Bei Zborów kämpften vor 100 Jahren tschechische Soldaten gegeneinander
Die Schlacht bei der ukrainischen Gemeinde Zborów am 1. und 2. Juli 1917 war zwar nicht entscheidend für den Ausgang des Ersten Weltkriegs, trotzdem hat sie aus tschechischer Sicht große Bedeutung. Zum ersten Mal erfuhr damals die Welt, dass Tschechen und Slowaken für die Entente kämpften und nicht für die Mittelmächte. Die Soldaten waren zur russischen Armee übergelaufen. Ein Rückblick auf die Schlacht vor 100 Jahren.
In Pelzmänteln im Sommer
Zborów war für diese Brigade die erste gemeinsame Schlacht. Und das unter widrigen Umständen, so war die Ausrüstung völlig unzureichend. Viele Legionäre trugen zum Beispiel Pelzmäntel und Fellmützen, weil sie einfach keine Sommeruniformen hatten. Als Waffen dienten ihnen Flinten mit kaum Munition und nur wenige Handgranaten. Maschinengewehre und Kanonen hatte die Brigade keine – da war sie auf Unterstützung von den Russen angewiesen. Die mangelhafte Ausrüstung kompensierten die Soldaten jedoch mit Begeisterung und Disziplin. Viele von ihnen sind vor dem Ersten Weltkrieg Mitglieder des patriotischen Turnvereins Sokol gewesen.„Das tschechische Korps war Bestandteil der russischen Armee, das heißt, seine Befehlshaber waren Russen. Auch alle drei Regimenter wurden von russischen Offizieren kommandiert. 1917 wurde die Brigade von Oberst Wjatscheslaw Trojanow befehligt, er war bei den Soldaten sehr beliebt. Auf der Ebene des Kommandos verständigte man sich auf Russisch, in der Truppe aber auf Tschechisch. Viel Wert gelegt wurde auf die Art der Kommunikation, sie unterschied sich von der Praxis in der k. u k. Armee. Wie beim Sokol duzten die Soldaten einander und redeten sich mit ‚Bruder‘ an. Man könnte sagen, dass dort ein demokratischer Geist herrschte in Abgrenzung zum habsburgischen Monarchismus“, so Tomáš Jakl.
Die Schlacht bei Zborów wurde ab Mitte Juni 1917 vorbereitet. Der damalige russische Kriegsminister Kerenski wollte das Gebiet um Halitsch unter seine Kontrolle bringen – die Region gehörte damals zu Österreich-Ungarn. Aufgabe der Tschechen und Slowaken war zunächst, die Schützengräben auszubauen. Einer der Legionäre war Karel Kutlvašr, später General der tschechoslowakischen Armee und Befehlshaber des Prager Aufstandes gegen die Nazis im Mai 1945. Bei Halitsch notierte er, frei übersetzt, in seinem Tagebuch:„Am 23. Juni gelangen wir zu den Schützengräben. Wir haben sie in einem schlechten Zustand erwartet. Was wir nun aber sehen, ist wirklich beklemmend: eine nicht sehr tiefe Rinne, mit hohem Gras bewachsen und stellenweise auch niedergewalzt. Die Drahtsperren sind zerrissen, als ob die Russen mit ihren Feinden plaudern gegangen wären. Nächtelang bessern wir die Schützengräben aus, tagsüber schlafen wir oder lassen den Blick über die hügelige Landschaft schweifen. Soweit das Auge reicht ist da nur Gras. Niemand hat irgendetwas gesät, niemand erntet. Der Feind hat sich auf dem gegenüberliegenden Hügel verschanzt, etwa 800 Meter von uns entfernt.“
Österreich-ungarische Armeeführung unter Schock
Der Begriff „Feind“ hat in diesem Fall eine tragische Bedeutung. Der tschechoslowakischen Brigade stehen nämlich ihre Landsleute gegenüber, die in die k. u k. Armee einrücken mussten. Konkret handelt es sich um zwei Regimenter der 19. Infanterie-Truppendivision: das erste aus Plzeň / Pilsen und das zweite aus Jindřichův Hradec / Neuhaus. In beiden bilden Tschechen die große Mehrheit der Soldaten. Daneben wird an ihrer Seite eine ungarische Infanterie eingesetzt. Obwohl die österreichisch-ungarischen Verbände sehr viel größer und besser ausgerüstet sind, erleiden sie eine bittere Niederlage. Für die Generalität der k. u k. Armee muss dies ein Schock gewesen sein.„Die tschechoslowakische Brigade nahm innerhalb einer Stunde die erste Linie der österreichischen Schützengräben ein. Kurz danach eroberte sie auch die zwei weiteren. Dieser Erfolg war in ihrer flexiblen Taktik begründet: Die Aufklärer, die sich angeschlichen hatten, durften sich auch im feindlichen Feuer bewegen und selbständig entscheiden. Das war in der russischen Armee gänzlich anders: Wenn dort ein Kommandant fiel oder verletzt wurde, hörte üblicherweise die ganze Einheit auf zu kämpfen. Bei den Legionären übernahm in solch einem Fall sofort der stellvertretende Kommandant oder jemand anderes die Führung. Der Unterschied lag auch in der Form des Angriffes: Während die Einheiten damals praktisch in Wellen heranstürmten, gingen die tschechoslowakischen Soldaten katzenartig vor, wie dies später ein österreich-ungarischer Analytiker benannt hat“, sagt Historiker Jakl.
