Industrialisierte Bugholz-Fertigung: Michael Thonet und die Firma TON
Seit über 160 Jahren werden in Bystřice pod Hostýnem / Bistritz am Hostein im südlichen Mähren Holzstühle gefertigt: Denn der Pionier des Möbeldesigns Michael Thonet baute an diesem Ort eine seiner ersten Fabriken. Später wurde daraus die Firma TON, die bis heute eine führende Stellung für Bugholz-Fertigung in Europa hat.
Auch ein Hammer kommt zum Einsatz, wenn das Holz so gebogen wird, dass daraus ein Stuhl entstehen kann. Mehrere Arbeitsschritte führen zum vollständigen Möbelstück. Bei der Firma TON, die sich auf Möbeldesign-Pionier Michael Thonet beruft, beginnt das bei den Kanthölzern. Laut Unternehmenssprecherin Anna Handlová hat der europäische Marktführer rund 300 Typen gelagert:
„Unsere Kanthölzer kommen vor allem aus Tschechien und der Slowakei. Seit 2018 sind sie mit dem PEFC-Siegel zertifiziert. Das bedeutet, dass sie aus nachhaltiger Waldwirtschaft stammen. Kanthölzer sind in eine bestimmte Form geschnitten und auf Länge gebracht. Das beginnt bei rund einem halben Meter und geht bis zu drei Metern. Insgesamt nutzen wir vier Baumarten. Am häufigsten ist dies Buchenholz, das sich am besten für die manuelle Biegung eignet. Weiter sind dies Eiche, Amerikanische Kastanie und Esche“, so Handlová in einer Reportage für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.
Die Kanthölzer werden bearbeitet, und es folgt der Prozess der Biegung. Dafür muss das Material zunächst in speziellen Aufdampf-Vorrichtungen erhitzt werden. Erst dann wird es geschmeidig. Über diesen Vorgang wacht Pavel Hlava:
„Wir erhitzen das Holz und geben ihm dabei eine gewisse Feuchte. Dadurch wird das sogenannte Lignin weich, und das Holz lässt sich biegen.“
Gebogen werden die Hölzer in speziellen Passformen. Dann folgt die Beize, bevor aus den einzelnen Stücken die Möbel entstehen. Anschließend wird noch lackiert, eventuell geölt, Stühle und Sessel werden gepolstert. Und zum Schluss folgt der Testprozess. Um die Langlebigkeit der Möbel rankt sich auch eine Erzählung. So soll einer der Thonet-Stühle während der Weltausstellung in Paris im Jahr 1889 aus 57 Meter Höhe vom Eiffelturm gefallen sein – und angeblich blieb er heil. Dies soll sich bei der Einrichtung des Turm-Restaurants zugetragen haben.
Die wirkliche Materialprüfung erfolgt aber natürlich anders. Sie ist heutzutage standardisiert, wie Firmensprecherin Handlová erläutert:
„Dafür haben wir eine spezielle Maschine, die das Sitzen, das Anlehnen und das Abstützen simuliert. Dies umfasst rund eine halbe Million Zyklen. Aber wir machen auch noch zusätzliche Tests, bei denen die Kollegen die Stühle unterschiedlich umherwerfen. So ein Stuhl von uns ist ein echtes Qualitätsprodukt, und wir geben fünf Jahre Garantie auf ihn.“
Aus Boppard über Wien nach Mähren
Die Anfänge der Firma TON liegen aber schon fast zwei Jahrhunderte zurück. Und zwar im Städtchen Boppard am Mittelrhein. In den 1830er Jahren begann der Kunsttischler Michael Thonet dort, aus verleimten und gebogenen Holzstücken Möbel herzustellen. Entscheidend wurde die Gewerbeausstellung in Koblenz 1841. Bei dieser lernte er den österreichischen Staatskanzler Fürst Klemens von Metternich kennen. Der Politiker gab ihm den Rat, sein Glück in Wien zu suchen.
„Thonet zog also aufgrund der Begegnung mit Metternich nach Wien. Die Stadt war ihm aber nach ein paar Jahren schon zu klein, denn er wollte eine eigene Fabrik aufbauen. Dafür fand er einen Ort möglichst nah an Buchenwäldern, das war Koryčany. Kurz drauf folgte der Betrieb in Bystřice pod Hostýnem und später jener in der Slowakei. Insgesamt eröffnete Thonet sechs Fertigungsstätten. Die letzte war jene in Frankenberg in Nordhessen“, so schildert es Jiří Uhlíř, der wichtigste tschechische Experte für die Geschichte der Firma.
