Debatte um den Polizeiübergriff auf die Grünen-Kandidatin Katerina Jacques

Das harte Vorgehen der Polizei gegen die Grünen-Kandidatin Katerina Jacques, die am 1. Mai gemeinsam mit ihren Kindern an einer Protestkundgebung gegen Neonazis teilnahm, sorgt seit Wochen für Schlagzeilen in den tschechischen Medien. Im Mittelpunkt der Kommentare stand dabei die Frage, ob sich der Vorfall mit der "Entgleisung" einzelner Polizisten erklären lässt - wie es etwa Polizeipräsident Husak tat - oder ob die Ursachen tiefer, in der Struktur der Ordnungskräfte und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft begründet liegen.

"Es war nicht das Versagen eines Einzelnen" - so die Überschrift eines Kommentars, der zwei Tage nach den Mai-Kundgebungen in der Internetzeitung Britske listy erschien. Der Autor, John Bok, schreibt im Namen des Vereins Salamoun, der tschechischen Bürgern Rechtsbeistand in verschiedenen Situationen anbietet:

"Der brutale Angriff auf Katerina Jacques ist ein Versagen der tschechischen Polizei als Institution. Am Tatort war eine organisierte Polizeieinheit anwesend, die dem Leiter des Einsatzes unterstand. Und dieser hat das gesetzeswidrige Vorgehen seiner Untergeordneten nicht gestoppt. Es handelte sich dabei nicht um die zufällige Entgleisung eines einzelnen Polizisten, denn zu ähnlicher Gewalt seitens der Polizei kommt es seit einigen Jahren in regelmäßigen Abständen bei größeren Versammlungen. Die Schuldigen werden in der Regel nicht ausfindig gemacht geschweige denn vor Gericht gestellt."

Im Falle Jacques war das anders. Die Ermittlungen wurden in bemerkenswert kurzer Zeit abgeschlossen und die Strafen folgten auf dem Fuß: mehrere führende Polizisten wurden sozusagen über Nacht vom Dienst suspendiert. Aber, fragt der Kommentator Vladimir Dubsky in der Zeitung Lidove noviny vom 9. Mai,

"Wären die Ermittlungen gegen die polizeiliche Gewalt wirklich so schnell verlaufen, wenn Frau Jacques nicht ausgerechnet Politikerin wäre? Wie groß ist die Chance, dass ähnliche Fälle auch nach den Wahlen genauso schnell und gründlich aufgeklärt werden - und auch dann, wenn die Opfer nicht prominent, sondern namenlos sind?"

Schuld daran, dass eine ganze Reihe ähnlicher Fälle unaufgeklärt bleiben, tragen nicht zuletzt die Medien, analysieren Lidove noviny einen Tag später:

"Diese Fälle ziehen sich über Jahre hin, ohne öffentliches Interesse der Medien. Wenn die Medien sich interessieren, dann höchstens nur ganz am Anfang. Wo sind die Medien, die Wächter der Demokratie? Wann werden wir für diese Ignoranz bestraft, wann begreifen wir, dass es Dinge gibt, denen wir mehr Aufmerksamkeit widmen müssen als etwa einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes um 0.001 Prozent?"

Auch der Journalist Milos Cermak kritisiert die Medien für ihre Auseinandersetzung mit dem Polizeieinsatz vom 1. Mai. Die meisten Blätter haben seiner Ansicht nach in diesem Zusammenhang keine Meinungsvielfalt zugelassen, sondern nur eine in ihren Augen "politisch korrekte" Ansicht. In der Zeitung Hospodarske noviny vom 11. Mai schreibt Cermak dazu:

"Im Internet, auf Diskussions- und Nachrichtenservern und Weblogs konnte man auf eine ganze Reihe Ansichten stoßen, die in den Zeitungen fehlten. Darunter auch die Meinung, dass Katerina Jacques den Polizisten zur Gewalt provoziert hat, dass sie ihre Kindern nicht mit auf die Demonstration hätte nehmen dürfen und dass sie den Polizeieingriff jetzt politisch missbraucht. Es sieht fast so aus, als wenn die Meinungsseiten ihre Leser vor Ansichten schützen wollen, die als geschmacklos oder nieder gelten könnten. Die Frage ist dann allerdings, warum sie nicht eben so konsequent schon eine Woche zuvor waren, als der kommunistische Abgeordnete Jiri Dolejs zusammengeschlagen wurde. Da konnte man nämlich schnell zwischen den Zeilen die Meinung heraushören, dass er das verdient habe, weil er einer Ideologie anhängt, die in der Vergangenheit nicht nur das Schlagen von Menschen, sondern auch Mord verteidigt hat."

Die Wochenschrift Respekt greift in ihrer aktuellen Ausgabe den im Zusammenhang mit dem "Fall Jacques" wohl am häufigsten geäußerten Vorwurf auf, die Grünen-Kandidatin hätte ihre minderjährigen Kinder nicht mit auf die Demonstration nehmen dürfen. Diese mussten letztlich mit ansehen, wie ihre Mutter von den Ordnungskräften brutal zu Boden geworfen und geschlagen wurde. Zitat:

"Wenn ein Elternteil der Meinung ist, dass es lohnenswert ist, gegen eine bestimmte Sache zu demonstrieren, will er dies logischerweise auch seinem Kind beibringen. Es ist daher normal, das Kind mit auf die Demonstration zu nehmen. Natürlich gibt es Ausnahmen wie etwa gewaltsame Aktionen von Globalisierungsgegnern. Aber davon konnte hier nicht die Rede sein. Kinder zum Protest gegen Neonazis zu erziehen ist nichts Verwunderliches. Ein Kind, das solch eine Aktion mit eigenen Augen sieht, erlebt etwas sehr Nützliches, was ihm in der Schule niemand zeigt. Spätestens seit 1989 weiß jedes Elternpaar in Tschechien, dass die Teilnahme an einer "richtigen" Demonstration mehr Wert ist als 100 Stunden Unterricht in Bürgerkunde."

Der Vorfall vom 1. Mai hat bereits einigen führenden Polizisten das Amt gekostet, Polizeipräsident Husak hat sich persönlich bei Katerina Jacques entschuldigt und weitere Konsequenzen für die Arbeit seines Ressorts angekündigt. Jacques selber hat mit dem Fall für sich vorerst abgeschlossen und äußert sich nicht mehr öffentlich dazu. Zuvor hat sie immer wieder betont, dass es ihr nicht um die Bestrafung von Einzelnen geht, sondern um Veränderungen im System. Ähnlich sieht es auch der Chefredakteur der Zeitschrift Respekt, Marek Svehla.

"Für Tschechien und das Leben in diesem Land ist es gut, was da passiert ist. Die Praxis der letzten Jahre hat gezeigt, dass die tschechische Polizei rachgierig ist und Angst vor öffentlicher Kontrolle hat. Deshalb schafft sie Ordnung, indem sie großmäulige Frauen schlägt und verbietet, dass man sie bei der Arbeit fotografiert. Bei näherem Hinsehen stellt man fest, dass das alles auch von der Polizeiführung unterstützt wird. Sie bewertet die Tätigkeit ihrer Untergebenen danach, wie viele Personen diese unnötigerweise nach ihrem Ausweis gefragt haben. Der jüngste Vorfall vom 1. Mai hat die Polizeiführung zu verhältnismäßig harten Strafen veranlasst. Bleibt zu hoffen, dass er auch hilft, das gesamte System zu ändern."