„Baugruppe ist super“ – tschechische Architekten lassen sich in Berlin inspirieren
„Deutsche leben in Großstädten anders und zeigen uns dies in einer neuen Ausstellung.“ So lautete eine der Schlagzeilen aus der tschechischen Presse von Ende Januar dieses Jahres. Die erwähnte Ausstellung wurde am 6. Februar in Prag eröffnet. Bis Anfang April konnten sich interessierte Tschechen mit einem hierzulande bisher unbekannten Phänomen des Immobilienmarkts vertraut machen: mit den „Baugruppen“, die mittlerweile in mehreren deutschen Großstädten zum Begriff geworden sind. Dabei schließt sich eine Gruppe Menschen zusammen, um mit gemeinsamem Geld zu günstigen Preisen eigenen Wohnraum nach eigenen Wünschen zu errichten. In Tschechien steht ein Team junger Architekten erst am Start.
Die Initiative zur Ausstellung kam von einem tschechischen Architektenteam, das von Kollegen aus Deutschland unterstützt wurde. Doch nicht nur die besagte Ausstellung wanderte aus Berlin nach Prag. Es kamen auch renommierte Architekten aus Berlin. Unter ihnen die Begründerin des Deutschen Architekturzentrums (DAZ), Kristien Ring. In einem Vortrag stellte die gebürtige US-Amerikanerin ihr bekanntes Projekt „selfmadecity“ vor sowie das gleichnamige Buch.
Während rund zweier Monate konnten sich tschechische Interessenten mit alternativen Strategien und Lösungen im Wohnungsbau vertraut machen. Es waren Beispiele nicht nur aus Berlin, sondern auch aus Hamburg, Freiburg, Wien oder London. Zu sehen und zu finden waren Hausmodelle, Fotoaufnahmen, Bilderkataloge und viel Infomaterial. Und nicht zuletzt gab es auch eine Anleitung, wie man am besten vorgehen sollte – angefangen von der Projektentwicklung über die Erstellung eines Finanzierungskonzeptes bis hin zur Vollendung des Wohnhauses.Tschechische Banken leihen bisher nicht an Gruppen
Nun wollen tschechische Architekten mit „Baugruppe.cz“ etwas Vergleichbares auch hierzulande in die Praxis umsetzen. Zu ihnen gehört Marek Kopeć vom Architekturstudio „Kopeć/Dušek“. Auf früheren Auslandsreisen in deutschsprachigen Ländern hat ihn vieles beeindruckt:„Ich habe in Deutschland und in Österreich Bauprojekte gesehen, die aus architektonischer Sicht einmalig sind. Allerdings nicht im Sinne der Extravaganz, sondern einer neuen Qualität, die die Bedürfnisse der zeitgenössischen Wohnkultur reflektiert. Alle Hausprojekte, die wir in Prag in Modellform oder auf Bildern vorgestellt haben, haben wir in Berlin besucht und uns auch mit den Projektentwicklern ausgetauscht. Die Zusammenarbeit war für uns wichtig. Zum Beispiel in Berlin gibt es eine ganze Menge von Baugruppen. Es kann nicht dazu kommen, dass der Bau eines Hauses nicht vollendet wird. Im Idealfall erwirbt man zunächst ein Grundstück, und der Rest wird dann durch eine Hypothek finanziert. Deutsche Banken kommen den Baugruppen entgegen, indem sie das Geld kontinuierlich während des Bauverlaufs freistellen.“
