Anknüpfen an die Tradition der Holzspielwaren
Hölzerne Spielwaren und Souvenirs aus dem Erzgebirge findet man im Advent auf allen größeren Weihnachtsmärkten. Das Erzgebirge ist seit Jahrhunderten bekannt für regionaltypische Arten und Designs solcher Produkte. Anders als in Sachsen wurde diese Wirtschaftssparte jedoch im tschechischen Teil des Erzgebirges durch die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg stark geschwächt. Heute gibt es nur wenige Unternehmen, die daran anknüpfen. Eines davon ist die Firma NBW in Nová Ves v Horách / Gebirgsneudorf. Die Besitzerin, Sonja Vydrová, produziert aber nicht nur, sondern sie dokumentiert in einem kleinen Museum auch die Geschichte der Holzspielwaren aus der Erzgebirgsgegend um Most / Brüx. Ein Besuch in dem Betrieb nahe der Grenze zu Sachsen.
„Fachleute könnten uns bei unseren Produktideen wohl kaum behilflich sein. Ich denke mir daher alle neuen Produkte selbst aus, und dann stelle ich sie zusammen mit meinen Mitarbeitern her. Wir machen zum Beispiel einen Wassermann, das ist unsere einzige Märchenfigur. Aber wir haben viele Figuren, die Berufe darstellen: einen Schornsteinfeger, der Glück bringt, einen Schäfer, einen Nachtwächter und so weiter.“
Kobold mit Zertifikat
Für den Kobold Krušberk hat die Unternehmerin das Label „Regionales Erzeugnis des Erzgebirges“ erworben. Die Teile der Figuren werden in ihrem Betrieb maschinell gefräst, doch zusammengesetzt und ausgestaltet werden sie mit der Hand. In den Regalen des Firmenladens springen besonders die Nussknacker und Räuchermännchen ins Auge, aber auch mehrere verschiedene Weihnachtsmänner sowie Kerzenhalter und Lichterbögen.„Da unsere Produkte besonders im Weihnachtsgeschäft gefragt sind, fällt diese Periode für uns immer sehr zufriedenstellend aus. Wir verkaufen unsere Waren nicht nur über den Online-Shop, sondern tagtäglich kommen auch so viele Kunden hierher in unser Geschäft, dass wir mit der Fertigung kaum nachkommen“, so Vydrová.
Neben tschechischen Kunden finden auch viele Sachsen den Weg in die Firma NBW, die in Sichtweite der deutschen Grenze liegt. Nur ein Stück Wald und der Grenzbach trennen das tschechische Nová Ves v Horách, früher Gebirgsneudorf, vom sächsischen Nachbarort Deutschneudorf. Noch während ihrer Kindheit hätten in Nová Ves v Horách viele deutsche Einwohner gelebt, erinnert sich Sonja Vydrová, die dort in den 1950er Jahren aufwuchs:
„Als ich geboren wurde, waren hier noch 90 Prozent der Ortsbevölkerung deutsch. Das waren vorwiegend alte Menschen und Facharbeiter, die nicht vertrieben wurden, oder ledige junge Leute. In den 1960er Jahren war noch die Hälfte der Einwohner deutsch, allmählich verstarben viele oder wanderten aus. Und heute lebt nur noch eine deutsche Frau im Ort, die hier auch geboren ist.“Die meisten Ortsbewohner waren früher im Bergbau oder in der Spielwarenproduktion tätig, so auch Sonja Vydrovás Verwandte.
„Meine Mutter wurde als Deutsche geboren, aber auf der tschechischen Seite der Grenze. Mein Großvater war ein Bergmann, er konnte hierbleiben. Opa arbeitete in der Grube, und meine Mutter, meine Tante und die übrigen Verwandten waren in Betrieben angestellt, die Holzspielwaren herstellten. Mein Großvater hat mir erzählt, dass praktisch jeder, der hier in den Bergen lebte, Geld damit verdiente, dass er Holzspielzeug in Heimarbeit fertigte oder bei einer Spielwarenfirma arbeitete. Es gab hier in der Gegend von Most etwa einhundert oder noch mehr Betriebe, die Holzspielwaren produziert haben“, erzählt die Unternehmerin.
