Bildung, die bewegt: Das Erasmus-Programm der EU bringt Studierende aus ganz Europa näher zusammen

Im Studentenwohnheim Sinkule diskutieren Anton Herdt und Christoph Schmiedt über ihr Auslandssemester in Prag.
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Eine Gelehrtenrepublik in Europa, das war der große Traum des Philosophen, Theologen und Humanisten Erasmus von Rotterdam. Mehr als 500 Jahre nach seinem Tod ist dieser Traum Wirklichkeit geworden, wenn natürlich auch unter anderen Vorzeichen: Das Erasmus-Bildungsprogramm der EU ermöglicht Studierenden einen Auslandsaufenthalt und fördert - ganz im Sinne von Erasmus von Rotterdam - den europaweiten Austausch von Wissen und Erfahrungen. Sandra Dudek hat zwei deutsche Erasmus-Studenten getroffen, die, nicht nur aus Bildungsgründen, ein Semester in Prag studieren:

Knapp 12 Quadratmeter ist das Zimmer groß und mit der notwendigsten Grundausstattung versehen, der man ansieht, dass sie schon einige Jährchen auf dem Buckel hat. Wohnlich ist es nicht, aber wohnen kann man hier. Und auch in Ruhe studieren. Denn der deutsche Informatik-Student Anton Herdt hat Glück gehabt und muss sein Zimmer im Prager Studentenwohnheim Sinkule nicht teilen. Aber auch das, so Christoph Schmiedt, ebenfalls Informatik-Student aus Deutschland und in einem anderen Studentenwohnheim untergebracht, nehme man gerne in Kauf dafür, dass man ein Semester in Prag studieren kann. Und die Stadt habe er sich ganz bewusst ausgewählt, so Christoph Schmiedt:

"Meine Motivation nach Prag zu gehen war, dass ich schon öfter in Prag war, leider immer nur für ein, zwei Wochen oder für ein Wochenende. Das war damals natürlich auch anders, da war es noch Party-Prag. Mich hat das Leben interessiert, ich wollte bewusst nach Prag, es war nicht irgendeine Wahl, ich wollte hier sein. Und es hat sich gelohnt."

Andere Beweggründe hatte Anton Herdt, als er sich um einen Studienplatz in Prag beworben hat:

"Ich wurde zum Beispiel von meinem Professor motiviert, der ist Tscheche, der kommt aus Prag, hat in Prag studiert und der unterrichtet bei uns in Furtwangen. Der hat ein bisschen Werbung dafür gemacht, die Leute angesprochen und sie aufgeklärt darüber, wie es da läuft, damit die Leute keine Angst haben und wissen, was sie erwartet. Und das hat ganz gut funktioniert."

Anton Herdt und Christoph Schmiedt sind zwei von derzeit rund 125.000 europäischen Studierenden, die im Rahmen des EU-Bildungsprogramms Erasmus ein Semester im Ausland studieren. Bewerben kann man sich für insgesamt 31 Länder, und zwar für die 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die drei Länder des Europäischen Wirtschaftsraumes Island, Liechtenstein und Norwegen sowie die drei Kandidatenländer Bulgarien, Rumänien und die Türkei.

Foto: Europäische Kommission
1987 wurde das Programm ins Leben gerufen, um in erster Linie die "physische Mobilität" der Studierenden zu fördern. Mit den EU-Erweiterungen ist aber immer mehr die "europäische Dimension" in den Mittelpunkt getreten und so lautet die heutige Devise des Programms "Die Studierenden nach Europa und Europa zu allen Studierenden zu bringen". Damit soll nicht nur die Qualität der Hochschulbildung verbessert, sondern generell die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und der Wissenstransfer gefördert werden. Außerdem soll auch die akademische Anerkennung von Studienleistungen und Abschlüssen in der gesamten EU begünstigt werden. Ein System, das aber auch seine Schwächen hat, wie Christoph Schmiedt meint:

"Das ganze nennt sich European Transfer Credit System, man bekommt seinen internationalen Notenspiegel und ein Credit entspricht einer Semesterwochenstunde bei uns, das bedeutet eine Dreiviertelstunde. Eine normale Vorlesung hat zwei Credits, also zwei Semesterwochenstunden, eineinhalb Stunden, so wie bei uns auch. Die Noten werden wiederum anders verrechnet: Tschechien hat die Noten eins bis drei, alles, was schlechter ist, bedeutet durchgefallen. Deutschland hat eins bis fünf, fünf wäre durchgefallen, vier wäre grad noch bestanden. Und da gibt es eigentlich die Hauptprobleme mit dem Anerkennen."

