Das Thema Europa als Mittel innenpolitischer Auseinandersetzung in Tschechien
Als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vor gut zwei Wochen nach Prag kam, um die Haltung Tschechiens zu einer Wiederbelebung des Europäischen Verfassungsvertrags auszuloten, zeigte sich, dass es in dieser Frage unter den politischen Eliten des Landes keinen Konsens gibt. Allerdings wird das Thema Europa in den letzten Wochen von Politikern und Parteien immer stärker als Mittel zur innenpolitischen Auseinandersetzung genutzt.
Gegenwärtig scheint es in Tschechien kein politisches Thema zu geben, bei dem Regierung und Opposition einer Meinung wären. Während in der Innenpolitik diese unüberbrückbaren Unterschiede nicht überraschen, kommt in der Außenpolitik so eine Divergenz, jedenfalls im Vergleich zu anderen Ländern, nicht so häufig vor.
Zwei Beispiele aus der jüngsten Zeit zeigen, dass auch in naher Zukunft kein Konsens zu erwarten ist. Zum einen haben die oppositionellen Sozialdemokraten vergangene Woche ihre Haltung zur Errichtung eines Teils des geplanten amerikanischen Raketenabwehrsystems in Tschechien geändert. Während sie dieses Vorhaben bis dahin nicht in Frage stellten und die frühere sozialdemokratisch geführte Regierung vor einigen Jahren sogar erste Verhandlungen mit den USA führte, haben die Sozialdemokraten nun auf Opposition geschaltet und verlangen zu dieser Frage eine Volksabstimmung.
Die zweite Divergenz betrifft die tschechische Haltung zu Europa im Allgemeinen und zum Europäischen Verfassungsvertrag im Konkreten. Hier ist die Sachlage umgekehrt: Während die Sozialdemokraten den Verfassungsprozess beleben wollen, vertreten die Koalitionspartner in der Regierung unterschiedliche Ansichten. Das wiederum versuchen nun die Sozialdemokraten zu thematisieren und wollen diese Schwachstelle für sich nutzen.
Der Effekt am Rande: In Tschechien wird seit dem Beitritt zur Europäischen Union im Mai 2004 erstmals wieder über Europa diskutiert. Es fragt sich jedoch, in wie weit dieses plötzliche Interesse an Europa wirklich durch die Sache selbst und nicht durch den historisch ersten EU-Vorsitz Tschechiens im Frühjahr 2009 motiviert ist. Oder dient sie vielleicht doch bloß innenpolitischen Zwecken, das heißt dem Versuch der Opposition, die unterschiedlichen Standpunkte innerhalb der Regierungskoalition zu nutzen? Dazu der Publizist und Mitarbeiter des Tschechischen Rundfunks, Petr Holub:
"Ich glaube, dass in gewisser Weise beides stimmt. Die europäische Verfassung ist ein Thema, das nicht alle Bürger vordergründig interessiert. Die Politiker haben daraus dennoch im Verlauf des vergangenen Monats ein Thema ersten Ranges für die innenpolitische Auseinandersetzung in Tschechien gestrickt. Zu Beginn stand die Neujahrsansprache von Präsident Klaus, der davor warnte, dass Deutschland in der Zeit seines EU-Vorsitzes versuchen will, den Europäischen Verfassungsvertrag zu beleben. Es hat sich aber gezeigt, dass die Debatte seither nicht allzu weit gekommen ist und das Land heute praktisch ohne einheitliche Linie dasteht. Es fehlt nicht nur ein Konsens zwischen Regierung und Opposition, sondern auch innerhalb der Regierungskoalition. Unter der Führung der Bürgerdemokraten wird versucht in Sachen Europa einen neuen Kurs einzuschlagen, auch wenn immer wieder betont wird, dass sich nichts ändert. Die kleineren Koalitionsparteien können aber die Bürgerdemokraten (ODS) nicht aufhalten. Natürlich wollen die Sozialdemokraten das für sich nutzen und innenpolitische Punkte sammeln. Es stimmt zugleich aber auch, dass in Tschechien gegenwärtig mit der neuen Regierung in Sachen Europa wirklich eine Änderung stattfindet."