Sudetendeutscher Ursprung
Zu den ältesten Exportartikeln gehören bewegliche Holztiere, die Kinder an einer Schnur nachziehen. Sonja Vydrová glaubt, dass sie im Erzgebirge früher als anderswo erzeugt worden seien. Die Spielwarenfertigung habe hier bereits ab der Mitte des 18. Jahrhunderts einen weltweit beispiellosen Aufschwung erlebt. Die Unternehmerin ist überzeugt, dass auch das Brettspiel Tivoli, das heute in vielen Ländern verbreitet ist, ursprünglich im Erzgebirge entstanden sei:„Das war schon unter meinen Vorfahren bekannt. Und da ich mich für die Geschichte der Holzspielwaren interessiere, habe ich bei einer Firma in Hora Svaté Kateřiny nachgeforscht und einen Werbeprospekt gefunden, auf dem neben anderen Produkten auch das Spiel Tivoli angepriesen wurde. Also weiß ich, dass es hier schon im Jahr 1911 hergestellt wurde.“
In den 1970er und 1980er Jahren sei das Spiel Tivoli in großen Mengen in die skandinavischen Länder exportiert worden. Seit dem Aufkommen der Computerspiele sei die Nachfrage aber stark zurückgegangen.
Die größte Holzspielwaren-Fabrik von Gebirgsneudorf war einst die Firma G. R. Walter. Ihr Fabrikgelände ist es auch, das Sonja Vydrová im Zuge der Privatisierung im Jahr 1992 erwarb.
„Die Familie Walter hatte ihr Unternehmen 1889 gegründet und errichtete gegenüber ihrem Wohnhaus eine Fabrik. Die Gebäude, die heute noch hier stehen, sind ein Teil der ursprünglichen Anlagen. Die Familie Walter baute ihr Unternehmen nach und nach aus, neue Gebäude kamen hinzu, bis zum Jahr 1945. Bald nach Kriegsende wurde die Familie Walter vertrieben, und das Unternehmen wurde unter staatlicher tschechischer Verwaltung weitergeführt“, so Vydrová.1950 kam es im schwäbischen Lauchheim zur Neugründung der Walter-Spielwarenfabrik. Sie existierte bis 2005.
Produktveredelung für Sachsen
In dem Museum in Nová Ves v Horách dokumentiert Sonja Vydrová die Geschichte der ursprünglichen Firma G. R. Walter aus Gebirgsneudorf. Das Museum hat die Unternehmerin 2014 nach jahrelanger Sammler- und Forschertätigkeit in einer leerstehenden Werkstatt eingerichtet, zwei Jahre später erweiterte sie es um einen Raum für Workshops. Verwandt sei sie mit der Familie Walter nicht, betont Sonja Vydrová, doch der Export nach Deutschland sei für ihre eigene Firma NBW lebenswichtig. Anfangs habe es an Aufträgen gemangelt, erinnert sich die Unternehmerin, bis sie eine Allianz mit einem Betrieb aus dem sächsischen Teil des Erzgebirges eingegangen sei:„Wir machen die Veredelung für dieses Unternehmen. Das heißt, die deutsche Firma liefert uns Teile, die wir bearbeiten, färben, lackieren, beizen und zu den Fertigprodukten zusammenfügen. Diese schicken wir an die Firma zurück, die sie dann verkauft.“
Die Veredelung für den deutschen Auftraggeber macht rund 90 Prozent des Umsatzes von NBW aus. Das Herzstück ihrer Firma sind jedoch für Sonja Vydrová die zehn Prozent Eigenproduktion, die sie selbst gestalten kann. Neben den Holzfiguren, die eine mythisch angehauchte, idyllische Gebirgswelt heraufbeschwören, stellt sie auch einen Miniatur-Kachelofen her, bei dem das Rauchfähnchen der Räucherkerze aus einem Suppentopf abzieht. Das Öfchen hat sich als größter Verkaufshit des Sortiments von NBW entpuppt. Die Inspiration dazu hatte Sonja Vydrová durch frühe Kindheitserinnerungen, und diese hat die Unternehmerin auf Deutsch verinnerlicht:„Mein Opa und meine Oma haben nur Deutsch gesprochen. Das heißt, als Kind habe ich bei ihnen auch nur Deutsch gesprochen. Und damals habe ich meinen Opa gesehen, wie er beim Kachelofen saß und mit einem Messer Spreißel schnitzte. Und meine Oma saß auf der Bank und wärmte sich das Kreuz. Mir kam dann die Idee, einmal einen solchen Ofen herzustellen. Nach 2004 gerieten wir in eine Krise, und ich dachte: Jetzt musst du den Ofen machen. Und seither haben wir schon auf der ganzen Welt eine große Menge solcher Öfen verkauft.“
Eine Auswahl der Produkte von NBW ist in der Adventszeit in einer Ausstellung in der Prager Bethlemskapelle zu sehen.