Coronakrise: Handytracking als tschechischer Masterplan?
Moderne Technik kann dazu dienen, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Allerdings gerät da das medizinisch Wünschenswerte unter Umständen in den Konflikt mit dem Datenschutz. In Tschechien läuft derzeit ein Pilotprojekt, bei dem die Bewegungsdaten aus den Mobiltelefonen und den Bezahlkartenabbuchungen von Corona-Patienten ausgewertet werden. Vorbild sind da Staaten wie Südkorea oder auch Singapur. Was heißt das aber genau?
„Mit der ‚Smarten Quarantäne‘ sollen in kürzester Zeit mögliche Verbreitungsquellen des Coronavirus in der Bevölkerung ausfindig gemacht werden. Das heißt: Bei jemandem, der einen positiven Corona-Test hatte, wird nach seiner Zustimmung ein Bewegungsprofil erstellt. Dieses reicht fünf Tage zurück. Das Profil wird ihm dann vorgelegt, wobei keine Details darüber vermerkt sind, mit wem er sich genau getroffen hat. Das wird erst in einem Gespräch mit dem Erkrankten genauer festgestellt. Diese Personen werden dann kontaktiert und darüber informiert, dass sie in eine vorläufige Quarantäne gehen müssen. Dies soll in möglichst kurzer Zeit geschehen, um solche Äste der Epidemie zu isolieren und damit eine Weiterverbreitung der Krankheit zu verhindern.“
Bewegungsprofil zur Gedankenstütze
Damit das System funktioniert, greift Tschechien auf seine Armee zurück. Das Militär hat mobile Einsatzteams zusammengestellt, die medizinisches Fachpersonal rechtzeitig zu den Menschen bringen sollen. Aber nicht nur das, wie Prymula am Montag in einem Radiointerview sagte:„Die Armee spielt eine entscheidende Rolle sowohl auf der Ebene der Gesundheitsämter in den 14 tschechischen Kreisen, als auch bei der Verstärkung der Test-Teams. Das heißt, sie baut derzeit mindestens 32 mobile Test-Einheiten auf, wobei sie auch auf ihre eigenen ABC-Abwehrkräfte zurückgreift. Bei der Desinfektion wiederum wird die Berufsfeuerwehr die größte Rolle spielen, sie verfügt in diesem Bereich über das breiteste Netz im Land.“
Doch zurück zum Handy-Tracking. Die tschechische Regierung verspricht sich viel von dieser Maßnahme. Sie soll nach den Vorstellungen von Premier Andrej Babiš (Partei Ano) der Schlüssel sein, um hierzulande das Virus einzudämmen.
„In der ersten Phase des Kampfes gegen das Coronavirus haben wir landesweite Maßnahmen angeordnet, um die Ausbreitung der Krankheit zu stoppen. Dabei sind wir zum Glück schnell vorgegangen, sodass wir die Hoffnung haben, die Kurve der Neuansteckungen abzuflachen. Aber jetzt sind wir in die zweite Phase gestartet. Dabei ersetzen wir die flächendeckenden Maßnahmen durch das Konzept der sogenannten ‚Smarten Quarantäne‘, das bereits Südkorea, Taiwan, Singapur und weitere Staaten mit Erfolg angewendet haben“, so der Ministerpräsident am Montag nach der Kabinettssitzung.Die flächendeckenden Maßnahmen sind Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote, wie sie auch in anderen europäischen Ländern bisher bestehen. Zudem gehört dazu die Schließung der meisten Läden, sofern es nicht Lebensmittelgeschäfte, Drogerien und Apotheken sind. Ausgenomen sind auch noch einige weitere Branchen.
