Debatte über das zukünftige Rentensystem kommt in Bewegung

Der heutige "Schauplatz" von Robert Schuster geht der Frage nach, wie das tschechische Rentensystem reformiert werden könnte.

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Eines der großen Zukunftsprobleme der Tschechischen Republik ist sicherlich die Finanzierung des Rentensystems. Das beweisen auch die Daten, die von Zeit zu Zeit an die Öffentlichkeit gelangen. Experten gehen davon aus, dass angesichts der schnell alternden Bevölkerung in naher Zukunft nicht nur die Zahl der Rentenbezieher weitaus größer sein wird, sondern vor allem auch weniger Geld in die Rentenkasse einfließen wird. Heute beträgt der Anteil der über 60jährigen in Tschechien fast 20 Prozent der Bevölkerung, in etwa 50 Jahren könnte ihr Anteil bis auf ein Drittel ansteigen. Dementsprechend sinken auch die Renten. Konnte man als Rentner Anfang der 90er Jahre noch auf 54 Prozent des Durchschnittseinkommens hoffen, ist man heute bereits irgendwo bei 40 Prozent angelangt - Tendenz sinkend.

Dennoch hat es in Tschechien relativ lange gedauert, bis dieses Thema von den politisch Verantwortlichen angegangen wurde. So verwundert es nicht, dass noch beim letzten Wahlkampf vor gut drei Jahren eine der großen Parteien des Landes verkündete, die Renten wären auch für die künftigen Generationen gesichert und das heutige System müsste nicht geändert werden. Dass diese Einstellung nur Wahlkampfrhetorik war, zeigte sich dann umgehend, als eine überparteiliche Reformkommission ins Leben gerufen wurde - mit dem klaren Auftrag, ein Konzept vorzulegen, das wirklich zukunftsorientiert wäre. Seither wurden bereits einige Zahlen präsentiert, die höchstwahrscheinlich auch die Öffentlichkeit allmählich darauf vorbereiten soll, dass tief greifende Veränderungen in der Altersvorsorge unausweichlich sind.

Die einzige offene Frage ist die politische Umsetzung. Obwohl die neue tschechische Regierung, die gerade in diesen Tagen entsteht, noch keine festen Konturen und auch noch kein Regierungsprogramm hat, steht jetzt schon fest, dass in den kommenden Monaten bis zum regulären Wahltermin im Juni nächsten Jahres keine heißen Eisen angegangen werden sollen, die die Wähler verunsichern könnten. Somit steht fest, dass sich in Sachen Rentenreform bis zum Herbst, wenn die neue Regierung endgültig stehen wird, nichts tun wird.

Ein Blick in die anderen europäischen Länder zeigt, dass dort bereits in der jüngsten Vergangenheit Maßnahmen zur Sicherung der dortigen Rentensysteme getroffen wurden, wie zum Beispiel in der benachbarten Slowakei. In Tschechien ist man aber immer noch im Diskussionsstadium. Ist da von den Verantwortlichen etwas versäumt worden? Das fragten wir den Wirtschaftsforscher Daniel Munich von der Akademie der Wissenschaften:

"Ich denke, dass es gut ist, dass über dieses Thema wenigstens diskutiert wird, weil in den vergangenen Jahren die Rentenreform völlig ausgespart wurde. Es ist gut, dass endlich auch eine überparteiliche Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, die nun nach und nach ihre ersten Ergebnisse präsentiert. Die Debatte ist wichtig, um eine Art Problembewusstsein zu schaffen. Und zwar nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch bei den Politikern selbst. In der Tat haben wir die Zeit ein wenig verschlafen, aber andererseits muss man auch wissen, dass ein Rentensystem sich nicht auf einige wenige Jahre, sondern auf Jahrzehnte bezieht. Aber wir haben noch nichts wirklich Grundlegendes versäumt."

Zudem wäre es, so Daniel Munich weiter, durchaus möglich, sich von den Lösungen in anderen europäischen Ländern inspirieren zu lassen:

"Tschechien stellt im Rahmen Europas bestimmt keinen Ausnahmefall dar. Es gibt viele Ähnlichkeiten, was also heißt, dass wir kein sozusagen maßgeschneidertes Rentensystem brauchen. Aber dennoch gibt es einige Spezifika: Tschechien hat gegenwärtig immer noch eine relativ günstige demographische Struktur, weil die Zahl derer, die arbeiten und Steuern zahlen, immer noch relativ hoch ist. Aber gleichzeitig droht Tschechien in naher Zukunft der vielleicht dramatischste demographische Einbruch in ganz Europa. Das zweite Spezifikum hängt mit dem Kommunismus zusammen und besteht darin, dass die Menschen im Unterbewusstsein immer noch das Gefühl haben, dass der Staat alles übernehmen und für alles sorgen wird. Die Politiker hatten bislang nicht den Mut zu sagen, dass sich der Staat das nicht mehr leisten kann. Also der erste Schritt für eine Rentenreform wäre das offene Eingeständnis, dass es kein Geld für die Renten gibt und die Bürger sich selber um ihre Zukunft kümmern müssen."