Die taktische Motivation bei der Haltung der Sozialdemokraten lässt sich nach der Meinung von Petr Holub wie folgt ausmachen:
"Was die Sozialdemokraten tun, ist eher eine Strategie, die auf die übrigen politischen Mitbewerber gerichtet ist, als ein Versuch, neue Wählergruppen für sich zu erschließen. Dahinter steht die Annahme, dass auf diese Weise - wenn man das Ganze geschickt angeht - die gegenwärtige Koalition auseinander dividiert werden könnte. Die Angriffe der Sozialdemokraten richten sich auch nicht in erster Linie auf die Bürgerdemokraten. Das Ziel sind dabei ebenso wenig die pro-europäischen Christdemokraten, die noch bis vor kurzem Mitglied der sozialdemokratisch geführten Regierung waren. Im Mittelpunkt stehen die Grünen, die ebenfalls sehr pro-europäisch auftreten. Gerade an die Grünen richtet sich der Vorwurf, dass unter der jetzigen Regierung, deren Mitglied sie sind, Tschechien zum größten Skeptiker innerhalb der Gemeinschaft mutiert. Das soll bei den Grünen mindestens ein Nachdenken hervorrufen, wenn nicht gleich den Beschluss, diese Regierung zu verlassen. Zeitlich ist diese Attacke gut gewählt, weil die Grünen Mitte Februar einen Parteitag abhalten werden, wo sich die jetzige Parteiführung vor ihren Kritikern wird rechtfertigen müssen. Sollte der Grünen-Chef Martin Bursik für seine Politik keine Unterstützung bekommen, dann würde das sicherlich auch die ganze Koalition destabilisieren."
Die stärkste tschechische Regierungspartei, die rechtsliberalen Demokratische Bürgerpartei (ODS), vertritt schon seit langem eine betont europakritische Linie, auch wenn sie zum Beispiel den Beitritt des Landes zur Europäischen Union vor gut drei Jahren offiziell unterstützt hat. Im Frühjahr vergangenen Jahres entschied die ODS jedoch, nach den nächsten Wahlen zum Europaparlament im Jahr 2009 zusammen mit den britischen Konservativen eine eigene, europaskeptische Fraktion zu bilden. Beide Gruppierungen sind gegenwärtig immer noch Mitglieder der föderalistisch eingestellten Fraktion der Europäischen Volkspartei. Dieses Detail zeigte, dass die Bürgerdemokraten mit ihrem Widerstand gegen die Verfassung ernst machen. Wäre es also denkbar, dass die ODS wegen der unüberbrückbaren Unterschiede zu den Koalitionspartnern, die gerade in der Europapolitik bestehen, das Ende der Regierung in Kauf nehmen würde? Petr Holub schätzt das wie folgt ein:"Die Bürgerdemokraten sind in Fragen der Europäischen Union und des Verfassungsvertrags gespalten, was nichts Ungewöhnliches ist, weil es in der Partei auch bei anderen grundlegenden Fragen Differenzen gibt, wie etwa bei der Steuerpolitik. Die stärkste Regierungspartei befindet sich zurzeit im Aufwind, und solche Konflikte können ihr vielleicht sogar helfen, weil sie sie auch zu konkreten Lösungen zwingen. Momentan bestimmt die Politik der ODS in Sachen Europa jener Flügel, der von Vaclav Klaus inspiriert ist und durch sehr radikale Haltungen von sich reden macht. So wird zum Beispiel jede Diskussion über den Verfassungsvertrag kategorisch abgelehnt. Nicht alle vertreten aber solch radikale Positionen. Dazu gehören auch Regierungschef Mirek Topolanek und der Vizepremier für Europapolitik, Alexander Vondra. Deren Meinung lässt sich wie folgt charakterisieren: Ja, zurzeit wollen wir nicht nachgeben, aber wir sind bereit, innerhalb der kommenden Monate und Jahre von unserer Position abzurücken und einem Kompromiss zu zustimmen. Darüber muss noch verhandelt werden. Was die Frage angeht, ob die ODS wegen der Diskussion über Europa auch den Fortbestand der Koalition riskieren würde, muss man Folgendes sagen: Die Partei hat in den vergangenen Monaten bereits einiges riskiert, und diese Taktik hat sich bisher auch immer ausgezahlt."