„In der ČSSR wurde im Design mehr gewagt“ – Leipziger Start-up verkauft Vintage-Möbel aus Tschechien
Mid-Century-Möbel, so heißen die Designklassiker aus den 1950er und 1960er Jahren. Sie sind gerade gefragt wie nie. Im Kommen ist dabei auch Vintage-Mobiliar aus der ehemaligen Tschechoslowakei. Die Gründer der Firma „Nabyteque“ haben diesen Trend erkannt und vertreiben in Leipzig aufbereitete Schränke, Tische, Sessel und Sofas aus Tschechien. Radio Prag International hat sich die Werkstatt und den Showroom der Start-up-Unternehmer angeschaut.
Die Idee kam Björn Hinrichsen und Christopher Sullivan beim Bier. Die beiden Wahlleipziger stellten fest, dass sie ein gemeinsames Interesse an alten Möbeln aus der Tschechoslowakei teilen. Und so entstand der Plan, historisches Mobiliar aufzukaufen, zu restaurieren und in den Umlauf zu bringen. Vor sechs Jahren haben Hinrichsen und Sullivan „Nabyteque“ gegründet. Der Name der Firma ist dabei ein Kunstwort, das das tschechische Wort für Möbel, „nábytek“, aufgreift.
Seinen Sitz hat das junge Unternehmen in einem Hinterhof im Leipziger Stadtteil Plagwitz. Dort läuft aus einem kleinen Lautsprecher entspannende Musik, die nur ab und an vom Lärm der Tischkreissäge übertönt wird.
Björn Hinrichsen führt durch das Reich der beiden Möbelliebhaber. Er zeigt die Werkstatt, in der zwei Mitarbeiter gerade eine Schranktür bearbeiten, und das Lager, in dem Tische, Kommoden und Sessel scheinbar wild durcheinander in hohe Regale geschlichtet wurden. Zudem führt er in den Showroom. Dieser große, gut ausgeleuchtete Raum sieht aufgeräumter aus als der Rest des Betriebs. Und auch die Möbel glänzen hier mehr, sie wurden nämlich bereits restauriert.
Doch im Ladenbereich gibt es nicht nur Möbel zu sehen. Auch diverse Einrichtungsaccessoires lassen das Herz von Vintage-Liebhabern höherschlagen. Hinrichsen outet sich als ein solcher, als er eine wuchtige Vase in die Hand nimmt…
„Wir sind Sammler von tschechischem Pressglas. Im Stil dieses Stückes hat Jiří Zeman eine komplette Serie für Sklo Union entworfen“, sagt der Gründer.
Die Vase und auch der Aschenbecher, der neben ihr steht, sind mit dem Logo der tschechoslowakischen Fluggesellschaft versehen.
Nahe der Kommode, auf der die beiden Glaselemente ausgestellt sind, befindet sich eine kleine Sitzecke, in der das Interview stattfinden soll. Einer der Sessel hat gebogene Holzarmlehnen – und man sitzt in ihm relativ bequem. Christopher Sullivan erzählt die Geschichte des Möbelstücks:
„Das ist ein Sessel aus den frühen 1960er Jahren. Er entstand aus einer Kooperation der Firmen Jitona und Ton. Der Entwurf stammt von Jaroslav Šmídek, einem Architekten und Gestalter.“
Wie bei vielen Möbeln von Nabyteque können Interessenten das Stück direkt an ihre Bedürfnisse anpassen lassen. So lässt sich anstatt des babyblauen Samtbezugs auch ein anderer Stoff wählen, zudem kann das massive Buchenholz in unterschiedlichen Farbtönen gebeizt werden.
Sullivan und sein Kollege kommen ins Schwärmen, wenn man mit ihnen über die Möbel aus der damaligen Tschechoslowakei spricht. Für Hinrichsen heben sich diese Einrichtungsgegenstände in entscheidenden Aspekten von denen aus der DDR ab:
„Man hat im Design viel mehr gewagt. Zudem gibt es eine unerschöpfliche Vielfalt an Modellen. Bei den DDR-Möbeln sind mittlerweile alle Stücke bekannt. Nach Tschechien hingegen fahren wir mittlerweile schon seit sechs Jahren, und dennoch finden wir dort immer noch neue Sachen, auf die wir bis dato auch in keiner Literatur gestoßen sind.“
„Die Möbel von damals sind eine Wundertüte“
Mit der Literatur meint Hinrichsen unter anderem die Zeitschrift „Domov“ (Zuhause). Man habe fast alle Ausgaben des Magazins für Heimeinrichtung aus den 1950er und 1960er Jahren beschafft, um sich über die Möbel der Zeit weiterzubilden, so der Firmengründer.