Gleichgültig, welche Gestalt das künftige tschechische Rentensystem letzten Endes haben wird, sicher scheint zu sein, dass die Bürger dazu angehalten werden, stärker Eigenvorsorge zu betreiben. Somit könnten sie die Höhe ihrer künftigen Bezüge auch maßgeblich mit bestimmen. In der Praxis würde das wohl bedeuten, dass die Tschechen - eventuell durch Steuervergünstigungen motiviert - freiwillig einen Teil ihrer Beiträge in Rentenfonds einzahlen und den dadurch erwirtschafteten Betrag quasi als Bonus zu ihrer Rente bekommen würden.

Hier droht aber, dass gerade in Tschechien Theorie und Praxis in Widerspruch geraten könnten. Unter den Tschechen herrscht nämlich nachweislich großes Misstrauen gegenüber Fonds jeglicher Art, was nicht zuletzt auch mit den negativen Erfahrungen vieler Bürger mit der so genannten Kupon-Privatisierung zusammenhängt. Schon jetzt äußern viele die Befürchtung darüber, was passieren würde, wenn diese Fonds Pleite gehen und das einbezahlte Geld somit verloren wäre. Wäre es also nicht angebracht, zunächst diese Ängste abzubauen?

Der Wirtschaftsforscher Daniel Munich schlägt im Gespräch mit Radio Prag eine etwas andere Kommunikationsstrategie gegenüber den Bürgern vor, wenn er meint:

"Schon heute tragen die Bürger einen wichtigen Teil zur ihrer Rente bei. Und zwar keinen geringen. Die Höhe dieser Abgabe ist in Tschechien eine der höchsten in Europa. Es müsste also auf jeden Fall gesagt werden, dass schon heute jeder aktive Bürger eine nicht gerade kleine Summe regelmäßig in das System einzahlt, ohne die Möglichkeit, deren Höhe zu bestimmen. Das Problem der ganzen Reform besteht nicht darin, zusätzliche Mittel für das Rentensystem zu erhalten, sondern die gegenwärtigen anderes zu verteilen. Und zwar so, dass die immer größer werdenden Verbindlichkeiten auf Grund der schlechten demographischen Entwicklung halbwegs gerecht auf die zukünftigen Generationen verteilt werden. Es geht also darum, einen Kompromiss zu schließen zwischen dem, was die Jungen einzahlen, und dem, was die ältere Generation vom ganzen System in Form der Rente zurückbekommt. Das ist auch das eigentlich Schwierige an dem Ganzen, und das ist der Öffentlichkeit nur sehr schwer zu erklären. Es dauert sehr lange, bis alle Zusammenhänge erfasst werden."

Daniel Munich vergleicht jedes Rentensystem mit einem großen Dampfer. Wie bei einem Schiff würde es seinen Worten zufolge auch bei vielen Einrichtungen des Sozialstaates eine gewisse Zeit dauern, bis sich eine Kurskorrektur auch tatsächlich bemerkbar macht. Das Gleiche gelte übrigens bei der Frage, ob eine Haltungsänderung der Tschechen gegenüber diesen Rentenfonds zu erwarten ist. Zudem gibt Daniel Munich noch einen weiteren wichtigen Umstand zu bedenken:

"Das Misstrauen gegenüber solchen Anlageformen ist gegeben und hängt mit längerfristigen Entwicklungen zusammen. Das historische Gedächtnis der Tschechen sagt, dass langfristige Ersparnisse eine sehr ungewisse Zukunft haben, was sicherlich mit den Erfahrungen aus der Zeit des Kommunismus und der Naziherrschaft zusammenhängt. Die privaten Fonds sollen vor allem einen attraktiveren Ertrag sichern. Ein Problem entsteht dann, wenn diese Fonds vom Staat dazu verpflichtet werden, die Anlagen ihrer Kunden zu garantieren. Die Folgen dessen wären aber sehr konservative Anlagemethoden mit einem bedeutend geringeren Ertrag. Es ist also fraglich, ob an Stelle dieser Fonds nicht andere Instrumente, wie etwa im Versicherungsbereich, gestärkt werden sollten."

Wie bereits eingangs erwähnt wurde, befindet sich die Debatte über das tschechische Rentensystem der Zukunft erst in der Anfangsphase. Die relevanten Parteien scheinen nach wie vor an ihrer ursprünglichen Einigung festzuhalten, dass sie eine tragfähige Lösung anstreben wollen. Wie real ist es aber, dass die politischen Parteien dabei nicht in erster Linie die Interessen ihrer eigenen Klientel berücksichtigen und den Blick fürs Ganze verlieren werden?

Hören Sie dazu noch einmal den Wirtschaftsforscher Daniel Munich von der Akademie der Wissenschaften:

"Ich denke, dass die Chancen relativ gut stehen. Alle bisherigen Berechnungen haben gezeigt, dass es beim Rentensystem immer nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere, geht. Wichtig wird es sein, einen Kompromiss zu finden zwischen der Belastung der heutigen und der künftigen Generationen auf der einen Seite, sowie der Höhe der Rente auf der anderen. Es ist also mehr oder weniger eine Frage, wie man das verrechnet. Und damit nicht so sehr eine politische Frage."