Auf Pilgerfahrt zu Mahler nach Kaliště
Seit einigen Monaten steht das Kulturleben in der Region Jihlava / Iglau vollständig im Zeichen von Gustav Mahler. Am 7. Juli sind Hunderte von Musikfreunden aus Tschechien sowie aus dem Ausland nach Jihlava gekommen, um an den Komponisten zu erinnern. In eine wahre Wallfahrtsstätte verwandelte sich an dem Tag jedoch das etwa 30 Kilometer nordwestlich von Jihlava gelegene Dorf Kaliště / Kalischt, wo Mahler vor 150 Jahren zur Welt kam.
"Das Material für das Buch habe ich seit den 1960er Jahren gesammelt. Denn Mahlers Musik hat mich schon immer fasziniert. Da ich in Jihlava gelebt habe, suchte ich nach den Orten, an denen sich Mahler einst aufgehalten hat. Ich suchte auch im Archiv sowie in der Literatur. Ich meine, dass er als Schüler keine schönen Erinnerungen an diese Zeit hatte. Die Verhältnisse in seiner Familie, der Tod seiner kleinen Geschwister – dies alles musste sich auf ihn ausgewirkt haben. Er hatte eine große Vorstellungskraft und war ein passionierter Leser. Für die Musik interessierte er sich seinen eigenen Worten zufolge seit seinem 4. oder 5. Lebensjahr.“
Damals lebte die Familie Mahler nicht mehr in Kaliště. Für den unternehmungslustigen Bernhard Mahler war die Gemeinde zu klein. Er zog mit seiner Familie nach Iglau um. Dafür hatte er einige gute Gründe: Vier Fünftel der Bewohner der Stadt waren deutsch. Iglau war damals die zweitgrößte Stadt Mährens und er kannte sie gut von seinen Handelsreisen. Den Belegen zufolge erhielt Bernhard Mahler die Genehmigung zum Aufenthalt in Iglau am 22. Oktober 1860 mit Wohnsitz in der damaligen Pirnitzer Straße Nr. 4. Heute heißt die Straße Znojemská.Das Dorf Kaliště würde heutzutage kaum jemand kennen, wäre dort nicht Gustav Mahler geboren. Das Geburtshaus des Komponisten gilt heute als die größte Sehenswürdigkeit der Gemeinde und stellt für die Mahler-Fans eine Art Wallfahrtsstätte dar. Das Haus der Familie Mahler brannte 1937 zwar aus, aber es wurde später wieder instand gesetzt. Während des Kommunismus gehörte jedoch der Komponist nicht gerade zu den vom Regime geschätzten Künstlern. Und Mahlers Geburtshaus verkam während der Jahrzehnte. Erst 1995 hatten die die Stiftung „Musica noster amor“ die Idee, das Geburtshaus von Mahler zu renovieren, erzählt Jiří Štilec, der die Gustav-Mahler-Gesellschaft leitet.
„Als wir hier zu Besuch waren, haben wir gesehen, dass sich das Haus in einem desolaten Zustand befand. Im Dorf gibt es zwar einige weitere Sehenswürdigkeiten. Aber Gustav Mahler ist eine Persönlichkeit von Weltrang. Da haben wir uns gesagt, dass es schade wäre, das Geburtshaus von Mahler verkommen zu lassen. Es war nicht leicht, das Haus zu retten, denn wir haben keine staatlichen Fördergelder bekommen, und so mussten wir mit privaten Sponsoren zusammenarbeiten. Schritt für Schritt gelang es uns, das Haus wieder instand zu setzen. Seit dem Ende der 90er Jahre dient es als Konzertsaal sowie als Unterkunft für die Musikliebhaber.“Das Projekt zur Renovierung von Mahlers Geburtshaus hat als erstes der renommierte Bariton Thomas Hampson unterstützt. Zur Rettung des Hauses trugen zudem der Filmregisseur Miloš Forman, der Dirigent und Pianist Maxim Schostakowitsch, die Sopranistin Gabriela Beňačková sowie weitere Künstler bei – unter ihnen viele renommierte Musiker. Auch das Gustav-Mahler-Jugendorchester mit Dirigent Claudio Abbado war vor einigen Jahren zu Gast in dem Haus.
Die erste Etappe der Rekonstruktion des Geburtshauses wurde 1998 erfolgreich beendet. Rekonstruiert wurde das ehemalige Gasthaus, in dem ein Kammersaal sowie eine historische Bierstube eingerichtet wurden. Später wurde noch ein neuer Flügel des Gebäudes erbaut. In Mahlers Geburtshaus ist nun eine Pension untergebracht. Über Mangel an Interessenten konnte die Mahler-Gesellschaft am vergangenen Mittwoch nicht klagen. Jiří Štilec:„Im Mahlers Geburtshaus können sich die Interessenten eine kleine Ausstellung von historischen Quellen tschechischer Herkunft anschauen. Das Haus soll jedoch nicht als Museum dienen, sondern es soll leben. Denn viel mehr Informationen über Gustav Mahlers Jugend auf der Böhmisch-Mährischen Höhe vermittelt das Gustav-Mahler-Haus in Iglau.“
Mahlers Familie verließ Kaliště schon im Oktober 1860. Das Dorf habe Mahler aber nicht vergessen, sagt Jiří Štilec:
„Man weiß, dass Mahlers Mutter aus Ledeč nad Sázavou stammte. Die Familie besuchte oft die Verwandten in Ledeč, dabei reiste sie eben über Kaliště. Das Haus sowie die Brennerei gehörte noch eine Zeit lang Mahlers Vater. In Iglau verbrachte Mahler die ersten 15 bis 16 Lebensjahre. Sehr früh zeigte sich seine musikalische Begabung. Den ersten Musikunterricht bekam er von den dortigen Lehrern. Er spielte Klavier und fing sehr früh an, auch zu komponieren. In Iglau, das eine Garnisonstadt war, hörte der kleine Mahler oft Militärkapellen. Daher sind Musikelemente wie Trompetenklänge in Mahlers Sinfonien eingeflossen. Im Bierlokal des Vaters hörte Mahler zudem viele Volkslieder, und zwar tschechische und deutsche.“
Neben dem Geburtshaus von Gustav Mahler und vor dem gegenüberliegenden Schulgebäude wurde 1996 ein Rosengarten angelegt. Bedeutende Persönlichkeiten setzen dort entweder selbst ihre Rosen oder schicken sie nach Kaliště. Inzwischen gibt es dort beispielsweise Rosen von Claudio Abbado, von Rafael Kubelík oder auch von Leonard Bernstein, die Bernsteins Tochter geschickt hatte. Seit dem 7. Juli wächst vor der Schule in Kaliště eine neue Rosenart, die nach Gustav Mahler benannt wurde. An der Pflanzung nahm auch der Opernsänger Thomas Hampson teil:„Heute ist ein sehr besonderer Tag. Alles, was wir hier klein und symbolisch pflanzen wie eine Rose – vor so viel Leuten und so viel Ecken der Welt mit so viel Live-Übertragungen und so vielen Fernsehstäben usw. ist das, was Gustav Mahler am Ursprung hier in diesem wunderschönen Ort uns und der Welt geschenkt hat. In diesem Sinne sage ich: Happy birthday!“