Die Schlacht war jedoch gar nicht lustig. Die Legionäre beklagten fast 200 Gefallene, etwa 700 Verletzte und mehr als 1000 Vermisste, bei der k. u k. Armee lagen die Zahlen noch höher. Am härtesten umkämpft war der Hügel „Mogila“, den die Ungarn verteidigten. Erst nach sechs Stunden gaben sie auf. Die tschechoslowakische Legion nahm hat mehr als 4000 feindliche Soldaten gefangen – mehr, als sie selbst hatte. Darüber hinaus erwarb sie eine große Menge an Munition, einschließlich schweren Kanonen. Tomáš Jakl:„Die österreich-ungarische Armee analysierte sehr gründlich ihre bittere Niederlage. Die Abgeordneten im Reichsrat forderten sogar eine Erklärung dazu, wie sich die Soldaten tschechischer Nationalität verhalten und ob sie nicht den Sieg des Feindes ermöglicht hatten. Damals war bereits bekannt, dass eine tschechoslowakische Brigade angegriffen hatte. Das Resultat der Ermittlung lautete jedoch, dass die Truppen wirklich im Kampf besiegt worden waren. Die tschechischen Soldaten erfuhren meist erst während der Schlacht, dass ihre Landsleute ihnen gegenüberstanden. Dokumentiert ist beispielsweise, dass die Soldaten einander erkannt haben, manchmal waren es sogar Brüder. Die Verteidigung als Ganzes wurde aber von österreichischen und deutschen Offizieren organisiert, da spielte die Nationalität der Soldaten keine Rolle.“
Die Tschechen – ein „verräterisches Volk“
Die Tatsache, dass tschechische Legionäre ihre Waffen gegen die Monarchie erhoben, wurde in Österreich als Verrat betrachtet. Die Zeitungen nannten dies das „unverschämteste Verbrechen“, das jemals während eines Krieges verübt worden sei. Die Tschechen wurden als „höchst verräterisches Volk“ hingestellt. Es hieß, sie hätten durch ihre Desertation den Tod von mehreren Tausend deutschen Soldaten verursacht.Ganz anders jedoch das Bild in Russland: Der Hauptbefehlshaber der Truppen bedankte sich persönlich bei den Legionären und verbeugte sich mehrmals vor ihnen. Die russische Interimsregierung ordnete an, weitere Freiwillige für die Legion in den Gefangenenlagern anzuwerben.
Aus militärischer Sicht hatte jedoch die Schlacht keine große Bedeutung. Die russische Armee war – wie gesagt – dabei zu zerfallen und auch nicht imstande, die eroberte Linie zu halten. Noch im Sommer 1917 wurde sie durch österreichisch-ungarische und deutsche Truppen bis zur Staatsgrenze Russlands zurückgedrängt. Sehr wichtig war dagegen der Sieg bei Zborów für den tschechoslowakischen Widerstand. Dessen Hauptfigur Tomáš Garrigue Masaryk hielt sich im Sommer 1917 in Sankt Petersburg auf. Der spätere erste Staatspräsident der Tschechoslowakei schickte ein Telegramm an die Legionäre:
„Brüder! Für Eure hussitische Tapferkeit habt Ihr die Anerkennung Russlands und der ganzen alliierten Welt. Ihr habt unseren Freunden und Feinden bewiesen, dass unser Volk ohne Zweifel entschieden ist, nationale und politische Selbständigkeit zu erringen. Eure Taten auf dem Schlachtfeld geben unseren Forderungen im Wiener Parlament den wahren Sinn. Sankt Petersburg, am 3. Juli 1917.“Das Lob seitens Masaryks hatte einen guten Grund: Nach der Schlacht schenkten die Alliierten dem tschechoslowakischen Widerstand im Ausland viel mehr Aufmerksamkeit. Dieser Sieg der Legionäre in Russland und weitere in Frankreich und Italien schufen die Voraussetzung für eine internationale Anerkennung der Tschechoslowakei im Oktober 1918. Deswegen wurde in der Zwischenkriegszeit hierzulande die Schlacht bei Zborów oft auch pathetisch gefeiert – und die Legionäre galten als nationale Helden.