbst um ihre Bücher und Rechte kümmern?

„Die Branche ist riesig, es gibt Agenturen unterschiedlicher Größe und unterschiedlichen Typs. Ich habe mich auf tschechische Autoren spezialisiert, die ich ins Ausland exportiere. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass sich sehr viele an eine Agentur wenden. Andererseits ist es auch die Aufgabe des Agenten, sehr gut auszuwählen. Natürlich können sich ebenso Autoren selbst an Verlage wenden. Das ist aber der schwierigere Weg für sie, weil sie dann in einem ganzen Berg von Manuskripten verschwinden, die vielleicht irgendwann einmal angeschaut werden oder auch nicht. Wenn ein Autor gute Verbindungen zu einem Verlag hat, kann dieser Weg klappen, wenn nicht, sehe ich eher schwarz.“

Lucie Faulerová | Foto: Tomáš Vodňanský,  Archiv des Tschechischen Rundfunks

Wie kommen Sie eigentlich mit den Schriftstellerinnen und Schriftstellern in Kontakt? Wenden sich diese von selbst an Sie, oder schauen Sie sich in der Branche um und suchen sich Ihre Autoren aus?

„Sowohl als auch. Es gibt natürlich Autoren, die sich an mich wenden, das prüfe ich dann immer. Und ich selbst schaue mich auch um, und wenn mich ein Autor oder eine Autorin sehr interessiert, spreche ich sie von mir aus an. Das ist mir sogar mit einer jungen Autorin sehr gelungen, mit der ich sehr glücklich zusammenarbeite.“

Wer ist das?

„Lucie Faulerová. Sie hat später dann, als sie schon unter meinen Fittichen war, den Europäischen Literaturpreis gewonnen. Das war eine große Freude und hat auch sehr geholfen, ihr Buch im Ausland zu verkaufen.“

Bei Lucie Faulerová haben Sie eine gute Wahl getroffen. Welche sind die Kriterien, nach denen Sie sich entscheiden, wen Sie vertreten möchten?

„Ich gehe gerne in Buchhandlungen, insbesondere in Deutschland, um zu sehen, was dort in den Regalen steht.“

„Erstens muss mich das Buch selbst ansprechen, ich muss es mögen. Zweitens muss ich sehen, dass es inhaltlich über den Tellerrand hinaussieht. Es muss mehr bieten, als nur in sich verborgen zu bohren, sondern auch die Welt muss in dem Buch präsent sein, es sollte möglichst über die Grenzen Tschechiens hinausreichen. Und es muss auf eine Art und Weise geschrieben sein, dass ich mich angesprochen fühle.“

Wie viele Bücher lesen Sie pro Monat etwa?

„Ich lese sehr gern, allerdings würde ich mir wünschen, mehr Zeit dafür zu haben. Ich kann jetzt nicht sagen, wie viele Bücher ich pro Monat oder pro Woche schaffe, aber ich lese alle Manuskripte von ‚meinen‘ Autoren sowie internationale Literatur, um einfach einen Vergleich zu haben. Ich gehe gerne in Buchhandlungen, insbesondere in Deutschland, um zu sehen, was dort in den Regalen steht – was also läuft. Ich bin vielfältig interessiert rund um das Thema Buch.“

Lehnen Sie auch Autoren ab, die sich an Sie wenden?

„Ja, das muss man. Ich bin ein One-Woman-Unternehmen, und es würde mich zerreißen, alle Autoren aufzunehmen, die sich an mich wenden. Das geht gar nicht.“

Sie haben Lucie Faulerová erwähnt, die sogar den Europäischen Literaturpreis bekommen hat. Gibt es noch weitere Bücher, Autoren oder Erfolge, auf die Sie besonders stolz sind?

„Ich bin stolz darauf, was mit Petr Stančík gelungen ist. Er ist ein Autor, der sich dem magischen Realismus verschrieben hat und Bücher schreibt, die sich sehr dafür eignen, über die Grenzen Tschechiens hinauszureichen. Uns ist es gelungen, seinen neuesten Roman auch in Deutschland herauszubringen, unter dem Titel ‚Die Verjährung‘. Ebenso bin ich stolz darauf, dass ich – von null kommend – Zuzana Kultánová Schritt für Schritt im Ausland platzieren konnte. Sie ist eine junge Autorin mit sehr viel Potential.“

Wie viele Autorinnen und Autoren vertritt eigentlich Ihre Agentur, die „Prague Literature Agency“?

