Ausbildungs- und Anforderungsprofile in der EU: Tschechien bemüht sich um Harmonisierung

Studenten (Foto: Europäische Kommission)

Als Anfang November der letzte Brüsseler Jahresbericht veröffentlicht wurde, in dem die Europäische Kommission den Stand der Beitrittsvorbereitungen in den künftigen Mitgliedsstaaten beurteilte, da gab es gegenüber der Tschechischen Republik drei Hauptvorwürfe: Mangelnde Einhaltung von europäischen Hygienevorschriften in der Lebensmittelindustrie, zu wenig Kontrolle im Bereich Verkehrssicherheit und die noch ausstehende rechtliche Regelung für die gegenseitige Anerkennung von Diplomen. Wir werfen heute einen Blick auf den letztgenannten Punkt, also die Anerkennung von Qualifikationsnachweisen. Denn dieser Bereich berührt unmittelbar einen zentrales Prinzip der Europäischen Union: den freien Personenverkehr. Hören Sie mehr dazu im nun folgenden Schauplatz von Gerald Schubert:

Studenten  (Foto: Europäische Kommission)
Manche werfen der Europäischen Union vor, in ihr gehe es ausschließlich um die Globalisierung der Wirtschaft, der Mensch bleibe in ihr auf der Strecke. Für Andere ist gerade die Wirtschaftsfreiheit das wichtigste Prinzip der EU, hinter sonstigen Bestimmungen wittern sie schnell überbordende Bürokratie und Bevormundung aus Brüssel. Wieder Andere sehen in der Erweiterung der EU das Friedensprojekt des 21. Jahrhunderts schlechthin oder betonen, dass es innerhalb der Gemeinschaft zu keiner Vorherrschaft ökonomischer Strukturen über die Politik kommen darf. Gewiss: Grundsatzdebatten wie diese sind nötig. Klar ist aber auch, dass alle diese Bereiche, also etwa der freie Personenverkehr, die Interessen der Wirtschaft und die Harmonisierung des Rechts in vielfältiger Weise miteinander verzahnt sind.


Stellen Sie sich etwa folgende Situation vor: Sie haben einen bestimmten Beruf erlernt, etwa den einer Krankenschwester oder eines Maschinenbauingenieurs. Nun möchten Sie, nehmen wir an aus privaten Gründen, in ein anderes EU-Land übersiedeln, und gehen davon aus, dass die Ausübung Ihres Berufes auch dort kein Problem sein kann. Denn dafür sprechen ja so gut wie alle zentralen Punkte der gemeinsamen Union. Nur: In den einzelnen Beitrittsstaaten hat man mit der Anpassung von EU-Richtlinien an nationales Recht alle Hände voll zu tun, und so kann es da und dort schon mal zu Versäumnissen kommen. Daher könnte es Ihnen - zumindest dem Status quo zufolge - passieren, dass Sie als EU-Bürger am tschechischen Arbeitsmarkt vor verschlossenen Türen stehen. Grund: Ihr Diplom könnte den hiesigen Anforderungen nicht entsprechen.

Radio Prag hat Christian Bourgin, den Leiter der politischen Abteilung der EU-Delegation in Prag gefragt, warum gerade dieses Gesetz für die Kommission so wichtig war, warum es also gerade in diesem Punkt eine offizielle Verwarnung für Tschechien gab:

"Die Wichtigkeit des Gesetzes kommt nicht daher, dass es inhaltlich oder durch sich selbst so wichtig wäre. Die sogenannte rote Karte, die wir im Bericht der Kommission Anfang November auf diesem Gebiet ausgestellt haben, kommt vielmehr daher, dass die Verspätung schon so groß ist. Das heißt, rote Karten gibt es in Gebieten, wo es dringenden Handlungsbedarf gibt. Natürlich sind Probleme auf dem Gebiet der Korruption oder auch anderswo noch größer. Aber diese Probleme hier sind wirklich dringend."

