Bertha von Suttner: Friedensnobelpreisträgerin aus Prag
Vielleicht war es Ironie des Schicksals: Die erste weibliche Friedensnobelpreisträgerin, Bertha von Suttner, starb am 21. Juni 1914, eine Woche vor dem Attentat von Sarajevo. Zwanzig Jahre lang hatte die österreichische Friedenskämpferin, Schriftstellerin und Journalistin vor einem möglichen Ausbruch des Ersten Weltkrieges gewarnt. Nun sind hundert Jahre vergangen, seit die gebürtige Pragerin starb.
„Anfänglich versuchte sie sich mit dem böhmischen Hochadel zu identifizieren. Jedoch litt sie ihr gesamtes Leben darunter, dass sie aus den höchsten Kreisen ausgeschlossen wurde, ebenso aufgrund der nicht angemessenen Herkunft ihrer Mutter.“
Werner Wintersteiner ist Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedenspädagogik an der Universität in Klagenfurt. Er beschäftigt sich mit Bertha von Suttner im Rahmen der Friedensforschung. Wintersteiner sieht in Suttners Abstammung vielmehr ein Problem bei der Sicherung ihres Lebensunterhalts:„Ich denke, man darf die materiellen Bedingungen nicht außer Acht lassen. Ihre Situation war verheerend. Ihre Mutter hatte zwar eine gewisse Erbschaft gemacht, doch sie hatte viel Geld durch Spielen in den Casinos durchgebracht. Das hieß de facto, ihre Familie war bettelarm. Suttner strebte eine Karriere als Opernsängerin an, scheiterte jedoch daran. Später unternahm sie verschiedene Heiratsversuche, die jedoch ebenfalls nicht glücklich endeten. Dabei ging es ihr vor allem um die Sicherung ihrer materiellen Existenz. Somit war das Ringen nach Anerkennung durch jene adelige Familie, aus der sie stammte, auch nur ein Versuch der Existenzsicherung.“
Deshalb beschloss Bertha Kinsky, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Sie trat eine Stellung als Gouvernante im Hause des Barons Karl von Suttner in Wien an. Hier kam ihr zugute, dass sie über eine gute humanistische Bildung verfügte. Bertha Kinsky sprach viele Sprachen fließend, darunter Englisch, Französisch und Italienisch. Im Hause Suttner lernte sie den sieben Jahre jüngeren Sohn der Familie kennen, Arthur von Suttner. Die beiden verliebten sich, Arthurs Mutter hingegen versuchte diese nicht standesgemäße Beziehung zu unterbinden. Auf den Druck der Baronin von Suttner hin musste Bertha das Haus verlassen. Man fand für Bertha eine neue Stelle in Frankreich. In Paris arbeitete sie dann etwas mehr als eine Woche als Privatsekretärin für niemand geringeren als den Erfinder des Dynamits, Alfred Nobel. Danach kehrte sie aber wieder nach Wien zurück. Nobel war jedoch sehr von ihr angetan. Die Begegnung mit ihm sollte Berthas spätere Tätigkeit stark beeinflussen. In Wien heiratete Bertha heimlich Arthur von Suttner - gegen den Willen seiner Familie. Daraufhin wurde der Adelige enterbt. Zuflucht suchte das Paar bei einer Freundin Berthas in Georgien. Knapp neun Jahre verbrachten die Eheleute im Kaukasus. Ihren Lebensunterhalt bestritten sie mit Schreiben, sagt Werner Wintersteiner:„Ihr Mann und sie arbeiteten dort als Journalisten. Beide beschäftigten sich mit den politischen Vorgängen der damaligen Zeit. Sie beobachteten die politischen Ereignisse und bildeten sich dazu ihre eigene Meinung. Nebenbei schrieb Suttner Romane, die sie relativ erfolgreich zum Broterwerb verkaufen konnte, künstlerisch wertvoll waren sie allerdings nicht.“Während des russisch-türkischen Krieges 1877 begann Bertha von Suttner im kaukasischen ‚Exil‘ unter dem Pseudonym B. Oulot zu schreiben. Dabei war sie ebenso erfolgreich wie ihr Mann und veröffentlichte Essays und Kurzgeschichten vor allem in österreichischen Zeitungen. Arthur von Suttner schrieb Zeitungsartikel und Berichte von der Front. 1885 kehrten Bertha und Arthur zurück nach Österreich, denn Arthur hatte sich mit seiner Familie ausgesöhnt. Das Ehepaar zog auf den Suttnerschen Landsitz nach Harmannsdorf. Nach ihrer Zeit im Kaukasus begann für Bertha ein wichtiger Lebensabschnitt: Erneut besuchte sie Alfred Nobel in Paris und kam dabei zum ersten Mal mit der Friedensbewegung in Berührung. Ihr Fokus lag nun auf sozialen und pazifistischen Themen. 1889 veröffentlichte sie ihren wohl bekanntesten Roman: „Die Waffen nieder!“. Er erregte großes Aufsehen und wurde in viele Sprachen übersetzt. Mit diesem Bildungsroman traf sie den Nerv ihrer Zeit. Sie beschreibt, wie eine adelige Frau aus Wien zur Pazifistin wird. Doch Berthas politisches Engagement sei nicht plötzlich zustande gekommen, meint Werner Wintersteiner:
„Ich denke jedoch auch, dass sich dieses Interesse an der Friedensbewegung durch ihr Studium und ihre Beschäftigung mit der gesellschaftlichen Realität angedeutet hat. Sie sagt dann: ‚Ich war ganz erstaunt, dass es eine Friedensbewegung gibt‘, aber offenbar ist das bei ihr schon auf fruchtbaren Boden gefallen. Das heißt, ihr Interesse an solch einer Bewegung war sehr groß. Und wenn es nicht schon eine Friedensbewegung gegeben hätte, dann hätte Suttner sie wohl erfunden.“Bertha von Suttner knüpfte Kontakte zu Pazifisten in der ganzen Welt. 1891 gründete sie die „Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde“, deren Präsidentin sie bis zu ihrem Lebensende blieb. Im darauffolgenden Jahr rief sie die Deutsche Friedensgesellschaft ins Leben, die in kürzester Zeit über 2000 Mitglieder zählte. „Friedens-Bertha“, wie sie abfällig in deutschnationalen Kreisen genannt wurde, nahm an mehreren internationalen Friedenskongressen und Konferenzen teil. So reiste sie beispielsweise nach Bern, Antwerpen, Hamburg und Monaco. Die Erste Haager Friedenskonferenz in Den Haag wurde ebenfalls von ihr mitorganisiert. 1904 nahm Bertha von Suttner auch am Weltfriedenskongress in Boston teil. Hier wurde sie sogar von Präsident Theodore Roosevelt ins Weiße Haus eingeladen. Ihre USA-Reise hatte Bertha von Suttner nachhaltig beeindruckt, da die Idee der Friedensbewegung in Amerika wesentlich fortgeschrittener war als in Europa. So scheiterte Suttner beispielsweise bei dem Versuch, eine deutsch-tschechische Friedensgesellschaft in Prag zu initiieren. Werner Wintersteiner führt aus:
„Das ist eindeutig, Bertha von Suttner war nicht erfolgreich im Etablieren einer deutsch-tschechischen Friedensgesellschaft in Prag, jedoch nicht auf die Art, wie es ihr ursprüngliches Anliegen gewesen war und wofür sie sich hatte einbringen wollen. Sie hat ganz eindeutig die deutschsprachige Volksgruppe für dieses Dilemma verantwortlich gemacht. ‚Das ist an dem Nationalismus der Deutschen gescheitert.‘, so oder so ähnlich hat sie es formuliert. Es bedeutete jedoch nicht, dass sie nicht erfolgreich gewesen war, auch pazifistische Ideen in Tschechien zu verbreiten. Aber natürlich haben diese Ideen auch ohne Suttner ein Echo in Tschechien gefunden und wurden hierzulande weiterentwickelt.“ Erst 1905 erhielt Bertha von Suttner als erste Frau den Friedensnobelpreis. Denn Suttners Engagement für die Friedensbewegung hatte Alfred Nobel so sehr beeindruckt, dass es ihn zur Einrichtung eines solchen Preises animierte.„Das erklärt auch, warum sie bei uns so bekannt ist. Manches, was sie getan hat, was sie organisiert hat, ist in Vergessenheit geraten. Aber dass sie Trägerin des Friedensnobelpreises ist, dass ist es, was man bis heute weiß.“– so, der Germanist Milan Tvrdík.
Dass die erste Friedensnobelpreisträgerin heute noch so bekannt ist, liegt nicht nur an ihren fortschrittlichen Ideen in Bezug auf die Friedensbewegung. Sie war in gewissem Sinne ihrer Zeit voraus, wie Werner Wintersteiner erklärt:
„Ich glaube, sie hat an einer Schnittstelle gearbeitet, ohne im modernen Sinne eine Feministin zu sein. Sie hat sich für die Belange der Frauen eingesetzt und keinen existentialistischen Begriff von Frauen gehabt. Sie hat nicht gedacht, dass Frauen an sich friedfertiger als Männer sind, sondern sie hat genau gezeigt, wie der Militarismus eine Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, eine Funktionsteilung ermöglicht. Das finde ich im Grunde modern an ihr. Sie hat sich gegen den Nationalismus und gegen den Antisemitismus engagiert. Sie hat ja die Liga gegen Antisemitismus gegründet und ihren Mann als Präsident eingesetzt. Sie hat ständig gegen Chauvinismus und Militarismus gekämpft und damit also einen Knotenpunkt dessen geschaffen, was wir heute als ‚soziale Bewegungen‘ bezeichnen würden. Bertha von Suttner hat vielleicht nicht so stark an Fragen der Demokratisierung oder an ökologischen Fragen gearbeitet, wie sie heute im Vordergrund stehen. Aber in gewissem Sinn hat sie sich eigentlich für eine Weltgesellschaft eingesetzt, heute würden wir ‚global citizenship‘ dazu sagen. Des Weiteren entwickelte sie auch schon Gedanken zu einem vereinten Europa.“