„Aber selbst in dieser Zeitschrift ist nicht alles dokumentiert. Deswegen sind die Möbel dieser Zeit oftmals noch immer eine Wundertüte“, ergänzt er.
Für Sullivan zeichnen sich die Möbel aus dem ehemaligen Ostblock-Staat zudem nicht nur durch ihr schnörkelloses, schlichtes Design aus. Die meisten der Stücke seien auch unfassbar praktisch, findet er:
„Bei den Ausklappmechanismen von Tischen und Sofas müssen wir mitunter fünf bis zehn Minuten herumprobieren, ehe wir die Konstruktion verstanden haben. Diese Funktionsweisen sind sehr ausgeklügelt, und so etwas sieht man bei vergleichbaren DDR-Produkten überhaupt nicht.“
Die tschechoslowakischen Möbel wiesen dabei deutliche Parallelen zu Designobjekten aus Italien und Skandinavien auf, meint Sullivan.
In Tschechien fliegen die kultigen Möbel oft auf den Schrott
Als die Gründer vor sechs Jahren ihr Start-up ins Leben gerufen haben, war keiner der beiden ein ausgebildeter Schreiner. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Sullivan erläutert, wie sie dennoch zu Fachleuten auf dem Gebiet der Möbelrestaurierung geworden sind:
„Wir haben uns die Aufarbeitungstechniken teilweise von einem Tischler erklären lassen, der inzwischen in Rente gegangen ist. Wir haben aber auch Eigenrecherche betrieben, vieles war Learning by doing. Das war ein mühseliger Weg. Aber seit ein paar Jahren sind wir an einem Punkt, an dem sich unsere Produkte sehen lassen können und wir unseren Ansprüchen gerecht werden.“
Während die Schränke, Lampen und Tische aus der Tschechoslowakei in Deutschland und anderen Ländern mittlerweile als Retro-Schick gefragt sind, landen sie in Tschechien oft auf dem Schrott. Wenn bei einem Sofa etwa die Polster durchgesessen seien, fliege oft die gesamte Couch weg, klagt Hinrichsen. Er betrachtet die Rettung der tschechoslowakischen Designklassiker deshalb auch als einen Wettlauf gegen die Zeit.
Für die Beschaffung der Möbel sind die beiden Design-Fanatiker des Öfteren mit Zwischenhändlern in Kontakt, die sie über interessante Fundstücke informieren. Vieles stamme aber auch von Privatleuten, sagt Sullivan. Dafür sei man viel im Internet unterwegs, um interessante Inserate zu finden. Zudem habe man Annoncen geschaltet und sei auch analog auf die Suche gegangen:
„Einmal haben wir mehrere Tausend Postkarten anfertigen lassen. Bei unseren Abholungen in Tschechien haben wir sie in die Briefkästen der ‚paneláky‘, also der Plattenbauten, geworfen.“
Wie Sullivan ergänzt, hatte diese Methode tatsächlich Erfolg, und mehrere Anbieter meldeten sich. Seinen Aussagen zufolge macht ihm die Abholung der Möbel stets viel Freude, nicht nur wegen der aufregenden Roadtrips auf tschechischen Landstraßen, sondern auch wegen des Kontakts mit den Menschen, von denen die Fundstücke stammen:
„Das ist immer wieder spannend. Wir kommen in diese fremden Haushalte hinein, treiben uns dort in den Kellern herum oder auf den Dachböden. Mitunter ziehen die Menschen spontan noch eine alte Lampe unter dem Bett hervor. Wenn so etwas passiert, bekomme ich jedes Mal Gänsehaut. Das ist einfach ein schöner Aspekt unserer Arbeit.“
Die Zielgruppe reicht vom Studenten bis zum Großunternehmer
So bezaubernd die Produkte von Nabyteque auch aussehen, sie sind leider nicht ganz billig. Für den eingangs erwähnten, aufbereiteten, babyblauen Armlehnsessel werden 500 Euro fällig. Eine tschechoslowakische Deckenlampe kostet schnell einmal über 200 Euro. Im Sortiment befinden sich zudem auch zahlreiche Möbel aus der DDR, etwa von den Deutschen Werkstätten Hellerau. Wer zum Beispiel an einem Schreibtisch der gefragten Serie 602 interessiert ist, muss stolze 2000 Euro berappen.
