Arbeitslosigkeit als moderne Odyssee

Dieser Tage berichtete die tschechische Nachrichtenagentur ČTK im Zusammenhang mit der globalen Wirtschaftskrise: In einem Fünftel der inländischen Firmen wird derzeit die Produktionseinstellung erwogen. Die aktuelle Wirtschaftslage verschlechtert sich fortwährend, wovon nicht zuletzt die steigende Arbeitslosenzahl zeugt. Eine der am stärksten betroffenen Regionen Tschechiens ist das Industriegebiet Ostrava / Ostrau. Einen gebürtigen Ostrauer stellt Ihnen Jitka Mládková vor.

Ist der Mann ein Pechvogel oder ein Hochstapler? Diese Frage stellte ich mir, als ich ihn seine Lebensgeschichte erzählen hörte. Wahrscheinlich sieht er sich weder als das eine noch als das andere. Sein Dasein als Arbeitsloser hat er nicht freiwillig gewählt, und doch hat ihn die moderne Odyssee, die er auf der Suche nach einem Job erlebt, um seine Lebensfreude nicht beraubt. Blicken wir zunächst etwas zurück.

Václav Sluko, 46 Jahre alt, unverheiratet, kinderlos, derzeit lebt er mit seiner Freundin zusammen. Vor 28 Jahren hat er eine Fachlehre als Elektriker absolviert. Eigentlich wollte er etwas ganz anderes machen:

„Schon als Kind habe ich gerne gemalt. Bis heute ist es mein Hobby. Ich hätte mich auch gerne professionell der Kunst gewidmet, aber das war leider nicht möglich. Doch auch als Amateur versuche ich mein Können zu vervollkommnen und mich weiterzubilden.“

Warum wurde das Malen nicht zum Beruf?

„Nach der Grundschule wollte ich auf eine Kunstgewerbeschule gehen. Aber ich hatte Probleme in Mathe. Damals war es so, dass man fürs Malen auch in Mathe gut sein musste. Ich war talentiert und habe sogar eine Empfehlung von der Grundschule bekommen. Doch das hat nicht gereicht. Eine Beamtin beschloss, dass ich nicht auf die Fachmittelschule gehen konnte. So war das damals.“

Foto: ČTK
Sie mussten also auf ihren Wunsch, von Beruf Maler zu werden, verzichten. Was malen Sie jetzt gerne?

„Portraits, Stillleben, Landschaften oder Wandbilder. Alles Mögliche. Leben kann man von dieser Arbeit kaum. Ich habe eine Zeitlang als Bildeinrahmer gearbeitet, so kam ich mit Kunst in Berührung. Meine Chefin sagte mir nach neun Monaten, sie brauche mich nicht mehr. Es gebe keine Unterstützungen vom Arbeitsamt mehr. Am besten sei es, wenn ich selbst kündige. So bin ich wieder auf dem Arbeitsamt gelandet.“

Herr Sluko, Sie sagen, dass Sie mittlerweile nicht mehr so viele Ansprüche haben. Es ist ihnen im Prinzip egal, was für eine Arbeit Sie machen. Hauptsache, sie haben überhaupt eine. Was haben Sie auf der Suche nach Arbeit alles erlebt?

„Es ist ziemlich spannend, wenn man Arbeit sucht. Vom Arbeitsamt bekommt man ein Angebot, geht zu der Firma und dort wird einem mitgeteilt, dass der Arbeitsplatz bereits seit zwei Monaten besetzt ist. Oder man solle das Ende des Auswahlverfahrens und die Benachrichtigung abwarten, die aber nie kommt. Überall werden jetzt PC-Kenntnisse und der Führerschein verlangt. So habe ich einen PC-Kurs besucht. Eine Bekannte von mir sagte, wir hätten einen Job für dich, aber du brauchst den Führerschein. Ich hatte aber keinen und den bekommt man ja auch nicht so schnell. Also gab es hier wieder keinen Job für mich. Dann habe ich überlegt, einen Kurs für Unternehmer zu absolvieren. Ich wollte wissen, was Unternehmerarbeit ist. In diesem Unternehmerkurs habe ich begriffen, dass ich mir so etwas nicht leisten kann. Ich hatte kein Kapital, niemand konnte mir Geld leihen, und die Banken sind mit Krediten sehr zurückhaltend. Und so bin ich wieder in der Kartei des Arbeitsamtes und suche weiter.“

Wären Sie auch bereit, bei der Arbeit ein Risiko in Kauf zu nehmen?

„Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht. Ich bin ein Typ, der sich innerlich sehr quält. Wenn ich mir von Freunden Geld leihe, ist das für mich schon eine Nervensache.“

Foto: ČTK
Die Suche nach Arbeit ist oft mühsam und frustrierend. Man kann dabei in einen Teufelskreis geraten. Es vergeht einem die Lust noch weiter zu suchen. Es gibt aber auch Arbeitslose, die einfach nicht arbeiten wollen. Wie sehen Sie das?