Um nach dem Studienaufenthalt einem eventuellen Notenkampf aus dem Weg zu gehen, kann man sich auch gezielt für eine Universität im Ausland bewerben, die eine Partnerschaft mit der Heimatuniversität hat. So wie das beispielsweise Anton Herdt und Christoph Schmiedt gemacht haben. Ihre Stammuniversität, die Informatik-Fachhochschule Furtwangen vergibt pro Semester vier Plätze für Prag. Kooperationspartnerin ist die CVUT, die Technische Universität Prag. Neben der problemlosen Anerkennung von Studienleistungen bringt diese Universitäts-Partnerschaft aber auch noch andere Vorteile, so Christoph Schmiedt:

Foto: Jan Moravec
"Was ich sehr nützlich finde, ist, dass die CVUT ein Buddy-Programm hat, das bedeutet auf jeden Austauschstudenten kommt ein Student, der sich um einen kümmern sollte. Die Idee davon finde ich sehr gut, allerdings hapert es noch ein kleines bisschen an der Umsetzung. Ich habe zum Beispiel nie einen Buddy gehabt, aber ich habe auch sehr positive Beispiele gehört, wo der Buddy bis zur Einschreibung und dem Fahrkartenkaufen alles geregelt hat, den Leuten einfach geholfen hat. Daher würde ich sagen, die Idee ist sehr gut, sie müssen nur noch ein bisschen dran feilen."

Ein bisschen Orientierungshilfe kann man im fremden Land gut gebrauchen: Vor allem zu Beginn des auf drei bis sechs Monate begrenzten Aufenthalts sind viele bürokratische Hürden zu nehmen. Kein leichtes Unterfangen, wenn eine Verständigung auf Englisch nicht möglich ist. Und Tschechisch sei in so kurzer Zeit eben nicht zu erlernen, wie Anton Herdt und Christoph Schmiedt bedauernd feststellen. Die im Tschechischkurs erlernten Grundkenntnisse reichen bei weitem nicht für eine Konversation, viele Lehrveranstaltungen an der Universität werden auf Englisch angeboten. So sei es eben auch eher schwierig, Tschechen kennen zu lernen, vor allem zu Beginn des Aufenthaltes, so Anton Herdt:

Am Anfang war es natürlich so, dass man erst mal die Erasmus-Studenten kennen lernt, weil es auch viel einfacher ist, weil man am Anfang sehr viel zusammen unternimmt, die ganzen Führungen und Einführungen und dann kommt man ziemlich schnell mit anderen Erasmus-Studenten zusammen. Man muss natürlich aufpassen, dass man nicht die ganze Zeit mit Erasmus-Studenten rumhängt, weil man sonst nichts von diesem Land merkt, weil man dann sozusagen eingekapselt ist.

Eine solche Einkapselung würde dem Namensgeber des Bildungsprogramms, Erasmus von Rotterdam, allerdings nicht gefallen. Auf der Suche nach neuen Erkenntnissen, Erfahrungen und Einblicken, die nur durch den Kontakt zu anderen Ländern gewonnen werden können, lebte und arbeitete er in verschiedenen Teilen Europas. Damit begründete Erasmus von Rotterdam bereits im Mittelalter eine Tradition, die unter anderem im Mobilitätsprogramm der EU ihre Fortsetzung findet.

Gelegenheiten, nicht nur das Land, sondern vor allem auch dessen Leute kennenzulernen, gibt es zu Genüge, wenn man sich nur aktiv darum bemüht. So hat Christoph Schmiedt beispielsweise einen Deutschkurs für Tschechen angeboten oder ist im Studentenwohnheim einfach einen Stock höher gegangen, wo er keine Erasmus-Studierenden mehr angetroffen hat. Denn der Austausch mit den Tschechen sei ihm besonders wichtig:

"Weil man in eine ganz andere Welt kommt. Die Welt ist zwar nicht mehr so vom Kommunismus geprägt, aber die Überbleibsel merkt man. An der Bürokratie merkt man es, an der Einstellung von Leuten zum Teil, wenn man so hört, was Studenten über ihre Eltern erzählen, wie das damals war, warum Dinge so sind, warum Versammlungen anders ablaufen, Kritik anders abläuft, warum das Schulsystem und die Kritikbereitschaft in der Schule oder an der Uni nicht so ist wie bei uns zu Hause. Das sind zum Beispiel wichtige Dinge, die ich interessant fand, wo man Menschen auch besser versteht."

Menschen verstehen wollen. Ein schönes Motto, für das die tschechische Sprache durchaus von Nutzen, aber nicht unabdingbar notwendig ist. Und außer neuen Erkenntnissen werden Anton Herdt und Christoph Schmiedt wohl auch noch viele andere Erinnerungen nach Hause mitnehmen.





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt