Anna Hostomská: Rundfunklegende schon zu Lebzeiten
Vor etlichen Jahren konnten die Hörerinnen und Hörer des Tschechoslowakischen Rundfunks ihre Stimme auch mehrmals wöchentlich zu Gehör bekommen. Die Rede ist von der unvergesslichen Musikredakteurin Anna Hostomská. Bis heute ist sie der Nation in Gedächtnis geblieben. Auf ihre Musiksendungen warteten am Radioapparat ganze Familien genauso wie sie heute auf neue Folgen einer Fernsehserie zu warten pflegen.
Vor 100 Jahren, am 6. August 1907, kam Anna Hostomská zur Welt. Schriftstellerin, Übersetzerin von Opernlibrettos aus dem Polnischen, Russischen und Italienischen, aber auch unvergessliche Redakteurin des Tschechoslowakischen Rundfunks. Durch ihre Arbeit beim Rundfunk wurde sie schon zu Lebzeiten zu einer Legende und zu einem Vorbild, das ihre späteren Nachfolger und Nachfolgerinnen beim Tschechischen Rundfunk zu schätzen wissen.
Zum Tschechoslowakischen Rundfunk kam Anna Hostomská 1929. Sie verfügte über gute Sprach- und Musikkenntnisse und eine gehörige Portion Fleiß. In einem Rundfunkinterview hat sie sich an ihre Anfänge erinnert:
„Der Rundfunk war damals fünf Jahre alt und es wurde noch nicht den ganzen Tag gesendet. Die Musikabteilung hatte zwei Mitarbeiter und jedes Musikprogramm wurde live aus einem Saal auf im Stadtteil ´Königliche Weinberge´ ausgestrahlt. Dort spielten zwar fest angestellte Musiker, aber das Orchester war nicht zahlreich besetzt. Unter den Musikern herrschte Misstrauen. Der Rundfunk sei etwas, das verschiedene Spielkästen ersetzen würde, dachten sie. Bekannte Künstler zögerten, ob sie in den Live-Sendungen spielen oder singen sollten, damit ihr Renommee durch die technische Qualität der Übertragung keinen Schaden erleidet. Und so nahmen am Anfang überwiegend nur junge und honorarbedürftige Anfänger die Einladung ans Mikrophon entgegen.“
Beim Rundfunk konnte sie mit außerordentlich fundierten Persönlichkeiten zusammenarbeiten. Unter ihnen befand sich der Musikwissenschaftler Mirko Očadlík, ihr späterer Ehemann. Das Operngenre stand jedoch nicht am Anfang des Werdegangs Anna Hostomskás. Die Rundfunkredakteurin begann mit Unterhaltungssendungen, die sich aber durch hohes Niveau auszeichneten, sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Beim Gedankenaustausch mit ihren Gesprächspartnern, Sportlern, Wissenschaftlern, Künstlern und anderen, konnte sie auf vieles zurückgreifen: natürlich auf ihr Talent, aber auch Familientraditionen, das Studium in Frankreich und an der Karlsuniversität, sowie auf ihre persönlichen Eigenschaften. Anna Hostomská war in der Literatur bestens bewandert und als leidenschaftliche Musikliebhaberin konnte sie ihre Kenntnisse aus beiden Bereichen exzellent in verschiedenen Programmreihen zur Geltung bringen. Die Propagierung der - wie sie sagte - „hohen Musik“ wurde zu ihrer Domäne:
„Die erste Reihe habe ich als eine Debatte großer Geister auf den Himmelsfluren konzipiert. Dabei ließ ich zahlreiche Komponisten über Musikstile, über Probleme der Kunst, über Inspirationen durch die Freiheit, Liebe oder Volksmusik diskutieren und streiten. Sie haben sich gemeinsam auch eigene Kompositionen angehört, um sie mit Werken anderer Zeitepochen zu vergleichen. So hat zum Beispiel Bach die Stirn über Janáčeks Oper ´Schlaues Füchslein` gerunzelt, während Mozart sie verteidigte. Oder sie tauschten sich aus, was Kitschsei und welche Komposition aus ihrem Schaffen Kitsch geworden ist.“
Die Sendung wurde zehn Jahre lang ein- oder zweimal im Monat gesendet und erreichte ungewöhnlich hohe Einschaltquoten.
„Das bedeutete für mich lesen und wieder lesen mit einem Stift in der Hand, Zeilen unterstreichen und Notizen machen. Bis heute kann ich nur auf diese Weise lesen. Und genauso war ich ständig auf der Musiksuche. In den Sendungen sangen und rezitierten junge Schauspieler, die bereit waren, zu experimentieren und ihre Präsentationen der Musik anzupassen. Es kamen schon auch berühmte Künstler, die das Ziel dieser Programme begriffen haben: Die Hörer heranzuziehen und sie mit ihrer Hilfe auch für die Kunst zu gewinnen.“Eine andere Programmreihe von Anna Hostomska hatte den Titel „Was haben Sie am liebsten?“. Diese Frage, bezogen selbstverständliche auf Musik, stellte sie ihren Gästen – nicht nur bekannten Künstlern, sondern auch Wissenschaftlern oder Sportlern, aber auch ganz gewöhnlichenMenschen. In diesen Sendungen, die auch ungefähr zehn Jahre lang ausgestrahlt wurden, erklangen rund 1400 Musikproben aus 321 Opern von 128 Komponisten. Etwas später hat sie in ihren Sendungen eine Quizfrage gestellt. Auf eine von ihnen hat sie 14.000 Antworten bekommen! Für das große Interesse hatte Hostomská eine Erklärung:
“Ich war immer davon überzeugt, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, auch anspruchsvolle Musik zu verstehen. Einige brauchen dabei aber Hilfe. Ich war glücklich, dass die Zuhörer diese von mir entgegennahmen.“
Anna Hostomská hat auch Bücher geschrieben. Bis heute sind vor allem vier Titel bekannt: „Die Oper – Führer durch das Opernschaffen“ aus dem Jahr 1956. Drei Jahre später erschienen die „Geschichten, Sagen und Märchen der Frau Musik“, 1960 „Die Zauberwelt“ und 1967 das „Labyrinth der Musik – Paradies des Herzens“. Von den mehreren tausend Radiosendungen mit Anna Hostomská ist dagegen nur ein Bruchteil im Rundfunkarchiv erhalten geblieben.
Bis ins hohe Alter arbeitete Hostomska für den Rundfunk und nahm an verschiedenen Podiumsdiskussionen teil. Die allerletzte fand im März 1995 in Prag statt. Anna Hostomská war 87 Jahre alt. Es war vier Wochen vor ihrem Tod. Zum Abschluss des anfangs erwähnten Rundfunkinterviews hat Anna Hostomska einen Wunsch geäußert:
„Und wenn es noch ein bisschen Zeit gibt, spielen Sie mir bitte ein Stück von der Liebeserklärung der Blazenka an Vitek aus dem zweiten Akt von Smetanas Oper Tajemstvi / Geheimnis. Dabei kehrt immer meine Jugend zurück.“