"Belebte Literatur" in der Prager Stadtbibliothek

Prager Stadtbibliothek (Foto: Pavla Horakova)
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Die Bibliothek als ein multikulturelles Zentrum - mit diesem Ziel wurde in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Gebäude der Zentralen Bibliothek in Prag erbaut. Für damals war es ein recht modernes Vorhaben. Die Prager Stadtbibliothek versucht die Tradition eines multikulturellen Zentrums fortzuführen. "Belebte Literatur in der Bibliothek" heißt das Programm, das die Mitarbeiter der Bibliothek mit dem weltberühmten Schwarzen Theater von Jirí Srnec für den Sommer vorbereitet haben. In die Stadtbibliothek laden Sie Martina Schneibergova und Gerald Schubert im folgenden Spaziergang durch Prag ein.

Prager Stadtbibliothek  (Foto: Pavla Horakova)
Als die Räumlichkeiten der Zentralen Bibliothek in Prag in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr den Bedürfnissen des damals entstandenen Netzes von Bibliotheken entsprachen, suchte man nach finanziellen Mitteln, um einen neuen modernen Sitz für die Bibliothek zu errichten. Dank der damaligen Prager Stadtversicherungsanstalt konnte in den Jahren 1925-28 ein modernes Gebäude auf dem Prager Marienplatz erbaut werden. Es handelte sich damals um das erste speziell für Bibliothekszwecke erbaute Gebäude in der Tschechoslowakei überhaupt.

Das Haus dient seinem Zweck bis heute. Es wurde jedoch in den Jahren 1995-98 gründlich renoviert. Parallel mit den Renovierungsarbeiten wurden die dort angebotenen Dienste dem zeitgenössischen Trend entsprechend modernisiert. Der Direktor der Stadtbibliothek Tomás Rehák betont, die Bibliothek stelle einen idealen Raum dar, in dem verschiedene Kunstgenres präsentiert werden könnten. Die Idee, eine Bibliothek als ein offenes Kulturzentrum zu betreiben, ist auf dem Prager Marienplatz (Mariánské námestí) jedoch nicht neu. Tomás Rehák meint:

"Es ist wirklich beachtenswert, dass auf die Idee, die heute in Westeuropa aktuell wird, hier jemand schon Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre kam. Das Gebäude auf dem Marienplatz entstand wirklich mit dem Ziel, die Kultur zu präsentieren. Man lud hier damals zur Präsentation der bildenden Kunst, der Literatur, des Balletts sowie des Theaterschaffens ein. Wir bemühen uns darum, diese Idee auch weiterhin in die Tat umzusetzen. Auch heute findet man hier eine Galerie und man kann hier Theater- sowie Filmvorstellungen besuchen. Und natürlich findet man hier Literatur."

Im Sommer soll die Literatur in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek belebt werden. An dem Projekt arbeitet die Bibliothek gemeinsam mit dem weltberühmten Schwarzen Theater von Jirí Srnec. Der Bibliotheksleiter dazu:

"Das Projekt der belebten Literatur stellt einen Versuch dar, alle Kunstgenres auf einen Ort zu einem Zeitpunkt zu konzentrieren. Der Besucher öffnet damit sozusagen auf einmal alle Türen, die zu den einzelnen Kunstgenres führen."

Tomás Rehák räumte ein, er ließ sich bei der Zusammenstellung des Programms in der Stadtbibliothek auch von ausländischen Erfahrungen inspirieren. Über die Entstehung des Sommerprogramms sagte er:

Chef des Schwarzen Theaters Jirí Srnec  (Foto: Autorin)
"Die erste Anregung dazu kam von Jirí Srnec, dem Begründer und Leiter des bekannten Schwarzen Theaters. Er ist ein Visionär, muss ich sagen. Während der Diskussion einigten wir uns nicht nur über das Programm für diesen Sommer, sondern überlegten schon, was für eine Vorstellung für das kommende Jahr vorbereitet wird. Da wird es sich um eine speziell für den Raum der Bibliothek einstudierte Vorstellung handeln, die in einem Jahr hier Premiere haben soll."

Diesen Sommer möchte das Schwarze Theater von Jirí Srnec den Worten seines Leiters zufolge viele Geheimnisse der Literatur mit der Bühnensprache beleben. Die Vorstellung wird den Zuschauern einen Blick unter die Oberfläche des Gesehenen bieten, sagt der Theaterchef.

Bevor wir den Chef des Schwarzen Theaters Jirí Srnec zu Wort kommen lassen, ist es notwendig, einige Informationen über das Theaterensemble und seine Geschichte hinzuzufügen. Beim Stadtbummel durch die tschechische Hauptstadt, aber oft auch durch einige andere größere Städte Tschechiens stößt man immer wieder auf Bühnen von verschiedenem Niveau, die als das so genannte "schwarze Theater" bezeichnet werden. Sie bieten meistens das, wonach gefragt wird - sozusagen gut verdauliche Theaterklischees für ein Touristenpublikum, das von der Marke des schwarzen Theaters als etwas, was typisch tschechisch ist, angelockt wird. Damit nutzen sie den Ruhm eines Theaters aus, das bereits 1961 gegründet wurde und bis heute von seinem Begründer Jirí Srnec geleitet wird. Das Schwarze Theater war in den sechziger Jahren Bestandteil der damals entstehenden Theateravantgarde und zog von Anfang an die Aufmerksamkeit der Zuschauer sowie der Medien an. Das Prinzip, das Srnec in seinem Theater nutzt, geht von einem einfachen Trick des so genannten "schwarzen Kabinetts" aus, in dem schwarz gekleidete Schauspieler mit Requisiten aus der Sicht des Zuschauers vor dem schwarzen Hintergrund nicht zu sehen sind. Die Gegenstände sind dadurch imstande, sich zu bewegen und ein eigenständiges Leben zu führen. Für Jirí Srnec und sein Ensemble ist dieser Trickeffekt jedoch kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um eine szenische und mimische Metapher zu erreichen. Das Theater, das aber über keine eigene Bühne in der tschechischen Hauptstadt verfügt, unternahm bis heute fast 300 Auslandstourneen und nahm an 72 Theaterfestivals teil. Mehr als 3 Millionen Zuschauer in 68 Ländern haben seine Vorstellungen gesehen. Das Theater sowie sein Leiter Jirí Srnec sind inzwischen zur Legende geworden.

In der Prager Stadtbibliothek wird Srnec zuerst die Vorstellung mit dem Titel "Peter Pan" und im August die "Lustigen Träume" aufführen. Am Anfang war das Schwarze Theater sehr stark von der bildenden Kunst geprägt, denn es wirkten auch einige bildende Künstler im Ensemble. Mit der Zeit hat sich die Theatertätigkeit doch bedeutend geändert, denn die Mitglieder des Ensembles sind studierte Schauspieler und Tänzer. Jirí Srnec dazu:

"Ich meine, dass sich jedes Ensemble - ob ein Theater- oder ein Musikensemble - entwickelt. Und wir sind keine Ausnahme. Ich war am Anfang davon bezaubert, dass ein Objekt mit einem Schauspieler mitspielen kann. Ich selbst trat damals noch oft auf der Bühne auf und es ging vor allem um ein künstlerisches Zusammenspiel von Objekten und Mimen. Die Mitglieder des Ensembles waren damals bei weitem nicht so schauspielerisch ausgebildet wie heute. Mit uns trat damals z. B. Jirí Anderle auf, der heute ein weltbekannter Graphiker ist. Wir hatten damals auch einige Szenen, die rein abstrakt waren. Erstaunlicherweise wurde es vom Publikum akzeptiert. Bei den heutigen Vorstellungen geht es um versteckte Imagination, die wir alle haben."

Die Premiere der Peter Pan-Vorstellung in der Stadtbibliothek findet am kommenden Dienstag statt. Das Spiel wird immer vom Mittwoch bis zum Samstag bis zum 5. August aufgeführt. Ab 9. August wird in der Bibliothek das Stück "Lustige Träume" gespielt.

Damit sind wir fast am Ende des heutigen Spaziergangs angelangt. Es bleibt nur noch die übliche Quizfrage zu stellen, für deren richtige Beantwortung Sie eine CD gewinnen können. Die heutige Frage lautet: In welchem Prager Stadtteil befindet sich die Stadtbibliothek? Ihre Zuschriften richten Sie, bitte, an Radio Prag, Vinohradska 12, PLZ 120 99 Prag 2. Ende Mai fragten wir Sie in der Sendung danach, in welchem Jahr der böhmische König Premysl Otakar II. starb - es war 1278. Eine CD geht diesmal an Franz L. Strasser aus Augsburg.