"Böhmische Weihnacht" - Die deutschsprachige Evangelische Gemeinde in Prag verbindet mit ihrem Kinder-Krippenspiel zwei Kulturen

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Rechtzeitig zum Fest wird sie, wie jedes Jahr, auch diesmal wieder von vielen hervorgeholt: Die biblische Weihnachtsgeschichte. Dass ihre Botschaft von Frieden und Versöhnung sehr praktisch umgesetzt werden kann, beweist die deutschsprachige Evangelische Gemeinde in Prag mit ihrem Kinder-Krippenspiel "Böhmische Weihnacht". Ein Stück, das deutschsprachige wie tschechische Menschen gleichermaßen ansprechen soll. Menno van Riesen hat sich die "Böhmische Weihnacht" in der Martinskirche für Radio Prag in der Martinskirche angeschaut.

Eine Trompetenfanfare schallt durch den Kirchenraum und ein Diener tritt in die Burgkulisse: "Edler Gebieter, die Fürsten Boleslav, Jaromir und Karel sind auf der Burg angekommen." - "Vyborne! Lass sie hereinkommen!"

Fürst Vaclav befiehlt seinem Diener, die drei anderen Fürsten ins Burgzimmer eintreten zu lassen. Sogleich bittet er sie zu sich an den Tisch, auf dem eine Karaffe und vier kleine Becher stehen:

"Dobry vecer. Ihr habt mich ja ganz schön warten lassen. Ich dachte schon, ich müsste meinen Wein alleine trinken. Kommt, setzt Euch!"

Jaromir ist sichtlich erfreut:

"Es geht doch nichts über einen schönen Herrenabend im tiefen Winter vor einem warmen Kamin mit einem guten Wein."

Vaclav bestätigt:

"Ganz meiner Meinung. Na zdravi!"

Alle vier prosten sich zu.

Gespannt verfolgen die Kirchenbesucher den Beginn des Krippenspiels "Böhmische Weihnacht" der deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde in Prag. Mit seinem hohen Mittelschiff und dem fächerförmigen Kreuzrippengewölbe spiegelt die romanische Martinskirche einen passenden Schauplatz wider. Das Licht ist gedämpft, Pastor Ulrich Biskamp richtet den Strahl eines einsamen Scheinwerfers auf die Akteure. Die drei Fürsten sind in weite Gewänder gehüllt, an den Hüftseiten lugen kleine Holzschwerter hervor. Freda, die Fürst Vaclav mimt, hat eine goldfarbene Papierkrone auf dem Kopf. Fürst Boleslav erhebt sich und schaut zum Chor auf der anderen Längsseite des Mittelschiffes hinüber. Dort steht vor einer Stallfassade aus dickem Karton die kleine Hanna im Engelskostüm und winkt mit einem Stock, an dessen Ende ein großer Stern klebt:

"Ihr habt eine gute Sicht von Eurer Burg. Ganz Böhmen kann man sehen! Nur Prag, unsere Hauptstadt, sieht man nicht. Es müsste in der Richtung liegen, wo dieser komische Stern mit dem Schweif steht." Jaromir versteht nicht recht: "Wo was steht?" - "Na, dieser Stern mit dem Schweif!" - "Ihr habt wohl schon zuviel getrunken", entfährt es Karel. Boleslav wird immer ungeduldiger: "Seht doch selbst! Tam!"

Die Kinder präsentieren die böhmische Weihnachtsgeschichte. Nach der biblischen Überlieferung deuten drei Weise aus dem Morgenlande das neuartige Himmelsphänomen - nach der böhmischen Tradition sind es drei Könige, oder besser: Fürsten. Allein schon deshalb, weil es niemals mehrere Könige gleichzeitig in Böhmen gegeben hat, wie Pastor Ulrich Biskamp erzählt:

"Die andere Geschichte ist, wir nehmen noch die Legende vom vierten König mit auf. Das ist eine alte slawische Legende von einem König, der mit den anderen Fürsten zwar loszieht, aber den Anschluss verpasst, weil er auf seinem Wege zur Krippe sehr stark das Gebot der christlichen Nächstenliebe verfolgt. Nach der Legende kommt er erst bei Jesus an, als dieser schon gekreuzigt wird, aber diese Variante bieten wir in unserem Krippenspiel freilich nicht, doch die Grundlegende nehmen wir schon auf. "

Den vierten König verkörpert im weihnachtlichen Krippenspiel Fürst Vaclav. Auch er ist überwältigt von dem seltsamen Stern mit dem Schweif und überlegt, was dieser wohl zu bedeuten hat:

"Pockejte! Stern, Stern... Ich hab´s! Steht nicht in den alten Schriften: `Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen`? Der Stern deutet sicher auf einen neugeborenen König hin. Bei all dem Elend in den böhmischen Ländern."

