Den Häftlingsnummern Gesichter geben - Konzentrationslager Flossenbürg nach 61 Jahren
Die Befreiung des Konzentrationslagers Flossenbürg hat sich am 23. April zum 61. Mal gejährt. Die Überlebende Helga Weissova und der Historiker Hans Simon-Pelanda versuchen, vor allem jungen Menschen auf die Opfer des Nordbayrischen Konzentrationslagers in den Jahren 1938 bis 1945 aufmerksam zu machen. Ein Beitrag von Renate Zöller und Bara Prochazkova.
Hans Simon-Pelanda hatte eine schlechte Erfahrung machen müssen: In Regensburg hatte er mit Schülern 1983 in Regensburg ein Außenlager von Flossenbürg ausfindig gemacht. Doch statt offensiv mit der Stadtgeschichte umzugehen, drohte der Bürgermeister der Schulklasse sogar mit strafrechtlicher Verfolgungen, wenn sie ihre Rechercheerfolge publik machen würde. Simon-Pelanda empörte diese Verlogenheit. Er begann, sich zu engagieren, gründete den Verein "Flossenbürg e.V." und bemüht sich vor allem, Schülern die Problematik näher zu bringen. Das ist seines Erachtens nur möglich, wenn man die einzelnen Opfer aus der Anonymität herausholt:
"Wir haben uns angewöhnt, von sechs Millionen Toten zu sprechen. Ich kann mir aber auch nach jahrelanger Beschäftigung mit der Thema keine sechs Millionen Tode vorstellen. Ich kann mir einen Toten vorstellen, den ich gekannt habe. Und genauso ist es mit den Opfern. Ein Opfer ist anonym, es ist eine Beraubung der Individualität. Alles wird gleich gemacht. Es waren alle gleiche Opfer, sie hatten alle Leid zu ertragen, ihnen ging es allen schlecht. Damit kann man relativ wenig anfangen. Aber jemand, der eine Nummer war, wenn der ein Gesicht bekommt, dann ist er ein Mensch."
Ein solches Opfer, das ein Gesicht und eine Stimme hat ist Helga Weissova. Als Zwölfjährige kam sie nach Theresienstadt. Sie begann dort zu malen. Sie erzählt:
"Meine erste Zeichnung habe ich meinem Vater in die Männer-Baracke geschmuggelt. Auf dem Bild waren zwei Kinder zu sehen, die einen Schneemann bauen. Mein Vater hat mir damals gesagt: Male, was Du siehst. Daraufhin habe ich angefangen, alles zu malen, was ich in Theresienstadt gesehen habe."
Die kindlichen Dokumentationen sind heutzutage weltberühmt, denn die Bilder der Kinder von Theresianstadt waren vielfach das einzige Bildmaterial zum Alltagsleben im Konzentrationslager. Helga Weissova wurde drei Jahre später von Theresienstadt nach Freiberg bei Dresden, in ein Außenlager von Flossenbürg, deportiert. Dort waren die Bedingungen aber so schrecklich, dass an Zeichnen nicht zu denken war, erinnert sich Weissova. Der Hans Simon-Pelanda erklärt:
"Flossenbürg hat eine herausragende Stellung, weil es eigentlich das erste Lager ist, wo die SS ganz bewusst wirtschaftliche Zwecke in den Vordergrund stellt. Man kann auch sagen, dass Flossenbürg das erste Lager der neuen Generation war. Dort ging es darum, die Häftlinge ökonomisch sinnvoll auszunutzen und sie in ihrer Arbeitskraft auszuschöpfen, bis sie durch die schlechte Ernährung, durch Erschöpfung und durch die harte Arbeit wertlos werden. Erst wenn sie der Arbeitskraft immer mehr ausfallen, dann werden sie der Vernichtung preisgegeben. Man sagt, dass es ein Lager war, wo die SS erprobt hat, was das heißt: Vernichtung durch Arbeit."
Etwa 20.000 Menschen waren in Flossenbürg interniert, davon nur etwa drei- bis viertausend im Hauptlager. Die meisten Häftlinge arbeiteten in den 130 Außenlagern, wovon etwa ein Drittel in Böhmen lag. Ursprünglich war Flossenbürg als Lager für kriminelle Deutsche, für die Insassen der normalen Zuchthäuser eingerichtet worden. Dann aber kamen immer mehr politische Häftlinge dazu. Traurige Berühmtheit erlange das KZ durch die Ermordung des Kreisauer Widerstandskreises um Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und General Hans Oster knappe zwei Wochen vor der Befreiung durch die amerikanischen Truppen. Im Laufe der Jahre wurde das Arbeitslager aber auch immer häufiger zum Bestimmungsort ausländischer Gefangener, aus Russland, Polen, Belgien, aus Frankreich, Ungarn. Und vor allem auch aus Tschechien. Simon-Pelanda erklärt:
"Man kann sogar sagen, dass in manchen Bereichen, etwa was die Ehrenhäftlinge - man muss brutalerweise wohl sagen: die Geiseln - betrifft, Flossenbürg fast schon ein tschechisches Lager war. Das heißt, wenn schnell jemand untergebracht werden musste, dann war Flossenbürg das nächste Ziel. Deswegen gab es eine beträchtliche Anzahl an tschechischen Gefangenen."
Helga Weissova wurde 1944 nach Auschwitz weiterdeportiert. Sie hat auch diese Hölle überlebt. Nach dem Krieg nahm sie ihre künstlerische Tätigkeit wieder auf. Sie malte, was sie in den Konzentrationslagern gesehen hatte - sozusagen als Hommage an diejenigen, die das Konzentrationslager nicht überlebt haben:
"Warum gerade ich? Diese Frage hat sich jeder gestellt, der zurückgekehrt ist. Man sucht verzweifelt nach Antworten. Ich habe mir gesagt, irgendjemand musste es überleben, damit er über das Leben im Konzentrationslager Zeugnis geben kann. Vermutlich ist diese Wahl auf mich gefallen, weil ich diese künstlerische Begabung habe. Deshalb informiere ich jetzt über diese Zeit wo immer ich kann. Ich verstehe das als eine Pflicht gegenüber den Verstorbenen, als eine Art Berufung."In ihren Bildern und auch mit Gesprächen versucht sie, vor allem Jugendlichen den Holocaust zu erklären indem sie einfach schildert, was sie erlebt hat. Sie will verhindern, dass so etwas jemals wieder passieren kann. Die jungen Deutschen, so Weissovas Erfahrung, nehmen das deutsche schwierige Erbe durchaus an:
"Die Deutschen verstehen und sehen den Holocaust ganz anders. Wenn wir gemeinsam darüber sprechen, dann sind wir die Opfer und sie die Täter. Ich treffe in den Diskussionen vor allem Schüler und Studenten und es ist interessant, dass diese dritte Generation sich schuldig fühlt. Ich muss ihnen immer am Anfang sagen, dass sie nicht für die Vergangenheit schuldig, sondern vielmehr für die Zukunft verantwortlich sind. Um der Zukunft wegen muss man die Vergangenheit kennen. Manche Jugendliche sind traurig, weinen und wollen sich bei mir entschuldigen. Also diejenigen, die doch eigentlich unschuldig sind, tragen die Schuld ihrer Vorfahren."