„Das Thema braucht eine Institution“– Kurator Šícha über die geplante Dauerausstellung zur Geschichte der Deutschen

Jan Šícha (Foto: Archiv Collegium Bohemicum)

„Geschichte der Deutschen in den Böhmischen Ländern“ – so heißt die geplante neue Dauerausstellung im Museum von Ústí nad Labem / Aussig. Es ist ein ambitioniertes Projekt, mit dem acht Jahrhunderte deutsch-tschechischer Geschichte in Böhmen dokumentiert und der Blick vor allem auf die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Tschechen gelenkt werden soll. Eigentlich sollte die Ausstellung bereits vor zwei Jahren eröffnet werden, aufgrund der ungeklärten Finanzierung hat sich dies jedoch verzögert. In den letzten Wochen gab es zudem den Versuch, die Direktorin des Collegiums Bohemicum, Blanka Mouralová, also des Ausstellungsträgers abzuberufen. Über den aktuellen Stand bei der Vorbereitung der Ausstellung, ihre Intention und die Steine, die dem Projekt noch im Weg liegen, ein Gespräch mit dem Kurator Jan Šícha vom Collegium Bohemicum.

Jan Šícha  (Foto: Archiv Collegium Bohemicum)
Herr Šícha, Sie sind Kurator einer neuen Dauerausstellung über die „Geschichte der Deutschen in den Böhmischen Ländern“. Eigentlich sollte die Ausstellung bereits vor zwei Jahren eröffnet werden, dazu ist es wegen der ungeklärten Finanzierung nicht gekommen. Wie ist der gegenwärtige Stand, wann lässt sich mit der Vernissage rechnen?

„Das Datum der Vernissage kann ich noch nicht versprechen. Aber wir haben eine gute Nachricht: Im Staatshaushalt für das kommende Jahr sind uns für die Realisierung der Ausstellung 48 Millionen Kronen zugesichert worden. Und wir haben große Unterstützung seitens des Kulturministeriums und konkret von Minister Daniel Herman. Es gibt auch schlechte Nachrichten, sie hängen mit der Verzögerung zusammen. Wir stecken seit zwei Jahren wie ein Boot im Sand fest. Die Regierungen, die uns Geld versprochen hatten, verschwanden vorzeitig. Und die Übergangsregierung wollte diesbezüglich keine Entscheidung treffen. Daher müssen wir seit zwei Jahren improvisieren und ums Überleben kämpfen. Zudem lässt sich eine Diskontinuität in Ústí nad Labem feststellen. Wir leben gewissermaßen davon, dass wir das Projekt international gedeckt haben und sich im wissenschaftlichen Rat wirklich große Namen befinden. Zusammenfassend: Wir haben eine institutionelle Unsicherheit; aber wir haben ein gutes Produkt und mittlerweile wirklich tolle Unterstützung der tschechischen Regierung und dauerhafte Unterstützung aus Deutschland. Ich hoffe daher, dass wir uns als Institution erholen und Ende kommenden Jahres wenigstens einen Teil der Ausstellung eröffnen können.“

Blanka Mouralová  (Foto: Martina Schneibergová)
Es gab kürzlich den Versuch, die Direktorin des Collegiums Bohemicums, Blanka Mouralová, abzuberufen. Unter den Initiatoren dieses Versuchs war auch ein Vertreter der Universität Ústí. War das der Versuch, der Ausstellungseröffnung im letzten Moment Steine in den Weg zu legen?

„Wir haben eine offene europäische Ausstellung vorbereitet. Wir beschreiben 800 Jahre Zusammenleben von Deutschen und Tschechen. Für uns sind die interessantesten Momente die der Inspiration: Reformation, Jan Nepomuk, Industrialisierung, Prager deutsche Literatur. Das ist unsere Vorstellung. Eine Gegenvorstellung, die auch manche einflussreiche Leute von der Universität vertreten, wäre eine Ausstellung zum deutsch-tschechischen Konflikt - also erst ab dem 19. Jahrhundert, die Zeit der nationalen Bewegung und Konfliktgeschichte. Da würde es wahrscheinlich um die ewige Frage gehen, wer mehr Schuld hat. Wir haben eine Standard-Antwort auf die bösen Briefe, die wir hin und wieder auf Deutsch oder Tschechisch bekommen: dass wir die alten Kämpfe nicht weiterkämpfen. Die Intention der Ausstellung ist zu zeigen, dass die Deutschen hier jahrhundertelang an der Kultur mitgewirkt haben und dass die deutsche Sprache manchmal Vorteile und manchmal Nachteile gebracht hat. Dank der Direktorin des Collegiums Bohemicums, Blanka Mouralová, ist in Ústí ein Projekt von europäischem Format entstanden. Und das passt nicht in den Kontext jener, die in ihrer Gedankenwelt im letzten oder vorletzten Jahrhundert steckengeblieben sind.“

