Bohumil Hrabals Gedichtband „Das verlorene Gässchen“ erscheint in zweisprachiger Ausgabe

Maria Hammerich-Maier und Jan Řehounek, Foto: Martina Schneibergová

Bohumil Hrabal gilt als einer der bedeutendsten tschechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Fast das ganze Werk des glänzenden Erzählers ist auch in Deutsch erschienen. Bisher nicht übersetzt war Hrabals frühe Gedichtsammlung „Ztracená ulička“. Jan Řehounek mit seinem Verlag Kaplanka in Nymburk hat nun den weniger bekannten Poesieband herausgegeben – in einer zweisprachigen Ausgabe. Maria Hammerich-Maier hat Hrabals Gedichte ins Deutsche übersetzt. Das Buch wurde Ende Mai beim Literaturfestival „Hrabals Kersko“ feierlich vorgestellt.

„Hrabals Kersko“,  Foto: Martina Schneibergová
Maria, beim Festival „Hrabals Kersko“ wurde soeben Bohumil Hrabals Gedichtband „Ztracená ulička – Das verlorene Gässchen“ vorgestellt. Du hast die Gedichtsammlung übersetzt. Wie kam es dazu, dass Du dieses wenig bekannte Poesiebuch ins Deutsch übertragen hast?

„Ich habe diesen Gedichtband gewählt, weil eigentlich das Meiste von Hrabal schon übersetzt ist. Es ist eines von zwei Büchern, die noch nicht übersetzt sind. Ich fand es ganz erstaunlich, dass Hrabal als Lyriker begonnen hat, was wenig bekannt ist. Diese Gedichte sind faszinierend und haben eine sehr hohe Qualität. Der spätere Hrabel ist ihnen, obwohl er sie als ein junger, beginnender Schriftsteller geschrieben hat, schon mehr oder weniger als Keim enthalten.“

Wann sind die Gedichte entstanden? War es schon in den 1930er Jahren?

Maria Hammerich-Maier und Jan Řehounek,  Foto: Martina Schneibergová
„Sie sind in den 1930er und 1940er Jahren entstanden. Hrabal war da ungefähr 20 bis 30 Jahre alt. Er hat das erste Mal versucht, sie 1948 zu drucken. Die Zusammenstellung ist von ihm selbst gemacht. Das Buch ist genauso jetzt erschienen, wie Hrabal es zusammengestellt hat. Von vielen Gedichten hat er damals schon gerade diese ausgewählt und wollte sie in einer Druckerei in Nymburk drucken lassen. Doch da kam der kommunistische Umsturz dazwischen, und die Druckereien wurden verstaatlicht. Das steht auch in der Nachbemerkung des Herausgebers. Das Buch, das schon gesetzt war, wurde nicht gedruckt. Das war für mich auch ein Grund, das Projekt zu machen. Das Buch ist in Nymburk erschienen, was Hrabal damals nicht gelungen ist.“

Im Buch ist sogar ein Faksimile einer Seite des Bürstenabzugs von 1948 enthalten. Woher stammt es?

„Das ist im ‚Památník národního písemnictví‘ – Denkmal des nationalen Schrifttums – erhalten geblieben. Der Herausgeber Jan Řehounek hat es dort gefunden und ins Buch aufgenommen.“

War es Deine Initiative, das Buch zu übersetzen? Hast Du Dich mit der Idee an den Verlag in Nymburk gewandt?

„Hrabals Kersko“,  Foto: Martina Schneibergová
„Ja, schon. Ich war schon einmal bei diesem Fest ‚Hrabals Kersko‘ gewesen, und da ist mir der Gedanke gekommen. Den Verlag kannte ich auch schon, so hat sich das ergeben.“

Warum heißt das Buch „Das verlorene Gässchen“? Gibt es dieses Gässchen in der Wirklichkeit?

