Babylonische Brückenbauer: Die tschechischen Dolmetscher in Brüssel

In Zusammenarbeit mit Radio Prag haben Studentinnen des Instituts für Übersetzungswissenschaft an der Prager Karlsuniversität zwei Beiträge gestaltet, in denen es um ihre eigene berufliche Zukunft geht. Wie sieht der Arbeitsalltag von Dolmetschern und Übersetzern aus? Welche organisatorischen Rahmenbedingungen gibt es, und wie sind die Job-Chancen im In- und Ausland? Teil eins führt uns jetzt nach Brüssel, zu den tschechischen Dolmetschern bei der Europäischen Union.

Roderick Jones
So viele Sprachen du sprichst, so oft bist du Mensch, sagt ein tschechisches Sprichwort. In der Europäischen Union gibt es 23 Amtssprachen, 23 Mal Mensch sind jedoch nur die allerwenigsten. Um dieses Manko auszugleichen, dafür sind die Dolmetscher da. In der Europäischen Kommission machen die Dolmetscher mit 500 Angestellten einen nicht gerade kleinen Teil des Beamtenapparats aus. Einer von ihnen ist Roderick Jones, der als Referatsleiter der tschechischen Abteilung bei der Generaldirektion Dolmetschen in der Europäischen Kommission arbeitet.

„Das sieht vielleicht seltsam aus, denn warum sollte ein Brite der Leiter der tschechischen Dolmetscher sein? Aber im Jahr 2004, also im Jahr des tschechischen EU-Beitritts, stand leider kein tschechischer Dolmetscher zur Verfügung, der auch ausreichende administrative Erfahrungen hatte. Als Referatsleiter der Dolmetscherabteilung bin ich hier also nur vorübergehend – aber doch schon ziemlich lange.“

Das Auswahlverfahren für die Dolmetscherstellen in der Europäischen Union ist nicht gerade ein Spaziergang, erzählt Roderick Jones.

„Um bei uns arbeiten zu können, muss man auf jeden Fall ein Universitätsdiplom haben. Entweder als Konferenzdolmetscher, oder man muss zumindest Erfahrung als Konferenzdolmetscher vorweisen können. Dabei gibt es feste Regeln, wie viele Erfahrungen das sein müssen usw.“

Wer Dolmetscher bei der Europäischen Kommission werden will, kann sich entweder um eine Stelle als Freelancer bewerben, oder um eine Anstellung. Im ersten Fall reicht eine praktische Prüfung. Im zweiten Fall ist die Sache etwas komplizierter.

„Man muss an einem Auswahlverfahren teilnehmen, was eine längere und recht schwierige Prozedur ist. Da gibt es schriftliche Tests und ein Gespräch. Das Gespräch ist sehr wichtig, nicht nur die Dolmetscherprüfung. Aber wenn man bei dem Auswahlverfahren erfolgreich ist, dann hat man dann die Möglichkeit, bei uns als Dolmetscher angestellt zu werden. Das bedeutet, dass man einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommt.“

Gerade in der Zeit vor der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft gab es Befürchtungen, dass es an tschechischen Dolmetschern mangeln wird. Zurzeit sind in der EU neun tschechische Dolmetscher angestellt, die erwünschte Anzahl wäre zwanzig. Liegt das daran, dass die tschechischen Bewerber nicht gut genug sind?

„Keinesfalls. Ich bin hochzufrieden und stolz, weil ich glaube, dass die tschechischen Dolmetscher sehr gut sind. Und ich denke, dass sie aus verschiedenen Gründen, wegen der Familie zum Beispiel oder aus anderen sozialen Gründen, das Leben in Prag oder in der Tschechischen Republik bevorzugen. Deshalb arbeiten sie in Brüssel lieber als Freelancer. Es ist also nicht so, dass sie nicht gut genug sind. Ich glaube eher, dass viele sich für eine Anstellung bei uns einfach nicht interessieren.“

Ob als Freelancer oder als Angestellter – wenn man eine Stelle als Dolmetscher bekommt und sie auch behalten will, muss man sich permanent weiterbilden, sich sozusagen in Form halten:

Foto: Europäische Kommission
„Man muss die Fähigkeit zur Selbstkritik haben und sich immer dessen bewusst sein, was man tut. Man muss sich selbst zuhören. Das sind die psychologischen Aspekte. Daneben gibt es auch sehr praktische Aspekte. Ich dolmetsche in den EU-Organen im Kontext von aktueller Politik. Also muss ich wirklich jeden Tag die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen verfolgen, das heißt Rundfunk hören, im Internet recherchieren und Zeitungen lesen, und zwar in verschiedenen Sprachen, und immer weiter lernen.“

Die Arbeit des Dolmetschers besteht nämlich nicht einfach darin, alles wortwörtlich zu übersetzen.

„Der Dolmetscher hört eine Rede, und die Rede hat einen gewissen Sinn. Der Redner will etwas mitteilen, doch die Sprachen sind unterschiedlich strukturiert, haben zum Beispiel eine unterschiedliche Wortstellung, unterschiedliche Ausdrucksweisen, unterschiedliche Stilebenen. Der Dolmetscher muss das immer umformulieren.“

Dabei gilt es stets abzuwägen, wie direkt der Originalwortlaut wiedergegeben werden muss.

Foto: Europäische Kommission
„Wenn es etwa Beschimpfungen, Beleidigungen oder Kritik gibt, dann muss der Delegierte, dem diese Kritik gilt, auch die Möglichkeit haben sich zu wehren. Denn sonst wäre das unfair.“

Es kommt also darauf an, Nuancen zu transportieren. Und auch darauf, den Rednern die Möglichkeit zu geben, diese Nuancen selbst zu formulieren. Denn wer seine Rede zum Beispiel auf Englisch hält, obwohl Englisch nicht seine Muttersprache ist, kann dadurch stark eingeschränkt werden. Es sind die Dolmetscher, die gewährleisten, dass politische Stellungnahmen nicht einfach heruntergeleierte Vorträge sind, sondern dass die Redner ihre Muttersprache mit all ihren individuellen Facetten benutzen können. Roderick Jones, der Chef der tschechischen Dolmetscher bei der Europäischen Kommission:

„Wenn man die Fremdsprache nicht sehr gut kann, dann denke ich, dass es immer besser ist, sich in seiner Muttersprache zu äußern. Man beherrscht die Sprache nicht nur technisch, sondern man hat auch das Gefühl dafür, einen guten Instinkt, und man kann die winzigsten Nuancen unterscheiden.“


Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Übersetzungswissenschaft an der Karlsuniversität Prag und dem "Deutschen Akademischen Austausch Dienst" (DAAD).