Blutsuppe, Leberwürste, Knipp – die Tradition der Hausschlachtungen in Tschechien
Hausschlachtungen – mindestens einmal jährlich schafft es dieses Thema in die tschechischen Schlagzeilen. Dann nämlich, wenn Brüssel angeblich wieder mal etwas verboten hat. Das ist dann zumeist aber eine Ente. Wahr ist: Knödel, Kraut und Schweinefleisch - die tschechische Küche ist fett und gehaltvoll. Auch ganz gewöhnliche Bürger kaufen immer wieder mal ein lebendiges Schwein und bestellen den Schlachter in den eigenen Garten. Wie viele Hausschlachtungen in Tschechien jedes Jahr durchgeführt werden, weiß auch das Veterinäramt nicht. Es gibt keine Meldepflicht. Christian Rühmkorf hat sich das Schauspiel angeschaut bei Familie Petržílek in der ostböhmischen Kleinstadt Slatiňany.
„Ein Schussapparat (sagt er auf Deutsch). Damals, noch im Kommunismus, da konnte ich für eine Woche in die Nähe von Köln reisen. Da sollte ich bei einem Bekannten eine böhmische Hausschlachtung zeigen. Die haben gesagt, wenn ich das Schwein mit der Axt töte, werde ich 24 Stunden eingelocht. Da musste ich mir dann einen Schussapparat besorgen.“
Zehn Minuten später:
Das Schwein quiekt wie am Spieß. Der Schlachter hat das linke Bein mit einem Strick fixiert und setzt ihm das Gerät zwischen die Augen. Zehn Zentimeter tief dringt der Bolzen in das Hirn. Vater Petržílek und Sohn Pavel drücken den zuckenden Körper auf den Boden. Ladislav sticht zu. Dann hebelt er den Vorderlauf des Schweins rauf und runter wie eine Wasserpumpe. In Stößen stürzen acht Liter Blut aus dem klaffenden Loch unterhalb der Kehle, direkt in den Topf von Mutter Petržílková, die es sofort mit dem Schneebesen rosaschaumig schlägt.
Installateur Petržílek repariert lieber tropfende Wasserhähne, das muss er zugeben.„Ja sicher! Gern schau ich mir das nicht an. Aber wenn es dann mal auf dem Teller ist, dann ist das was Gutes.“
„Keine Chemie, kein Futtermehl. Das Fleisch ist viel saftiger und günstiger als das aus dem Supermarkt. Und viel gesünder“, erklärt auch Sohn Pavel fachmännisch, selbst schon Vater zweier fast erwachsener Töchter.
Zwei Mal im Jahr machen die Petržíleks in ihrem Garten eine Hausschlachtung. Die Nachbarn sogar noch öfter. Jedes Mal wird dann Ladislav gerufen, der Wirt von der Kneipe hinter den Bahnschranken. Gelernter Schlachter, sagt er, und schabt mit Ketten und Kratzglocke die Borsten herunter.„Das ist einfach Tradition bei uns, diese Hausschlachtungen. Und ich bin schon die vierte Generation. Urgroßvater, Großvater, Vater und ich.“
Und während Ladislav weiter seinem Handwerk nachgeht, erinnert er sich noch an die Schlachtung, die er vor 26 Jahren bei Köln gezeigt hat. Ein Schlachter aus der Tschechoslowakei war damals nicht alltäglich im äußersten Westen Deutschlands:
„Als ich damals bei Köln das Schwein getötet, abgefackelt, aufgehängt und in zwei Hälften zerteilt hatte, da kam der Herr Doktor an, der Tierarzt, in Gummistiefel, um das Schwein zu begutachten. Aber der hat die ganze Zeit nur mich skeptisch begutachtet. Da sag ich zu meinem Freund: Erklär´ dem mal, dass er nicht mich, sondern das Schwein begucken soll. An mir gibt´s nichts zu sehen!“Mit dem Töten des Schweins ist Ladislavs Aufgabe noch längst nicht erfüllt. Ausweiden, zerlegen, kochen der Schlachtsuppe aus Kopf, Leber und Lunge, durch den Fleischwolf drehen, abschmecken – Pausen kennt er beim Schlachten nicht.
„Die Neureichen von heute, bei denen ist das auch schon wieder modern, so eine Hausschlachtung. Die veranstalten das rein zum Vergnügen.“ Und während Ladislav noch kopfschüttelnd über die Neureichen sinniert als seien es Menschen vom anderen Stern, brät Mutter Petržílková im Haus Zwiebeln für die Würste.„Da wird aber auch was Süßes gebacken – heute Krapfen, da kommt die ganze Familie zusammen, so ein Schwein hat eben viele Freunde. Das, was übrig bleibt, was nicht verbraucht wird – Blutsuppe, Leberwürste, Knipp - das geben wir Freunden und Bekannten. Und wenn die dann schlachten, dann bekommen wir auch etwas ab. So haben wir immer frisch Geschlachtetes.“
Wer Fleisch hat, dem geht´s gut – viele Tschechen denken noch so. Daher ist der Aufschrei groß, wenn zur Saure-Gurken-Zeit die Medien immer wieder melden: Die EU verbietet uns zu schlachten – keine Grützwürste mehr für gute Nachbarschaft! Blödsinn, Falschmeldung, heißt es dann jedes Mal aus dem staatlichen Veterinäramt. Nur für die jüngeren Tschechen ist das Schlachten kein Thema mehr: „Wenn überhaupt Fleisch, dann nur vom Huhn, Schwein ist mir zu fett“, sagt die 17-jährige Enkelin Aneta und verzieht das Gesicht.Im Gartenhäuschen türmt sich auf Láďas Schlachtbrett mittlerweile ein gräulicher Haufen aus Graupen, Backenfleisch, Leber und Lunge – alles durch den Fleischwolf gedreht. Jetzt heißt es Grützwürste stopfen.
Die Technik beherrschen nicht mehr viele, erklärt Láďa. Die eine Seite der Faust nimmt den Brei auf, die andere Seite drückt ihn in das vorbereitete Stück Darm. „Das ist einfach Tradition. Bei so einer Hausschlachtung wäre das schade, die Würste maschinell zu stopfen.“
Nach sechs Stunden Arbeit - ist das meiste geschafft. Familie Petržílek hat kiloweise Fleisch zum Einfrieren, Gulasch, Grützwürste, Blutsuppe. Und Schlachter Ladislav muss nun zügig zu seinem anderen Job - Bier zapfen.
„Ahoj! Falls Ihr noch Fragen habt, ich bin in meiner Kneipe.“
Im Herbst wartet schon das nächste Schwein auf ihn im Garten von Familie Petržílek.