Außerdem handelt es sich in diesem Zusammenhang nicht um eine rein technische oder bürokratische Angelegenheit. Sondern: Hier würden tatsächlich europäische Grundfreiheiten berührt. Christian Bourgin:

"Die Tschechische Republik hat sich in den Beitrittsverträgen verpflichtet, diese Anerkennung schon am 1. Mai einzuführen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit gehört auch zu den Grundfreiheiten. Das heißt: Die Tschechische Republik muss bis zum Beitritt Bedingungen schaffen, die es allen Arbeitnehmern, also auch Ärzten und medizinischem Personal, ermöglicht, überall in der EU zu arbeiten. Und da die Tschechische Republik noch nicht die nötigen Gesetze verabschiedet hat, hat die Kommission - wie es ihrer Aufgabe entspricht, für die Einhaltung der Grundfreiheiten zu sorgen - einen roten Punkt gegeben."


Das geforderte Gesetz übrigens, das hat man schon vor einiger Zeit in Angriff genommen. Das Problem dabei jedoch war, dass es derartig viele Richtlinien der EU und vor allem Richtlinien in den tschechischen Qualifikationsvoraussetzungen berücksichtigen musste, dass sich niemand so recht der Sache annehmen wollte. Schließlich wurde im Regierungsamt, und zwar in der Abteilung für Rechtskompatibilität, eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die mit der Ausarbeitung des Gesetzes betraut wurde. Radio Prag hat Jan Hradil, jenen jungen Juristen, der diese Arbeitsgruppe damals leitete, kontaktiert. Warum gilt die Thematik seiner Meinung nach eigentlich als so kompliziert?

"Sie müssen sich vorstellen: In der bestehenden EU gibt es 15 Mitgliedsländer. Als die EU-Richtlinien eingeführt wurden, waren es erst 12. Natürlich hat jeder dieser Mitgliedsstaaten unterschiedliche Anforderungen an Ausbildungsprofile und noch dazu auch unterschiedliche Ausbildungssysteme. Zum Beispiel existiert mancherorts kein Bakkalaureat, in anderen Ländern gibt es keinen Magister usw. Das heißt, die verschiedenen Bildungssysteme unterscheiden sich in Länge, Form und Inhalt voneinander. Daher war es etwa nicht möglich zu sagen: Für die Ausübung des Berufes eines Bauingenieurs fordert jeder Mitgliedsstaat diese und jene Ausbildung. Das ging einfach nicht. Die Europäischen Richtlinien in diesem Bereich sind bereits relativ kompliziert. Und nun musste dieser komplizierte Mechanismus noch in die tschechische Rechtsordnung übertragen werden."

Für diese Harmonisierung gibt es, so Hradil, im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Die Übernahme europäischer Normen in jedes einzelne Gesetz, das jede einzelne Tätigkeit regelt - und das wären in Tschechien etwa 500 Berufe - oder ein einziges Gesetz, das allgemein genug ist, um die Harmonisierung mit EU-Recht in allen Sparten zu gewährleisten. Diesen Weg ging schließlich die Tschechische Republik. Jedoch: Jedes Ministerium muss nun jene Bereiche, die unter seine Kompetenz fallen, auch dem neuen Gesetz entsprechend definieren. Und das wird, was die Umsetzung der neuen Rechtsvorschrift bedeutet, noch einigen administrativen Aufwand bedeuten.

Doch immerhin: Laut Christian Bourgin hat auch Tschechien durchaus Verständnis für die Notwendigkeit, diese Problematik zu lösen:

"Es gibt positive Reaktionen, und zwar in dem Sinne, dass alle auch damit einverstanden sind. Niemand hat gesagt, das ist ein Irrtum, wir haben das schlecht beurteilt. Nein - ich glaube, alle Politiker, ob in der Regierung oder im Parlament, haben gesagt: das ist richtig, das müssen wir noch machen."

Und derzeit sieht es für eine rechtzeitige Behebung des Mangels gar nicht schlecht aus: Das Gesetz wurde bereits von Regierung und Abgeordnetenhaus beschlossen. Fehlt noch die Absegnung durch den Senat und die Unterschrift des Präsidenten. Und das bedeutet: Ein Inkrafttreten des Gesetzes bis zum 1. Mai nächsten Jahres ist durchaus realistisch.