Foto: Martina Schneibergová
Halten Sie einen weiteren Versuch, Blanka Mouralová abzuberufen, für möglich?

„Durchaus. Denn ich denke, dahinter steckt eine konsequente Bemühung, das Team der Ausstellungsmacher zu sprengen.“

Wie bewerten Sie die bisherigen Reaktionen auf die geplante Ausstellung in Ùstí?

„Vor Ort sieht es so aus, dass die Führung der Universität, die am aktivsten ist, eine andere Sichtweise auf die ganze Problematik hat. Dort wäre Konfliktgeschichte willkommener als unsere europäische Inspiration. Ein weiterer Spieler vor Ort ist die Stadt. Sie ist verschuldet und hat eine Bevölkerung, die zu erheblichen Teilen in einer prekären sozialen Situation steckt. Die Stadt hat andere Sorgen, das kann ich nachvollziehen. Was wir jetzt brauchen, ist ein Vertrag zwischen dem Staat als dem Realisierer der Ausstellung und der Stadt als Besitzerin des Museums. Wir brauchen einen Vertrag, der uns zusichert, dass wir für 15 Jahre die Dauerausstellung betreiben dürfen – mit der Möglichkeit zur Verlängerung, wenn es dann in der Gesellschaft immer noch ein Bedürfnis nach diesem Thema gibt. Und ich denke, dieses Bedürfnis wird eher steigen. Denn mit der Zeit wird man nach neuen Facetten der eigenen Geschichte suchen. Und die Deutschen - oder Deutschsprachigen, wie wir sagen - haben dieses Land kulturell miterbaut, gehören in die Geschichte des Landes, und dafür braucht man eine Institution. Der Staat müsste dann die Mehrheit in den Gremien des Collegiums Bohemicum haben, wenn er so viel in die Ausstellung investiert. Und in die Gremien sollte endlich auch Martin Dzingel als Vertreter der deutschen Minderheit berufen werden. Wir wollen mit dieser Ausstellung die Deutschsprachigen zurückholen in die tschechische Geschichte. Und wir wollen den Deutschsprachigen, die hier leben, eine Rückendeckung durch die Tradition anbieten. Wir wollen, dass sich die deutsche Minderheit, die die ganze Zeit hiergeblieben ist, damit identifiziert.“

Foto: Martina Schneibergová
In den letzten Jahren ist in Tschechien viel passiert in punkto Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte. Junge Historiker, Schriftsteller und Theatermachen haben auch tschechische Schuld schonungslos thematisiert. Rennen Sie mit Ihrer Ausstellung offene Türen ein?

„Wir machen etwas anderes. Wir institutionalisieren eine Sache, die Institutionalisierung braucht. Ein Museum von 1500 Quadratmetern ist nicht mit einem Theaterstück oder mit zwei Metern Bücher zu vergleichen. Natürlich hat sich die Lage in der tschechischen Gesellschaft positiv verändert, das ist uns nur willkommen. Aber das Thema braucht eine Institution.“

Ist die deutsch-tschechische Vergangenheit heute noch ein Politikum in der Gesellschaft?

„Ein Teil der Gesellschaft hat immer noch Vorurteile. Aber es gibt, Gott sei Dank, keine nationalistische Partei im Parlament, die daraus ein Politikum machen würde. Es sind einzelne Personen, die hin und wieder Angriffe starten. Natürlich belastet uns das Erbe aus der Zeit des Kommunismus, als das ein Tabuthema war. Wir haben immer noch Spuren von Hass in der Gesellschaft. Aber es gibt keine politische Kraft, die das zur Munition machen würde.“