„Ja, das gibt es. Das Bild auf dem Umschlag ist nicht zufällig gewählt, der Herausgeber hat dies ganz bewusst gemacht. Denn das Gässchen war für Hrabal bedeutsam. Dort hat sein bester Freund Karel Marysko gewohnt. Das war ein Cellist, der auch am Nationaltheater in Prag gewirkt hat. Er war zudem ein Dichter für Hrabal ein sehr wichtiger Freund in der Hinsicht, dass Hrabal sich von ihm viele Bücher geliehen hat, und diese Bücher haben ihn sehr stark beeinflusst. Hrabal hat als junger Mann, wie er selbst sagte, nur Kriminalgeschichten und mehr volkstümliche Literatur gelesen. Erst unter anderem durch den Einfluss dieses Freundes aus dem verlorenen Gässchen hat er begonnen, sich wirklich ernsthaft und systematisch mit der Weltliteratur und der tschechischen Literatur zu befassen.“

Gibt es in den Gedichten bestimmte Erinnerungen oder Anspielungen auf konkrete Ereignisse, oder sind es eher Phantasien?

„Das verlorene Gässchen“,  Foto: Verlag Kaplanka
„In den Gedichten ist viel Autobiographisches enthalten. Das sind Erlebnisse aus Nymburk, wo Hrabal seine Jugend verbracht hat. Es gibt da ein Gedicht, in dem sein Freund Karel Marysko vorkommt, ohne dass er genannt wird. Dann ist da ein Gedicht über Hrabals erste Liebe. Das war Viktorka Šťastná, wie er sie in diesem Gedicht nennt, aus dem siebzehnten Wiener Stadtbezirk. In Wirklichkeit hat diese junge Dame Viktoria Freie geheißen. Sie kam damals nach Nymburk, als Hrabal in der Brauerei arbeitete, um den Mitarbeitern Deutschunterricht zu geben. So hat Hrabal sie kennengelernt. Er hatte damals gerade seine Hand gebrochen, und Viktoria hat ihm mehrmals am Tag geholfen, seine Schnürsenkel zu binden. Aus diesem banalen Ritual ist eine Beziehung entstanden.“

Die ersten Gedichte sind kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs entstanden. Ist in der Poesie die Atmosphäre der damaligen Zeit zu spüren?

„Man kann in dem Gedichtband auch Hrabals Entwicklung gut verfolgen. Begonnen hat er mit sehr schwärmerischen, hoch sensiblen Gedichten, im Geist des Poetismus verspielt, mit sehr schönen Bildern, die er mit seiner hohen Sensitivität sehr ausgeprägt wahrgenommen hat. Das sind zu Beginn teilweise sehr melodische, sehr schöne Gedichte. Dann kam die schwierige Zeit des Protektorats, des Zweiten Weltkriegs, und da hat sich schon die Zukunft danach abgezeichnet, und auch der geschichtliche Hintergrund klingt in den Gedichten an. Ganz am Ende hat Hrabal noch einen Zyklus reingekommen, der schon 1946 entstanden. Da ist schon der spätere Hrabal enthalten, der sich jetzt für das großstädtische Milieu, das Arbeitermilieu interessiert, der das Gefühl der sozialen Verantwortung entwickelt hat.“

Wie lange hast Du daran gearbeitet? Denn Gedichte zu übersetzen, ist wahrscheinlich das Schwierigste für einen Übersetzer…

Maria Hammerich-Maier und Jan Řehounek,  Foto: Martina Schneibergová
„Ich habe mit Unterbrechungen ein Jahr daran gearbeitet. Der Gedichtband ist nicht so dick, aber ich habe lange daran gearbeitet, weil Mehreres nicht einfach gewesen ist. Zudem war ich mit dem ersten Ergebnis nicht zufrieden. Ich habe ungefähr fünf oder sechs Mal das ganze Manuskript von vorne bis hinten überarbeitet und irgendwann habe ich gesagt: ‚Jetzt muss Schluss sein.‘ Man kann das noch verbessern, man kann das wahrscheinlich nochmals ändern, aber man muss mal den Schlusspunkt setzen.“

Hast etwas mit dem Verleger konsultiert?