Christopher Sullivan ist jedoch bemüht, diese Preise zu rechtfertigen:
„Bis das Möbelstück bei uns im Showroom steht oder die Anzeige online gestellt wurde, ist es durch so viele Hände gegangen. Es wurde aus einer Wohnung in Tschechien heruntergetragen – mitunter auch ohne Fahrstuhl aus dem zehnten Stock in einem engen Treppenhaus. Dann wurde das Produkt 400 Kilometer weit hierher gefahren. Es wurde ins Lager einsortiert, vom alten Lack befreit, geschliffen, neu lackiert, wieder zusammengebaut, fotografiert, bis schließlich die Anzeige hochgeladen ist und das Möbel später ausgeliefert wird. Da hängen viele Leute und Arbeitsprozesse dran, und demnach berechnen sich diese Summen.“
Laut Björn Hinrichsen hat die Firma trotz der gesalzenen Preise keine Probleme, Abnehmer zu finden:
„Das geht vom Studenten bis zum Großunternehmer. Unsere Kunden haben oftmals ein tieferes Interesse an der Formsprache der Möbel und ihrer Geschichte. Es sind aber auch Menschen, die die Einrichtungsgegenstände einfach schön und trendy finden und auf die aktuelle Welle mit aufspringen. Diese Käufer wollen oftmals gar nicht wissen, was hinter diesen Möbeln steckt. Beide Interessensgruppen halten sich ungefähr die Waage. Es kommen schon auch viele Kunden, die Nerds sind wie wir, und mit denen man sich stundenlang austauschen kann.“
Zu Katzenklo oder Plattenschrank umfunktionierter Designklassiker
Zu den Lieblingsmöbelstücken von Hinrichsen und Sullivan zählen unter anderem die modularen Schrankwände von Tatra nábytok oder die bunten Sideboards von Jiří Jiroutek. Bei den Kunden sorgten mitunter aber auch unscheinbarere Produkte für Aufsehen, so Hinrichsen. Er schildert dies im Showroom an einer länglichen, leeren Truhe auf Beinen, die mit Lüftungsschlitzen versehen ist.
„Viele Leute, die das erste Mal hier sind, fragen uns, wofür dieses Möbel da ist. Wir erklären dann, dass es sich um einen sogenannten ‚peřiňák‘ handelt. Diese Wäschetruhe war in den 1950er und 1960er Jahren Teil fast jeden Wohnzimmermöbelprogramms. Die Truhe diente zum Verstauen der Bettwäsche, die tagsüber aufgrund des multifunktionalen, ausklappbaren Schlafsofas nicht gebraucht wurde. Mittlerweile ist dieses Möbelstück hier in der Gegend wieder richtig populär geworden. Und wir führen es in mannigfaltigen Formaten: von klein bis groß, von hoch bis tief.“
Die beiden Möbelhändler sind ihren Worten zufolge jedoch überrascht davon gewesen, für welche Zwecke ihre Kunden den ‚peřiňák‘ verwenden…
„Ein Kunde hat daraus ein Katzenklo gemacht“, schmunzelt Christopher Sullivan. Und Björn Hinrichsen ergänzt weitere Verwendungsmöglichkeiten:
„Der ‚peřiňák‘ wurde zur Hausbar umfunktioniert oder als Plattenschrank verwendet. Ein weiterer Kunde hat ihn für seine Dreckwäsche verwendet. Es gibt schon so einige innovative Zweckentfremdungen dieses Möbelstücks.“
In Zukunft wollen die beiden Unternehmer übrigens nicht nur gebrauchte und aufbereitete Möbel anbieten. Schon bald soll nämlich auch ein eigenes Sofa auf den Markt gebracht werden. So ganz neu ist der Entwurf dabei aber nicht, denn er beruht auf einem Modell des tschechoslowakischen Staatsbetriebs Interiér Praha aus den 1960er Jahren.