Als die drei Fürsten sofort ihre Pferde satteln wollen, um dem Stern zu folgen, zögert Vaclav:

"Nicht so schnell! Ich kann hier doch nicht einfach weglaufen! Ich habe eine kranke Frau. Die kann ich nicht alleine lassen. Sie muss erst wieder gesund werden." Jaromir macht ihm einen Vorschlag: "Dann kommt doch nach. Wir treffen uns in Prag!" Die drei verabschieden sich: "Na shledanou, Vaclav!"

Die vier Musiker des renommierten "Prazsky poutovy orchestr" bzw. "Prague Funfair Orchestra" spielt im Hauptchor neben der Krippe auf und die drei Fürsten machen sich auf den Weg. Akkordeon, Bass, Geige und Fagott mischen eine typisch tschechische Musikfarbe. Pastor Ulrich Biskamp ist es wichtig, böhmische wie deutsche Elemente in das Krippenspiel einzufügen:

"Ich habe auch in meiner letzten Gemeinde immer darauf geachtet, dass wir das Weihnachtsereignis in die jeweilige Region hineintragen. Das machen wir in der Böhmischen Weihnacht auch. Es sind einige tschechische Ausdrücke in dem Stück, und Maria und Josef haben entsprechende tschechische Namen, hier sind es Maruska und Pepik und natürlich Jezisek, unser Jesuskind."

An den Stufen vor dem Altar bleiben die drei Fürsten stehen. Ein kleines bettelndes Mädchen bittet um eine Gabe. Es erklärt, die Eltern und auch ihre Schwester seien vor kurzem an einer schlimmen Krankheit verstorben. Doch Fürst Jaromir beginnt zu zweifeln: "Wer weiß, ob die Geschichte tatsächlich stimmt. Lasst uns weiter ziehen, sonst kommen wir ja nie an unser Ziel!"

Unbeirrt setzen sie ihren Weg fort. In der Mitte des Hauptschiffes halten sie an einer "Hospoda", einer Herberge. Vor der Fassade aus aufgeschichteten Kartons sitzen ein Mann und eine Frau, beide sind in weite Gewänder geschlagen und haben runde, schwarze Hüte auf dem Kopf. Karel begrüßt sie:

"Dobry den, gute Leute. Können wir bei Euch für eine Nacht quartieren?" Die Frau hebt entschuldigend die Arme: "Wir hätten Euch gerne bei uns aufgenommen. Aber seht Ihr denn nicht, wie es in unserem Dorf aussieht?" Ihr Mann fährt fort: "Bis gestern war alles noch in Ordnung. Und dann kamen die Soldaten und haben alle Häuser geplündert und einige sogar angesteckt. Jetzt besitzen wir fast nichts mehr. Noch nicht einmal ein Bett, in das ihr Euch hineinlegen könntet." Jaromir packt plötzlich die Angst: "Nur weg von hier! Womöglich kommen die Soldaten zurück!"

Rechts auf dem Podium zum Hauptchor treffen die drei Fürsten auf einen Bauern und bitten ihn um etwas zu essen. Der beteuert, noch nicht einmal genug für sich selbst zu besitzen, da die Ernte in diesem Jahr sehr schlecht ausgefallen sei. Unwirsch entgegnet Karel ihm: "Dann ziehen wir eben weiter. Prag ist ja hoffentlich nicht mehr so weit."

Wieder setzt das "Prague Funfair Orchestra" ein und begleitet die Fürsten, bis sie endlich vor der Krippe eintreffen. Boleslav lässt seiner Erleichterung freien Lauf:

"Schaut mal. Da vorne sieht man schon die Türme Prags!" Jaromir ergänzt: "Und da ist auch unser Stern, der mit dem Schweif." Karel erkennt: "Der steht genau über einem Haus." Boleslav beschließt für alle: "Kommt! Lasst uns dorthin gehen!"

Endlich sind die Fürsten am Ziel. Maruska und Pepik sitzen vor einem aufgeklappten Stall aus dickem Kartonpapier. Zwischen ihnen steht eine hölzerne, mit Stroh gefüllte Krippe. Vor der Krippe bleiben die Fürsten ehrfürchtig stehen, knien hin und beten den neuen König an. Dann erinnert sich Jaromir ihrer mitgebrachten Geschenke:

"Beinahe hätten wir es vergessen: Wir haben dem Kind und zukünftigen König auch noch etwas aus unseren Fürstentümer mitgebracht."

