Das tschechische Exil im 20. Jahrhundert

13 Jahre nach dem Fall des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei wird mit einer grossen Ausstellung im mährischen Brno endlich Tausenden von Tschechen und Slowaken gedankt, die irgedwann im Laufe ihres Lebens ihre Heimat verlassen haben, um auf der anderen Seite der Grenze für die Freiheit ihres Landes zu kämpfen. Die jüngere Genearation, für die das Thema Exil und Emigration keine aktuelle Bedeutung mehr hat, kann in dieser Ausstellung feststellen, wie viele Tschechen und Slowaken im 20. Jahrhundert vor allem aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen haben - und welchen Einfluss sie auf das Geschehen in der Tschechoslowakei hatten. Die älteren Generationen dagegen haben nun im Brünner Haus der Kunst die Möglichkeit, sich an längst vergangene Zeiten zu erinnern, in denen von Exilverlagen herausgegebe Bücher oder Radiosendungen von der BBC oder Radio Free Europe den eisernen Vorhang überwunden haben, um sie über das Geschehen in der Welt und im eigenen Lande objektiv zu informieren.

Bedenkt man die Rolle, welche Exulanten bzw. Emigranten in der Geschichte der Tschechoslowakei im 20. Jahrhundert gespielt haben, ist es erstaunlich, dass erst jetzt, 13 Jahre nach dem Fall des kommunistischen Regimes, eine erste grosse Ausstellung zu diesem Thema stattfindet. Exilpolitiker standen bereits an der Wiege der Tschechoslowakei, wie der Historiker Vilem Precan, selbst ehemaliger Emigrant, erklärt:

"Wenn wir es so nehmen, dann wäre die tschechoslowakische Republik nach dem Ersten Weltkrieg in der Form nicht entstanden. Das hat wirklich Tomas Garrigue Masaryk mit Edvard Benes und R.Stefanik dazu beigebracht und die ganze Idee konzipiert der tschechoslowakischen demokratischen als einen mitteleuropäischen demokratischen selbständigen Staat nach dem Ersten Weltkrieg."

Für die Entstehung der Tschechoslowakischen Republik haben aber nicht nur die erwähnten Exilpolitiker gekämpft, sondern auch Tausende von Tschechen und Slowaken, die während des Ersten Weltkriegs auf Seiten der Allierten kämpften. Finanziell unterstützt wurden die Exilpolitiker wiederum von Tschechen und Slowaken, die bereits zuvor in die weite Welt gezogen waren, um ihr Glück zu versuchen. Viele von diesen Emigranten lebten in den USA und Kanada. In der Ausstellung sind einige Raritäten aus jener Zeit zu sehen, u.a. Kleidungsstücke der Staatsgründer Masaryk und Stefanik. Mit der Entstehung der Tschechoslowakei am 28. Oktober 1918 fand die erste Emigrationwelle aus den Böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert ihr Ende.

Eine neue Ära begann: Tschechen und Slowaken emigrierten nicht mehr - jetzt war die Tschechoslowakei Ziel vieler Emigranten. Zunächst waren dies Russen, die gegen die Rote Armee gekämpft hatten und nun vor den Bolschewiken geflohen waren. Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 fanden auch viele Deutsche eine vorübergehende neue Heimat in der Tschechoslowakei.

Mit dem Beginn der Okkupation 1939 begann eine zweite grosse Emigrationswelle aus der Tschechoslowakei. Nicht nur Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten verliessen das Land, auch Tausende von jungen Männern, die auf Seiten der Allierten gegen das Dritte Reich kämpfen wollten. Zu den Emigranten gehörte u.a. das bekannte Musikerduo Voskovec und Werich, das aus Washington über den Rundfunk seine Landsleute unterhielt.

Wie bereits während des Ersten Weltkriegs entstand erneut eine tschechoslowakische Exilregierung. Diesmal mit Edvard Benes als Präsident an der Spitze. Im Mai 1945 konnten Soldaten und Politiker in das befreite Prag einmarschieren.

Drei Jahre nach Kriegsende übernahmen die Kommunisten in der Tschechoslowakei die Macht und lösten damit eine weitere Emigrationswelle aus, die im Grunde genommen 40 Jahre lang dauerte. Zwischen 1948 und 1953 verliessen ca. 44.000 Tschechen und Slowaken ihre Heimat. Dies waren vor allem Poltiker, deren Parteien nun verboten waren, Generäle und andere Militärs, die während des Zweiten Weltkriegs auf Seiten der westlichen Allierten gekämpft hatten und dafür nun verfolgt wurden, Diplomaten, Künstler, Musiker und Wissenschaftler.

Viele der Emigranten flohen damals mit der Vorstellung, vom Ausland aus gegen das kommunistische Regime zu kämpfen, um bald in eine befreite Tschechoslowakei zurückzukehren. Ihr Vorbild waren die tschechoslowakischen Exilregierungen während des Ersten und Zweiten Wetkriegs. Ein "Rat der freien Tschechoslowakei" wurde zwar gegründet, doch gelang es nicht, eine einheitliche Exilpolitik zu betreiben - zu unterschiedlich waren die Vorstellungen. Ausserdem fehlte eine führende Persönlichkeit, die alle Strömungen hätte vereinen können und noch etwas fehlte: die Unterstützung des Westens. Der eiserne Vorhang war längst gefallen und die Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr in eine demokratische Tschechoslowakei mussten aufgegeben werden.

Auch wenn das Ziel damals nicht erreicht wurde, spielte die Emigrantion in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eine grosse Rolle, wie der Historiker Vilem Precan erläutert:

"Es war Bestandteil, der ausländische Ast der antitotalitären Resistenz in der Tschechoslowakei. Das tschechoslowakische politische Exil war die Kontinuität der demokratischen Idee, des Erbes von Tomas Garrigue Masaryk und auch der weiteren demokratischen Entwicklung. Das Exil - repräsentierte die andere Tschechoslowakei, die unterdrückte, demokratische Tschechoslowakei, so wie z.B. später die Charta 77 in den 70er und 80er Jahren die bessere Tschechoslowakei nach aussen hin repräsentiert hat. Es war ein Bindeglied, Bindeglied zwischen der westlichen Demokratie und deren in der Tschechoslowakei, die weiterhin programmatisch orientiert waren auf die Rückkehr der Freiheit und Demokratie in der Tschechoslowakei."

Dieses Bindeglied stellten oftmals Rundfunksender, Exilzeitungen und Exilverlage dar. Als erstes begann Radio Free Europe 1951 auf tschechisch zu senden. Es folgten Voice of Amerika, die BBC und Deutsche Welle.

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 setzte eine neue Emigrationswelle in den Westen ein - die grösste, die das Land bisher erlebt hatte. 700.-800.000 Menschen haben nach 1968 die Tschechoslowakei verlassen.

In den 70er Jahren entstanden in verschiedenen westlichen Ländern Verlage, die Bücher verbotener tschechischer Autoren veröffentlichten, die dann in die Tschechoslowakei geschmuggelt wurden. Ebenso erreichten Exilzeitungen das Land. So bestand weiterhin eine Verbindung zwischen Exil und Heimat. Doch ganz ungetrübt, war das Verhältnis zwischen Daheimgebliebenen und Emigranten nicht. Dies zeigte sich nach 1989, als nicht alle Emigranten mit offenen Armen zu Hause empfangen wurden:

"Da war auch ein Neid, ein sozialer Neid. Die Emigranten haben es gewonnen. Wir hier wir haben uns anpassen müssen und die haben dort gut gelebt und in der Freiheit. Auf der anderen Seite: der Teil des Exils, der verbunden war mit der einheimischen antitotalitären Resistenz, seine Akzeptanz war sehr gut. So war Pavel Tigrid z.B., der über 40 Jahre im Exil lebte und die politische und kulturelle Revue svedectvi-Zeugnis herausgegeben hat, der wurde auch unter anderen zum Minister der Kultur für eine gewisse Zeit."

Wie aber sah das Leben der tschechischen Emigraten aus? Glaubten sie an ihre Rückkehr oder war diese nur ein schöner Traum?

"Es war ein Traum, an den man sich nicht klammern konnte, sonst wäre es nicht zu überleben. In der Zeit, als ich mein Land verlassen hatte, das war 1976, als ich die Freiheit, das Land zu verlassen, erkämpft habe, damals sah es so aus, noch im 20. Jahrhundert wird es unmöglich sein, dass ich in die Tschechoslowakei werde zurückkehren können. Wir mussten leben und arbeiten. Auf der anderen Seite, für mich selbst war es eine Existenz - ich fühlte mich so irgendwie geliehen, aber meine ganze Tätigkeit war orientiert mit dem Blick auf die Tschechoslowakei und ich hatte die besten Kontakte mit meinen Freunden aus der Charta 77 und so."

Die jetzt in Brno zu sehende Ausstellung bemüht sich, das Exil in seiner ganzen Breite zu zeigen. Die Ausstellungsräume führen Sie durch die Welt der tschechischen Exilliteratur und - verlage, der tschechischen Soldaten während des Ersten und Zweiten Weltkriegs, zu hören sind tschechische Sendungen von Deutsche Welle, BBC und Radio Free Europe. Erinnert wird an die Adelsfamilien, die nach 1948 das Land verlassen mussten, an Unternnehmer, die im Westen erfolgreich waren, an Sportler, Pfadfinder, Wissenschaftler, Priester, Schauspieler und Komponisten. Die Ausstellung stellt nur einen Teil eines grossen Projektes dar, wie Kulturminister Pavel Dostal erklärt:

"2008 sollte dieses Projekt mit der Eröffnung eines Museums des "Tschechischen und Slowakischen Exils im 20. Jahrhundert" in Brno abgeschlossen werden. Diese Ausstellung ist ein erster Schritt dazu. Ich denke, dies ist ein guter Weg, die Schuld, die wir gegenüber vielen Exulanten und Emigranten haben, endlich zu zahlen."

Mit den Worten des Kulturministers Pavel Dostal beenden wir das heutige Geschichtskapitel. Auf ein Wiederhören in zwei Wochen freut sich Katrin Bock.