So funktioniert es auf dem tschechischen Finanzmarkt allerdings nicht.„Die tschechischen Bankhäuser sind bereit, einzelnen Privatpersonen eine Hypothek zu gewähren. Für eine Menschengruppe gibt es diese Möglichkeit nicht. Eine GmbH hingegen kann eine Hypothek aufnehmen, obwohl sie wegen beschränkter Haftung nicht mit ihrem gesamten Vermögen haften muss.“
Vor der Prager Ausstellung „Baugruppe ist super!“ konnte man in einer tschechischen Tageszeitung im Stil einer Werbeanzeige lesen:
„Stellen Sie sich vor, dass Sie auf einer Terrasse mit Blick auf Prag gemeinsam mit ihren Nachbarn grillen. Am Abend eine Billardpartie im Parterre, und nebenan spielen Kinder Tischtennis. Das alles kann Realität werden. Den Traum von einem idealen Heim kann man sich durch eine ‚Baugruppe‘ erfüllen. Die Inspiration fürs Wohnen kommt aus Berlin.“Baulücken in Prag suchen
Wer kann sich eine „Baugruppe-Wohnung“ leisten? Die Frage geht an Marek Kopeć:
„Soziales Wohnen ist damit selbstverständlich nicht zu lösen. Wenn man sich jedoch das Buch von Kristien Ring anschaut, findet man für deutsche Verhältnisse niedrige Preise. Umgerechnet liegen sie ungefähr auf dem Niveau der Wohnungspreise in Prag, vielleicht manchmal darunter. Statistisch gesehen sind die Wohnungspreise um rund 25 Prozent niedriger als jene in einem Haus, das auf gängige Weise von einem Bauträger finanziert wurde. Einkalkulieren muss man aber den notwendigen Zeitaufwand für die Klienten sowie für die beteiligten Architekten. Die Baugruppen-Projekte sind meiner Meinung nach für Menschen aus mittleren Schichten gedacht, die genau wissen, was sie brauchen.“Und die wissen, was sie sich leisten können. Trotz steigender Wohnkosten sei billigeres Bauen auch in Tschechien möglich, behaupten engagierte Architekten. Ihrer Meinung nach ließen sich zum Beispiel in Baulücken und auf Parzellen, die für manchen großen Bauträger/Investor nicht attraktiv genug sind, Hausprojekte realisieren.
Stadtentwickler Fialka: Baugruppen könnten Prager Altbauten sanieren
Mit der Architektenvereinigung „Baugruppe.cz“ kooperiert auch das „Institut für Entwicklung und Planung der Hauptstadt Prag“. Sein Mitarbeiter Vladimír Fialka konnte sich vor einigen Jahren mit den innovativen Projekten deutscher Baugruppen direkt vor Ort vertraut machen. Am Anfang sei es ein absoluter Zufall gewesen, sagt der junge Architekt im Gespräch für Radio Prag:„Nach der Uni wollte ich mit Unterstützung des EU-Programms ‚Leonardo‘ ein Praktikum machen. Ich schickte meinen Lebenslauf an das Berliner Architekturbüro Heide/Beckerath und wurde aufgenommen. Ich bin gleich in ein Projekt in der Ritterstrasse 50 eingestiegen, das sich gerade in der ersten Phase befand. Ich brauchte ein bisschen Zeit, um zu verstehen, worum es überhaupt ging und wie alles funktionierte. Für mich war es ein Sprung ins kalte Wasser.“
Sie sind drei Jahre in Berlin geblieben. In dieser Zeit haben Sie bestimmt viele Erfahrungen gesammelt?„Das kann man so sagen. Wenn man an einem so interessanten Projekt arbeitet, wie es in der Ritterstraße der Fall war, auch im technischen Sinn, dann kann man vieles lernen.“
Hat Sie das Konzept „Baugruppe“ überrascht und beeindruckt?