Der „Smarten Quarantäne“ soll eine zentrale Aufgabe zukommen bei der tschechischen Exit-Strategie aus den Beschränkungen. Oder wie Roman Prymula sagte:„Diese Art Quarantäne machen wir, um nicht mehr die dramatischen flächendeckenden Maßnahmen nötig zu haben. Deswegen soll das Projekt nach Ostern auf alle Kreise Tschechiens ausgedehnt werden. Dann werden wir einige der landesweiten Einschränkungen zurückfahren, aber sicher nicht alle. Dieser sogenannte Exit wird sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, damit wir sehen können, ob sich die Kurve der Neuansteckungen nicht wieder zu einem exponentiellen Wachstum zurückbewegt. Das müssen wir vermeiden, damit unser Gesundheitswesen weiterhin genügend Kapazitäten hat.“
Undemokratische Vorbilder
Südkorea oder Singapur – das sind allerdings nicht gerade die Vorbilder liberaler Demokratie in der Welt. Kein Wunder, dass sich Datenschützer in Tschechien anfangen, Sorgen zu machen. Tatsächlich ist die „Smarte Quarantäne“ aus einem Projekt von privaten IT-Firmen hervorgegangen. Dieses Projekt nennt sich Covid19CZ. In der ursprünglichen Idee sollte das Handy-Tracking eigentlich nur dazu dienen, dem Erinnerungsvermögen des Corona-Infizierten auf die Sprünge zu helfen. Dazu Ondřej Tomas von der Firma Clevermaps, die an Covid19CZ beteiligt ist:„Ein normaler Mensch erinnert sich in gebotenem Umfang vielleicht an den Vortag, aber nicht gleich mehrere Tage zurück. Deswegen wird ihm angeboten, sich anhand des Bewegungsprofils in den Gedanken wieder zurückzuversetzen.“
Genau da liegt aber auch eine große Schwachstelle des Projekts. Denn der Corona-Infizierte kann den Beamten vom Gesundheitsamt maximal die Namen von seinen eigenen Bekannten mitteilen – oder etwa in welchen Geschäften und auf welchen Behörden er war. Menschen, mit denen er beispielsweise im Laden zusammenstand oder mit denen er zusammen in Straßenbahn oder Bus gefahren ist, werden nicht berücksichtigt. Aus diesem Grund findet der Social-Media-Experte Daniel Dočekal vom IT-Fachportal Lupa.cz:„Das bestehende System lässt bestimmte Verbreitungswege des Virus außen vor. Das könnte dazu führen, dass der Staat nach einigen Wochen fordert, alle weiteren Kontaktpersonen automatisch zu ermitteln. Dann kommen wir in den Bereich jener Länder, die totalitär sind oder an der Grenze dazu stehen.“
Außerdem glaubt Dočekal nicht an einen solch schnellen Erfolg, wie er eigentlich nötig wäre. Denn die flächendeckenden Ausgangsbeschränkungen und Geschäfteschließungen können schwerlich noch viele weitere Wochen aufrecht erhalten werden, ohne die Wirtschaft in eine schwere Rezession zu stürzen…„Dass damit die Dauer der flächendeckenden Maßnahmen reduziert wird, dient meiner persönlichen Meinung nach nur als Verkaufsargument. Der tschechische Staat und die Regierung versuchen damit den Bürgern dieses System schmackhaft zu machen. Denn die Erfolge werden sich nicht so schnell einstellen, wie angedeutet wurde“, so Dočekal.
Sanktionen bei Ablehnung?
Unklarheiten bestehen auch, ob der Staat einen Corona-Erkrankten zur „Smarten Quarantäne“ zwingen kann. In der Regierungsvorlage steht zwar, dass dieser erst seine Zustimmung zur Funkzellenabfrage und der Nutzung der Bezahlkartendaten geben muss. Dass die Teilnahme aber freiwillig ist, wird dort nicht explizit gesagt. Auch im Rundfunkinterview am Montag wurde Prymula gefragt, ob ein Betroffener das Handytracking ablehnen könne. Dazu der Epidemiologe:
„Wenn der Patient das Handytracking ablehnt, erfolgt die Nachforschung nach den Kontakten auf die bisherige Art. Das heißt nur auf Grundlage eines Gesprächs, aber ohne Bewegungsprofil. Und der Erkrankte muss sich selbst erinnern, wo er in den vergangenen fünf Tagen war und mit wem er da in Kontakt gekommen ist.“Politiker haben sich zu diesem Thema noch nicht eindeutig geäußert. Denn offen ist, ob nicht im Fall einer Ablehnung etwa Sanktionen drohen. Das findet auch Daniel Dočekal von Lupa.cz bisher nicht eindeutig geklärt:
„Theoretisch könnte so jemand belangt werden, denn laut den geltenden Notstandsgesetzen ist der Patient zur Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt verpflichtet. Aber es könnte auch sein, dass es einfach nur heißt: ‚Das tut uns leid, bitte erinnern sie sich aber, mit wem sie alles gesprochen haben‘.“
In Deutschland wird übrigens ebenso über das Handy-Tracking diskutiert. Ein erster Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wurde zu Beginn der Corona-Krise abgewehrt. Als Alternative gibt es mittlerweile den Vorschlag, eine Handy-App auf Basis von Bluetooth zu nutzen. Deren Installation wäre dann völlig freiwillig.