„Die Leute gewöhnen sich daran. Man bekommt etwas Geld und nimmt gleichzeitig in Kauf, dass der Gürtel etwas enger geschnallt werden muss. Ich habe mal ein Angebot vom Arbeitsamt bekommen, bin hingegangen und man wollte mich sofort einstellen. Auf die Frage, wann ich kommen kann, sage ich: Sofort, wenn Sie wollen, morgen bin ich da. Dann wollte man noch wissen, welche Art Behinderung ich habe. Fünf Minuten später war ich wieder arbeitslos. Jetzt kann ich darüber lachen. Mal ist man nicht behindert, mal fehlt einem die Fahrerlaubnis, ein anderes Mal ein PC-Kurs und so weiter. Oder: Man bewirbt sich um einen Job und bekommt die Zusage ´Wir melden uns bei Ihnen´, aber es meldet sich niemand.“

Glauben Sie, dass es für Sie mit einer körperlichen Behinderung leichter wäre, einen Job zu finden?

„Wissen Sie, ich bin froh, dass ich gesund bin. Ich will lieber gesund aber ohne Arbeit leben, als behindert zu sein. Behinderte haben es im Leben ganz bestimmt schwerer als gesunde Menschen. Schon mich als Arbeitslosen sieht man schief an. Für einen Menschen, der zum Beispiel gehbehindert ist, muss die Jobsuche noch komplizierter sein. Ganz bestimmt!“

Bei der Suche nach Arbeit oder in bestimmten Berufen ist es sicherlich von Vorteil gerne zu reden, und das tun sie offenbar. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Job als Versicherhungsagent?

„Ich habe auch als Kosmetikvertreter gearbeitet. Ich bin nicht auf den Mund gefallen, ich kann etwas verkaufen. Aber ich muss wissen, dass das Produkt in Ordnung ist. Einmal habe ich Herbalife verkauft. Ich habe die Sachen zuerst am eigenen Körper getestet. Ich könnte nie in einer Autofabrik arbeiten, weil ich prinzipiell gegen Autos bin. Ich möchte auf einem Gebiet arbeiten, das für andere Menschen wichtig ist.“

Vielleicht würde es Ihnen zusagen, Unternehmer zu sein, oder?

„Mein Schwager hat ein Transportunternehmen. Ich frage mich, ob er besser dran ist als ich. Er ist Tag ein, Tag aus im Stress. Wird die Rechnung bezahlt, oder nicht, was soll er tun, wenn einer seiner Lastwagen irgendwo im Ausland hängen bleibt? So etwas schießt ihm durch den Kopf, und er läuft ständig mit seinem Handy am Ohr herum. Als es ihm zu viel wurde, habe ich ihm geholfen. Er ist den Stress losgeworden, aber ich habe ihn mitgenommen und musste Antidepressiva nehmen. Ich glaube, jeder Mensch sollte so eine Erfahrung machen, sei es als Arbeitsloser oder als Unternehmer. Vor allem aber die Beamten, die Jobs vermitteln und uns von vornherein schief ansehen.“

Trotz diesen vielen Misserfolgen bleibt Václav Sluko optimistisch. Seiner Zukunft sieht er hoffnungsvoll entgegen. Die schlechte Zeit werde vorübergehen, sagt er und träumt von einem anständigen Job, um nicht von der erniedrigenden Finanzunterstützung des Staates abhängig zu sein.

„Ich sehe die Zukunft nicht schwarz. Im Gegenteil. Solange man gesund ist, muss man nach vorne schauen. Es ist nie schwarz, höchstens grau. Irgendwie gelingt es immer, aus der Situation herauszukommen. Irgendeine Arbeit findet man immer, wenn man sich Mühe gibt.“

Wie sehen sie die Menschen heute? Man hört nicht selten, die Leute seien heutzutage sehr verwöhnt sind und zu viel konsumieren. Teilen Sie diese Meinung?

„Klar. Es genügt sich in einem Geschäft umzusehen. Ich gehe mir Seife kaufen und finde tausende Seifenmarken, tausende Waschmittel im Regal. Im Fernsehen erfährt man, dass jede Marke die beste sei. Wozu ist das gut? Ich benutze seit Jahren schon immer dasselbe Rasierwasser. Trotzdem lebe ich und meine Haut ist nicht hässlicher als die derjenigen Menschen, die teure Crémes benutzen. Ich brauche auch keine fünfzehn Brotsorten, mir genügt eine. Viele Leute sollten wirklich zu spüren bekommen, was Hunger ist, weil sie unersättlich sind. Sie haben sich an den Wohlstand gewöhnt. Das ist vielleicht das Schlimmste, was passieren konnte.“