„Bomby na Prahu“ – Eine neue Perspektive auf die Bombardierung Prags

Foto: Archiv des Militärhistorischen Instituts Prag

Einer der Hauptgründe, die Hauptstadt der Tschechischen Republik zu besuchen, ist sicherlich die mittelalterliche Kulisse der Altstadt und der hohe Anteil an alter Bausubstanz. Dass sich all das bis heute besichtigen lässt, hat sicherlich auch damit zu tun, dass Prag von den Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont blieb. Nur gegen Ende des Krieges fielen noch einige Bomben. Ein Bildband, der vor kurzem erschien, zeigt nun bisher unveröffentlichte Fotos der Bombardierung. Mehr darüber in unserem heutigen Kapitel aus der tschechischen Geschichte.

Foto: Archiv des Militärhistorischen Instituts Prag
Luftschutzsirenen heulen, Menschen hetzen in Keller: Der 14. Februar 1945 ist der Tag, an dem der alliierte Luftkrieg auch Prag mit voller Härte trifft. 62 Bomber der U.S. Airforce lassen einen Bombenregen auf Prag niederprasseln. Es sterben über 700 Menschen, eine Reihe von Gebäuden in der Stadt wird zerstört. Es ist der erste schwere Luftangriff auf Prag und für die Menschen in der Stadt ein Schock. Vor allem aber war er gar nicht geplant, wie Boris Uhlíř, Historiker am Militärhistorischen Institut Prag, weiß:

„Dieser Angriff vom 14. Februar 1945 war ein Navigationsfehler. Das können wir heutzutage mit 100-prozentiger Sicherheit festhalten.“

Kurz nachdem das Entwarnungssignal gegeben wurde, machte sich der Fotograf Stanislav Maršál auf, das Grauen mit seiner Kamera festzuhalten. Und bekam Dinge zu sehen, die er wohl nicht vergessen haben dürfte:

„Ein konkreter und sehr trauriger Fall passierte dort, wo heute das ‚Tanzende Haus’ steht. In dem ursprünglichen Gebäude schlug eine Bombe ein, und eine Frau verlor ihre drei Kinder. Sie selbst überlebte nur, weil sie sich im Nebenzimmer aufhielt.“

Die ersten Bomben fielen damals am linken Moldauufer in Smíchov, die Zerstörung zog sich dann über die Prager Neustadt bis nach Vinohrady. Militärische Ziele wurden nicht getroffen, keine einzige Fabrik und auch kein Bahnhof erhielten Bombentreffer. Besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde das 600-jährige Emmaus-Kloster. Heute hat die Kirche des Klosters zwei moderne Türme, die in den 1960er Jahren gebaut wurden.

Foto: Archiv des Militärhistorischen Instituts Prag
Die Aufnahmen, die Maršál nach der Bombardierung schoss, behielt er aber für sich – sie tauchten erst 60 Jahre später wieder auf. Die Bilder sind von außergewöhnlicher Intensität, man sieht nicht nur zusammengestürzte Häuser und ausgebrannte Lastwagen. Es sind vor allem die Menschen auf den Aufnahmen: verstört, erstaunt, verbrannt und verschüttet – ein selten gesehenes Abbild der Zerstörung und des Todes. Der Historiker Uhlíř macht auf eine Besonderheit aufmerksam:

„Interessant ist das Alter des Fotografen. Stanislav Maršál war Jahrgang 1910, das bedeutet, zu dem Zeitpunkt des Angriffs, als er diese Bilder aufgenommen hat, war er 35 Jahre alt. Dieses Alter spricht aus den Aufnahmen. Nicht nur die Geschwindigkeit, mit der er die bombardierten Stätten in Prag aufsucht, sondern auch der Mut, mit dem er das Objektiv auf Dinge richtet, die andere Fotografen so nicht aufgenommen hätten: sterbliche Überreste von Menschen, zerfetzte Körper und andere sehr traurige Dinge.“

Boris Uhlíř
Fast vier Wochen später, am 25. März 1945, ist er dann erneut Zeuge der Zerstörungen. Ein zweiter schwerer Angriff wird auf Prag geflogen. Diesmal ist es eine geplante Bombardierung und getroffen werden die Fabriken in den Vororten Libeň und Vysočany sowie der Militärflugplatz Kbely. Dabei sterben allerdings bedeutend weniger Menschen:

„Die zweite Bombardierung war gegen die Industriewerke gerichtet. Damit so wenig Menschen wie möglich zu Schaden kamen, wurde der Sonntag ausgewählt. Es war klar, dass an diesem Tag die Arbeiter nicht an ihren Drehbänken waren.“

Interessant ist, dass Maršál beide Angriffe mit seiner Kamera dokumentieren konnte. Geholfen hat ihm dabei seine Arbeit für eine Nazi-Jugendorganisation, die wohl bei den Aufräumarbeiten nach den Angriffen eingesetzt wurde. Das könne aber auch der Grund dafür sein, dass der Fotograf seine Schätze für sich behielt, so der Historiker Uhlíř. Herausfinden lässt sich dies indes nicht mehr, Maršál hatte noch nicht mal seinen Töchtern von den Bildern erzählt.

Foto: Archiv des Militärhistorischen Instituts Prag
Auch wenn sie spät entdeckt wurden, freut es die Forschung, nun auf solche Aufnahmen zurückgreifen zu können. Noch einmal Boris Uhlíř:

„Man hat hier nach mehr als einem halben Jahrhundert eine Sammlung entdeckt, die sich durch eine Menge fantastischer Aufnahmen auszeichnet. Und die Historiker sind von den Fotografien begeistert, denn sie haben ja nicht geahnt, dass jemand wie Stanislav Maršál in dieser Zeit so gut und zahlreich fotografiert hat. Quantität und Qualität sind ausgeglichen. Als ich im Jahr 2008 die Bilder in die Hände bekam, hätte ich fast Freudensprünge gemacht, weil noch nicht einmal die Tschechische Presseagentur Aufnahmen von solcher Qualität zur Verfügung hat.“

Nach dem Krieg arbeitete Maršál über 14 Jahre lang in einer Stahlgießerei, bis er arbeitsunfähig wurde und von einer Rente lebte. Danach widmete er sich wieder der Fotografie, konzentrierte sich aber nun auf Konzerte klassischer Musik und Theatervorführungen. Er starb im Jahr 2004 im hohen Alter von 94 Jahren.

Das Buch heißt „Bomby na Prahu“ und ist im September 2011 im Verlag Prostor erschienen. Der Begleittext zu den Fotos von Boris Uhlíř wurde bisher leider noch nicht übersetzt.