„Ich versuche, die Autoren in so viele Länder wie möglich zu bringen.“

„Im Moment habe ich zwölf Autoren und Autorinnen. Ich freue mich darüber, dass ich seit Neuestem Iva Procházková, die ich schon im deutschsprachigen Raum vertreten habe, nun auch weltweit vertreten werde. Ihre Kriminalromane kann ich sehr empfehlen.“

Helfen Sie tschechischen Autoren dabei, vor allem auf den deutschsprachigen Markt zu kommen oder in die ganze Welt?

„Der Anspruch ist tatsächlich die ganze Welt, wobei das ein Riesenwort ist. Ich tue, was ich kann. Natürlich bin ich auf Buchmessen, knüpfe international Beziehungen zu Verlagen und versuche, die Autoren in so viele Länder wie möglich zu bringen.“

Woher kommt eigentlich Ihr Interesse für die tschechische Literatur?

„Ich bin gebürtige Pragerin, habe aber ab meinem Alter als Teenager in Deutschland gelebt. Ich habe einen Tschechen geheiratet, der sich dann irgendwann gewünscht hat, teilweise nach Tschechien zurückzukehren. Wir leben also in Prag und in München. Von Beruf bin ich Redakteurin, das heißt, ich war schon sehr nahe an Texten, und zur Literatur war es dann nur ein kleiner Schritt. Nach dem Abschluss meines Studiums habe ich mir noch ein Aufbaustudium zu Buchwissenschaften geleistet, weil mich das Thema sehr interessiert. So hat sich ergeben, nachdem mein Mann und ich in Prag gelandet waren, dass ich mich in diese Richtung orientiert habe. Und vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass meine Großmutter mir als Kind immer das Lesen verboten hat, weil sie es für Faulenzen hielt. Ich habe aber immer Wege gefunden, doch zu lesen. Das steckt vielleicht immer noch irgendwo in mir drin.“

Was bedeutet es eigentlich für einen tschechischen Autor, wenn er bei einem Verlag im Ausland ein Buch herausgeben kann? Ist das in Bezug auf seine Existenz ein Durchbruch, oder handelt es sich eher um eine finanzielle Spritze?

„Das ist eine falsche Vorstellung. Die Autoren sollten sich nicht vorstellen, dass sie gleicht berühmt werden, wenn sie im Ausland herauskommen – und schon gar nicht, dass sie reich werden. Tschechische Bücher erscheinen meist nicht in hohen Auflagen, und die Lizenzgebühren sind auch dementsprechend niedrig. Tschechisch ist nicht unbedingt die Literatursprache, die gerne von anderen Verlagen übersetzt wird. Die Übersetzungsrichtung ist eine andere, die meisten Bücher kommen aus dem englischsprachigen Raum. Und Tschechien ist auch nicht unbedingt ein Land, in dem sich Verleger umsehen. Man muss da sehr aktiv sein, auf sie zugehen und sehr viel Vorarbeit leisten, um Verlage zu überzeugen, einen tschechischen Autor herauszugeben.“

Wie würden Sie die Stellung der tschechischen Literatur im deutschen Sprachraum beurteilen? Gibt es da Erfolgsautoren?

„Ich kann dies nicht so gut beurteilen, weil ich die Verkaufszahlen nicht kenne. Aber natürlich weiß ich, dass Jáchym Topol bei Suhrkamp erscheint. Ich weiß auch, dass Radka Denemarková in Deutschland regelmäßig herausgebracht wird. Wie erfolgreich die Autoren sind und wie hoch die Verkaufszahlen liegen, weiß ich hingegen nicht.“

Gibt es Verleger, die sich auf tschechische Literatur spezialisieren?

„Die gibt es, aber das sind Verleger, die teilweise auch ums Überleben kämpfen. Man orientiert sich daran, was die Leser gerne haben. Das sieht man in den Buchhandlungen an dem, was dort ausliegt. Wenn Sie in Deutschland in eine Buchhandlung gehen, werden Sie kaum einen tschechischen Autor finden. Das heißt, man muss das entsprechende Buch dann bestellen. Und das sagt schon etwas aus.“

Hätten Sie zum Schluss eine Empfehlung für unsere Hörer: einen Autor oder ein Buch, das Sie besonders mögen?

„Ich würde sagen Petr Stančík ‚Die Verjährung‘. Das ist ein ganz tolles Buch, dem 20. Jahrhundert gewidmet.“