„Selbstverständlich. Den ersten großen Eindruck hat das erste Treffen mit interessierten Klienten, an dem ich beteiligt war, auf mich gemacht. Auf einmal begegnet man 20 Leuten, denen ein neues Hausprojekt vorgestellt wird. Es war ein direkter Kontakt.“
Bleiben wir noch beim Thema „Baugruppe“. Was gefällt Ihnen daran?„Jede Stadt wie zum Beispiel Prag, Berlin oder Hamburg kann bezahlbares Wohneigentum unterstützen. In den Großstädten liegen die Immobilienpreise in der Regel hoch. Das Baugruppen-Konzept zielt auf Menschen, die im Stadtzentrum leben, arbeiten und andere Aktivitäten entwickeln, jedoch nicht an den Stadtrand umziehen wollen. Auch nicht in eines der umliegenden Dörfer, die infolge der fortschreitenden Verstädterung wachsen. Was mir auch gut gefallen hat, war die Rolle des Architekten als Moderator. Er kann natürlich sein eigenes Baukonzept vorlegen, muss aber den Klienten genug Spielraum lassen, ihre eigenen Gestaltungswünsche einzubringen. Es handelt sich in der Tat um einen Dialog. Deswegen ist der Architekt ein wichtiger Projektsteuerer.“
Es handelt sich um etwas anderes als das übliche Verhältnis zwischen dem Bauträger und dem Klienten. Normalerweise bestimmt Ersterer im Grunde genommen allein, wie groß die Wohnungen sein werden oder wie sie aussehen sollen. Das Konzept der Baugruppe soll jetzt auch nach Tschechien verpflanzt werden. Welche Hindernisse sehen Sie dafür in unserer Gesellschaft beziehungsweise im tschechischen öffentlichen Raum? Welches sind die Spezifika hierzulande?„Vergleicht man zum Beispiel Prag mit Berlin, verfügt die deutsche Hauptstadt über mehr Grundstücke, die sich in öffentlicher Hand befinden. In Tschechien wurde in den 1990er Jahren eine umfangreiche Privatisierung durchgeführt. In Prag sind bereits sehr viele Gegenden in Privathänden. Der Spielraum der Stadtverwaltungen ist daher ziemlich beschränkt. Ich persönlich sehe eine Möglichkeit darin, dass sich die Menschen, die sich in einer Baugruppe zusammenschließen, für die Renovierung eines Altbaus entschließen. Zum Beispiel eines Hauses, das jemand im Zuge der Eigentumsrestitution zurückerhalten hat, aber nicht über ausreichend Geld für den Umbau verfügt. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Privatbesitzer eines Grundstücks nicht genug Geld hat, allein ein Haus zu bauen und selbst an einer Neubauwohnung interessiert ist. In Prag findet man immer noch unbebaute Grundstücke oder Baulücken auf dicht bebautem Gelände, von denen einige schwer zu verkaufen sind.“
Mit „tschechischen Spezifika“ meinte ich auch psychologische Hindernisse. Wie stehen die Banken hierzulande zum Projekt „Baugruppe“?„Wir haben dazu ein bisschen nachgeforscht, mit dem Fazit, dass es auf diesem Gebiet nicht einfach ist. Im Unterschied zu Tschechien gibt es in Deutschland Banken, die das Produkt ‚Hypotheken für Baugruppen‘ in ihrem Portfolio haben. Ich muss mich fragen, warum man einer zum Beispiel 20-köpfigen Baugruppe kein Geld en bloc leihen möchte. Ich glaube, früher oder später werden auch tschechische Banken positiv reagieren.“
Was muss man also unternehmen, um das Projekt in Tschechien in die Wege zu leiten?„Meiner Meinung nach muss man von unten anfangen: das Thema ‚Baugruppe‘ popularisieren und Menschen dazu motivieren beziehungsweise überzeugen, dass es gut ist, so zu bauen und so zu wohnen.“
Sie persönlich sind Mitarbeiter des Instituts für Stadtentwicklung. Was kann das Institut machen, damit das Projekt schneller vorankommt?
„Wir erstellen Konzeptionen für die strategische Stadtplanung und unterstützen Projekte methodisch. Deswegen haben wir auch die Ausstellung ‚Baugruppe ist super!‘ unterstützt und dazu auch eine Anleitung ausgearbeitet. Man kann sich auch mit Fragen an uns wenden. Mit Grundstücken beziehungsweise Investitionen in Prag hat das Institut aber nichts zu tun. Wir wollen das Thema ‚Baugruppe‘ aber an Politiker weiterleiten. Und wenn dazu eine Bürgerinitiative entsteht, werden wir sie unterstützen.“Die mehrwöchige Prager Ausstellung über alternatives städtisches Wohnen, international auch unter der Bezeichnung „Co-Housing“ bekannt, sollte nur ein Startschuss sein. Die Initiatoren wollen auch künftig mit Ausstellungen, Vorträgen, Publikationen sowie mit dem Aufbau neuer Kontakte zu Förderinstitutionen ein neues Bewusstsein für Baukultur schaffen.