„Mit dem Verleger habe ich über die technischen Sachen gesprochen – über das Layout. Da haben wir in Einvernehmen miteinander entschieden, dass immer ein deutsches und ein tschechisches Gedicht einander gegenübergestellt werden. Links auf der Doppelseite sind das tschechische Gedicht und rechts das deutsche, sodass man das wirklich Vers für Vers vergleichen kann und immer beide Sprachversionen im Blick hat. Das war unser Ziel, damit das Buch auch eventuell für Studienzwecke verwendet werden kann: für Fortgeschrittene, die Deutsch oder auch Tschechisch lernen, oder auch für den Unterricht von Übersetzern von Literatur. Womit nicht gesagt sein soll, dass das Buch vorbildhaft ist, aber es kann ebenso als Quelle oder Hilfsmittel verwendet werden. Ansonsten: Der Verleger Jan Řehounek spricht nicht gut Deutsch. Da konnte ich mich mit ihm nicht beraten, aber ich hatte in Michaela Jacobsenová, einer sehr erfahrenen Übersetzerin, eine wertvolle Hilfe. Sie hat mir ganz wichtige Anmerkungen gegeben, auf die ich selbst nicht gekommen wäre.“

Zieht es Dich immer nach Kersko oder nach Hrabals Nymburk? Du lebst jetzt in Deutschland, aber kommst doch verhältnismäßig oft nach Tschechien zu Besuch…

Maria Hammerich-Maier und Jan Řehounek,  Foto: Martina Schneibergová
„Es würde mich noch viel mehr nach Kersko oder Nymburk ziehen, als ich die Möglichkeit habe, hierherzukommen. Ich finde, dass dieses Kersko ein wunderbarer Ort ist. Nymburk erinnert mich sehr stark an Lübeck. Es ist natürlich eine ganz andere Welt und eine ganz andere Stadt. Ich war vor einer Zeit in Lübeck und ging in den gotischen Dom aus den Backsteinen – in Nymburk gibt es auch diese Backsteingotik. Sie hat eine phantastische Ausstrahlung. Hinzu kommt die Lage am Fluss. Ich finde, Nymburk hat besonders in der Dämmerung, wenn man da spazierengeht, eine wunderbare Atmosphäre. Hrabal ist zwar in Brünn geboren, er sagte aber auch, als Dichter sei er in Nymburk geboren, weil es dort so schön war, dass er dichten musste und gar keine Wahl hatte. Das kann man nachempfinden, wenn man die Stadt besucht. Kersko ist ein schöner Ort für das Wochenende, für die Ferien. Mitten in diesem hellen lichten Auwald bin ich auch immer sehr gern.“

Woran arbeitest Du jetzt?

„Ich habe mehrere Projekte laufen. Ich beschäftige mit der Flucht mit dem Zug von 1951, diesem sogenannten ‚Freiheitszug‘, über den ich für den Rundfunk schon etwas gemacht sowie eine Broschüre geschrieben habe. Das möchte ich noch zu einem größeren Buch ausarbeiten. Zudem beschäftige ich mit derzeit mit dem heiligen Wenzel und hoffe, dass da auch eine große Übersetzung herauskommen wird. Und ich schreibe weiter meine eigene Poesie, meine eigenen Sachen.“

Wird deine Poesie auch auf Tschechisch erscheinen?

„Auf Deutsch kommt jetzt ein kleiner Gedichtband mit Gedichten aus Süditalien von Golf von Salerno heraus. Auf Tschechisch nicht, aber es wäre schön, wenn es in Zukunft auch mal passieren würde.“


Den Gedichtband „Das verlorene Gässchen“ von Bohumil Hrabal kann man beim Verlag Kaplanka in Nymburk bestellen. Das Buch wird auch im Prager Buchhandel Academia am Wenzelsplatz verkauft. Mehr über den Verlag erfahren Sie unter: www.rehounek-kaplanka.webnode.cz.