Brasilien in Nordböhmen: Museum der Auswanderung in Náhlov

Foto: Martina Schneibergová

Ein einzigartiges Museum in der Gegend der verschwundenen Dörfer - so könnte man das Museum der Auswanderung nach Brasilien nennen. Es liegt in Náhlov / Nahlau. Das Dorf ist heute Ortsteil der Stadt Ralsko in Nordböhmen.

Berg Ralsko  (Foto: Mirek256,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Ralsko ist mit seinen 171 Quadratkilometern Fläche zwar die viertgrößte Gemeinde Tschechiens, sie hat jedoch nur knapp 2000 Einwohner. Entstanden ist die Gemeinde erst 1992 und wurde 2006 zur Stadt. Benannt ist Ralsko nach dem Militärgelände, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in der Gegend eingerichtet wurde. Die Stadt umfasst heute alle Ansiedlungen, die sich auf dem früheren Militärgelände befanden.

Ralsko (Rollberg) heißt eigentlich der Berg, in dessen Nähe sich der Truppenübungsplatz erstreckte. Die Gegend selbst war nach der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht sehr dicht besiedelt. Wegen des Militärgeländes wurden in den 1950er Jahren mehrere zum größten Teil verlassene Dörfer dem Erdboden gleichgemacht. Von ihrer einstigen Existenz zeugen nur spärliche Spuren in der Landschaft sowie alte Ansichtskarten. Nach der Wende von 1989 mussten die sowjetischen Besatzungsarmeen auch Ralsko verlassen. Der Militärübungsplatz wurde 1991 aufgelöst, über zehn Jahre lang wurde das Gebiet saniert. Danach fing man an, die Gegend für Wanderer zugänglich zu machen.

Museum der Auswanderung nach Brasilien  (Foto: Martina Schneibergová)
Náhlov ist eine ganz kleine Ansiedlung, die zur Stadt Ralsko gehört. Das Dorf liegt etwa fünf Kilometer südlich des Städtchens Osečná / Oschitz, das auch am Wochenende per Bus aus Liberec / Reichenberg zu erreichen ist. Das Museum der Auswanderung nach Brasilien lässt sich in Náhlov nicht verfehlen. Es ist im Gebäude der ehemaligen deutschen Schule untergebracht, gleich an der Straße. Begründer des Museums ist Petr Polakovič. Seine Familie hat Wurzeln in dieser Region.

„1877 wanderten meine Verwandten, die aus der Gegend unterhalb des Ještěd / Jeschken stammten, nach Brasilien aus. Sie hießen Hörbe. Zum ersten Mal habe ich davon 1977 von meiner Oma gehört. Damals luden die Nachkommen dieser Auswanderer meine Oma nach Brasilien ein - anlässlich des 100. Jahrestags der Ankunft der Familie Hörbe in Südamerika. Unter dem kommunistischen Regime war es natürlich unmöglich und unvorstellbar, dorthin zu reisen. Aber ich habe diese Bemerkung meiner Oma nie vergessen. 1997 habe ich die Hörbes in Brasilien dann kontaktiert. Ein Jahr später reiste ich nach Brasilien und bin dort meinen Verwandten begegnet. Erst dort erfuhr ich, dass es sich bei den Auswanderern aus Böhmen nicht nur um diese Familie, sondern dass es sich um eine wichtige Einwanderungswelle nach Brasilien handelte.“

Petr Polakovič  (Foto: Martina Schneibergová)
Das Museum in Náhlov wurde 2011 eröffnet. Der unmittelbare Anlass sei eine große Ausstellung über tschechische Spuren in Brasilien gewesen, erzählt Petr Polakovič. Diese war 2010 auf der Prager Burg zu sehen.

„Ich stellte einen Teil der Ausstellung zusammen, da ich damals schon viel Material über die Auswanderer aus Böhmen zusammengetragen hatte. Nachdem die Ausstellung auf der Prager Burg zu Ende war, überlegte ich mir, wenigstens einen Teil davon irgendwo dauerhaft zu installieren. Ich wollte damit das öffentliche Interesse für dieses Thema wecken und zudem einen Stützpunkt für meine weiteren Forschungen haben.“

Foto: Martina Schneibergová
Im Museumsgebäude werden in einem der früheren Klassenzimmer Fotos, Plakate und Archivdokumente mit Begleittexten zur Geschichte der Auswanderung nach Brasilien gezeigt.