Die drei Fürsten überreichen Maruska und Pepik Gold, Weihrauch und Myrrhe und versprechen, die Nachricht von der Geburt des neuen Königs in allen Landen zu verbreiten. Dann treten sie von der Bühne. Die Szene wechselt wieder auf die gegenüberliegende Seite des Chores. Dort ist Lebuse, die Frau des Fürsten Vaclav zu sehen. Sie ist wieder gesund geworden, und so zieht nun Vaclav, mit drei Edelsteinen in der Tasche als Geschenk für den neuen König, los. Als er an dem bettelnden, elternlosen Mädchen vorbeikommt, überfällt ihn das Mitleid, und er schenkt ihr einen der kostbaren Steine. Auch an den Gastleuten kommt er nicht vorbei, ohne ihnen zu helfen:

"Hier habt Ihr einen Edelstein. Bezahlt damit die Handwerker, damit sie Euer Haus wieder aufbauen und Ihr ein Dach über dem Kopf habt." Der Frau ist so viel Freigiebigkeit beinahe peinlich: "Dekuji Vam, guter Mann. Aber wir können das nicht annehmen. Wir können das nie wieder gut machen." Vaclav beruhigt sie und verabschiedet sich: "Ist schon gut. Na shledanou!"

Natürlich verschenkt Fürst Vaclav auch seinen letzten Edelstein an den armen Bauern. Dann gelangt auch er zum Stall mit der Krippe und erkennt den zukünftigen König. Der Anblick des kleinen Königs überwältigt ihn:

"Jezisek - was für ein schöner Name: `Gott rettet`. Das ist er also, den die ganze Welt gesucht hat: der König, der der Welt Gerechtigkeit und Frieden bringen wird. Und ich habe noch nicht einmal ein Geschenk für ihn!" Aber Maruska reagiert anders, als er erwartet hatte: "Ihr habt im genug geschenkt. Ihr habt ihn getröstet, als er traurig war. Ihr habt ihm zu essen gegeben, als er hungrig war. Ihr habt ihm Kleidung gegeben, als er nackt war. Ihr habt ihm ein Dach über dem Kopf gegeben, als er im Freien stand. Was Ihr einem seiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt Ihr ihm getan. Und er dankt Euch dafür!"

Vaclav fällt vor der Krippe nieder. Während er Jezisek anbetet, kommen alle anderen Akteure des Krippenspieles langsam nach vorne gelaufen, um sich zu einem gemeinsamen Schlussbild vor die Krippe zu aufzustellen. Pastor Ulrich Biskamp hebt den wesentlichen Unterschied von Vaclav zu den anderen Fürsten hervor:

"Der vierte König symbolisiert eigentlich weniger diese Königsrolle. Die anderen wollen eigentlich nur einen König anbeten und bringen entsprechende Geschenke mit wie Gold, Weihrauch und Myrrhe. Der vierte König betet hingegen den Heiland an, der für alle Menschen in die Welt gekommen ist, vor allem für die armen Menschen in der Welt und lebt das auch in seiner Nächstenliebe."

Inzwischen haben sich alle Kinder vor der Krippe versammelt. Erwartungsvoll, stolz, aber auch etwas verschämt blicken sie in das weite, gut besuchte Kirchenschiff hinein.

Das "Prague Funfair Orchestra" setzt ein, und nachdem die letzten Klänge verhallt sind, brandet ein nicht enden wollender Applaus auf. Ulrich Biskamp bittet jedes der Kinder zu sich und stellt es - natürlich beifallumrauscht - mit Namen vor. Es folgt ein Weihnachtslied in Begleitung des Orchesters, wobei die Gemeinde die Strophen abwechselnd auf deutsch und in tschechisch singt. Nachdem Ulrich Biskamp den Segen gesprochen hat und alles vorüber ist, zieht der Pastor ein erstes Fazit:

"Ich bin rundum glücklich und denke, das Krippenspiel war ein voller Erfolg. Es hat wieder einmal im Spiel besser geklappt als in der Probe. Dieses "Prague Funfair Orchestra" spielt normalerweise hier auf der Burg, dem Hradschin. Wir hatten es im letzten Jahr schon einmal angeheuert. Es hat ihnen wahrscheinlich so viel Spaß gemacht, dass sie auch diesmal gleich zugesagt haben. Das war natürlich eine tolle Umrahmung des Krippenspiels."

Im nächsten Jahr, verspricht Ulrich Biskamp, soll das Krippenspiel noch besser werden. So denkt er unter anderem über den Einsatz von Mikrofonen nach, wünscht sich noch reichere Bühnenbilder und träumt sogar ein wenig von einer echten Nebelmaschine. Nichtsdestotrotz - die diesjährige "böhmische Weihnacht" scheint auch ohne High-Tech bei den Kirchenbesuchern gut angekommen zu sein.