Das Besondere war, dass Michael Thonet die Bugholz-Fertigung zur Serienproduktion machte. Gerade in Bystřice pod Hostýnem stand die größte seiner Fabriken. Sie wurde zum Entwicklungszentrum der gesamten Firma Gebrüder Thonet und lieferte ihre Produkte in die ganze Welt. Schon 1860 entwarf der Firmengründer seinen Stuhl Nr. 14, der seinen Weltruhm begründete. Dieses Produkt wurde zu DEM Wiener Kaffeehausmöbelstück überhaupt…
„Der Stuhl Nr. 14 war das erste Modell, das für die Serienfertigung in einer Fabrik projektiert wurde. Er zeichnete sich durch außergewöhnliche Eigenschaften aus, was das Gewicht, die Beständigkeit und auch die schlichte Ästhetik betraf. Damit entstand ein zeitloses Design, und die Stühle werden bis heute hergestellt. Dass sogar Le Corbusier dann in der Zwischenkriegszeit dieses Möbelstück in seinen Innenräumen arrangierte, ist wenig erstaunlich“, erläutert Uhlíř.
Der Erfolg dieses „Stuhls der Stühle" basiert bis heute auf seinem einfachen Aufbau: Er besteht aus sechs Bauteilen, zehn Schrauben und zwei Muttern. Dass er sich problemlos zerlegen und verschicken ließ, machte ihn für seine Zeit einzigartig. Heute gilt der Stuhl Nr. 14 als eines der weltweit erfolgreichsten Industrieprodukte überhaupt.
Um das Jahr 1900 begann die Firma, verstärkt mit externen Designern zusammenzuarbeiten. So entstanden nicht nur Möbel für die Mittelschicht, sondern auch Luxusstücke. Eine ganze Reihe bedeutender Künstler hatte eine besondere Beziehung zu den Stühlen von Thonet, sodass sich zum Beispiel Pablo Picasso oder Salvador Dalí mit ihnen fotografieren ließen. Und auch in Filmkulissen tauchten sie auf, nicht zuletzt bei Charlie Chaplin oder bei Stan Laurel und Oliver Hardy alias „Dick und Doof“.
1925 fusionierte die ursprüngliche Firma mit zwei Konkurrenten zur Aktiengesellschaft Thonet – Mundus. Ab 1930 griff das Unternehmen einen neuen Trend auf und prägte ihn mit: die Fertigung von Möbeln aus Stahlrohr.
Ost und West
Ein Bruch war der Zweite Weltkrieg und die Verstaatlichung des Unternehmens im Jahr 1945. Im Westen führte Urenkel Georg Thonet die Familientradition weiter und baute die kriegszerstörte Fabrik in Frankenberg wieder auf. So entstand die Thonet GmbH.
In Mähren wiederum erhielt das Unternehmen 1953 den heutigen Name TON. Dies ist ein Akronym für das tschechische „Továrny na ohýbaný nábytek“, zu Deutsch „Fabriken für Bugholzmöbel“. Beide Firmen stritten sich nach der politischen Wende in der Tschechoslowakei von 1989 um die Rechte am Namen Thonet. Dieser blieb letztlich in Frankenberg. Doch die Patentrechte hatte der Firmengründer bereits zu Lebzeiten abgeben müssen. Daher sieht sich auch das Unternehmen in Bystřice pod Hostýnem in seiner Tradition. Und man fertigt bis heute vor allem Bugholzmöbel, wohingegen in Deutschland eher Stahlrohr mit Holz kombiniert wird. Pressesprecherin Anna Handlová zur aktuellen Produktpalette bei TON:
„Das sind natürlich zum einen die klassischen Stühle aus gebogenem Holz. Doch die Firma bemüht sich inzwischen, das Handwerk des Holzbiegens mit neuem Design zu verbinden. So stehen wir hier gerade vor unserem Sessel Split. Er ist ein Spezialprodukt, das allein TON weltweit herzustellen vermag. Die Sesselbeine sind alle per Hand in eine andere Richtung gebogen. Unsere Techniker haben mehrere Jahre lang daran getüftelt. Neben Stühlen und Sesseln stellen wir aber auch Bänke und Kleiderständer her. Unser vielleicht interessantestes weiteres Produkt sind Holzschlitten.“
Heutzutage beschäftigt die Firma in Mähren über 600 Menschen. Sie hat Tochtergesellschaften in Deutschland, Österreich, der Slowakei, Polen, Großbritannien und Italien. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei über 700 Millionen Kronen (28,6 Millionen Euro) und der Reingewinn bei 42,6 Millionen Kronen (1,7 Millionen Euro).