Offizielle Kontakte zwischen Brasilien und Mitteleuropa wurden bereits 1817 geknüpft, als Leopoldine, die Tochter von Kaiser Franz I. von Österreich, den späteren brasilianischen Kaiser Pedro I. heiratete. Die gebildete Kaiserin förderte die Einwanderung vor allem aus den deutschsprachigen Gebieten Mitteleuropas. Auch wenn Kaiserin Leopoldine schon 1829 starb, lebte das Einwanderungsprojekt, das sie initiierte hatte, weiter. In Böhmen erschien beispielsweise 1835 und später erneut 1860 ein aus dem Deutschen ins Tschechische übersetztes Handbuch für die potenziellen Auswanderer nach Brasilien. Familien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Böhmen nach Brasilien auswanderten, stammten meist aus den Grenzregionen, sagt Petr Polakovič:

Foto: Martina Schneibergová
„Die Bedingungen für die Landwirtschaft waren in diesen Gegenden verhältnismäßig hart. Die meisten Familien, deren Nachkommen ich bei der Suche nach den Auswanderern aus Böhmen begegnet bin, stammten aus der Gegend von Liberec. Mehrere der Einwanderer kamen auch aus Westböhmen: aus der Umgebung von Tachov / Tachau, Nýrsko / Neuern oder Klatovy / Klattau. Es gab aber auch einige Familien, die aus dem mährischen Rýmařov / Römerstadt stammten. 1889 wurde die Sklaverei in Brasilien abgeschafft, 1891 entstand dort die erste Republik. Zu dieser Zeit ließ sich eine weitere Gruppe von Einwanderern aus Böhmen in Brasilien nieder. Diesmal gehörten zu ihnen auch viele tschechisch-sprachige Bewohner aus der Umgebung von Mladá Boleslav / Jungbunzlau und Mnichovo Hradiště / Münchengrätz, einige Familien stammten aus Rovensko pod Troskami. Unter diesen Auswanderern war beispielsweise auch die Familie Hamáček. Das waren Verwandte des jetzigen Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses Jan Hamáček. Der Großteil dieser Gruppe blieb in Sao Paulo. Dort gibt es bis heute einen Verein namens Slavia. Wenn ein tschechischer Staatsmann nach Sao Paulo kommt, besucht er diesen Verein.“

Foto: Martina Schneibergová
Náhlov ist ein kleines Dorf, durch das aber ein beliebter Radweg führt. Zu den Besuchern des Museums gehören daher viele Radwanderer, erzählt Petr Polakovič. Bei der Programmgestaltung im Museum helfen auch die Mitglieder des Vereins für die Geschichte der Region von Mimoň / Niemes und Ralsko. Das Programmangebot solle abwechslungsreich sein, so der Museumsgründer:

„Wir wissen, dass sich die Öffentlichkeit besonders für die verschwundenen Dörfer interessiert, die dem Militärübungsplatz Ralsko zum Opfer gefallen sind. Zu den Veranstaltungen im Museum kommen Bewohner aus Mimoň und seiner Umgebung. Wir versuchen, abwechselnd etwas über die Geschichte Brasiliens sowie der Auswanderer vorzubereiten und über die Geschichte dieser Region.“

Foto: Baron Verlag
Gerade vor zwei Wochen platzte der Museumssaal im Erdgeschoss aus allen Nähten, als dort ein neues Buch über das Gebiet von Ralsko in alten Ansichtskarten feierlich vorgestellt wurde. Am Samstag, dem 29. November, wird in der ersten Etage ein neuer Ausstellungssaal eröffnet. Er wird nach dem brasilianischen Staatspräsidenten Juscelino Kubitschek benannt, dieser hat die Hauptstadt Brasilia gegründet. Die Vorfahren des berühmten brasilianischen Staatsmanns stammten aus Südböhmen.

Das Museum der Auswanderung nach Brasilien ist im Juli und August von Donnerstag bis Sonntag geöffnet, und zwar von 10 bis 18 Uhr, von April bis Juni und im September und Oktober ist es nur am Wochenende von 10 bis 18 Uhr zugänglich. Im Museum wurde ein kleines Café Brasil eingerichtet, in dem auch brasilianischer Kaffee serviert wird. Mehr über das Museum erfahren Sie unter www.emigrationmuseum.cz.

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