„Der Draht ist gut“ – Botschafter von Loringhoven über deutsch-tschechische Beziehungen

Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven (Foto: Archiv der deutschen Botschaft in Prag)

In Europa ächzt es derzeit im Gebälk. Die Briten entscheiden darüber, ob sie in der EU bleiben wollen. Und bis vor kurzem wurde teils in scharfen Worten über die Flüchtlingspolitik gestritten – auch zwischen Tschechien und Deutschland. Der deutsche Botschafter in Prag, Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven, verfolgt die Debatte intensiv. Im Interview für Radio Prag spricht er über diese Herausforderungen, aber auch über den Deutschunterricht in Tschechien und über den Tag der offenen Tür an der Botschaft, der an diesem Donnerstag stattfindet.

Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven  (Foto: Archiv der deutschen Botschaft in Prag)
Herr Botschafter, über die deutsch-tschechischen Beziehungen wird in den letzten Wochen und Monaten debattiert. Es gibt Beobachter, die sagen, der Streit um die Flüchtlingspolitik belaste diese Beziehungen. Sie waren nun beim Besuch des tschechischen Außenminister Lubomír Zaorálek in Berlin und dem Treffen mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Welchen Eindruck vom Stand der Beziehungen haben Sie dort gewonnen?

„Es hat im vergangenen Jahr eine Meinungsverschiedenheit über die Flüchtlingspolitik gegeben. Es ging insbesondere über die Frage der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union. Das war kein einfaches Thema, und es ist es auch bis heute nicht. Man kann aber sagen, dass die Beziehungen insgesamt nicht belastet worden sind. Sie sind – gerade im Vergleich mit der Lage vor zehn oder vor allem vor zwanzig Jahren – auf einem sehr hohen Stand. Ein unglaublich dichtes Beziehungsgeflecht besteht und viel Vertrauen zwischen beiden Seiten – das bezieht sich auf die Politik, die Wirtschaft und ebenso auf die Kultur. Und gerade bei dem Gespräch der Außenminister in der letzten Woche hat sich gezeigt, wie gut der Draht ist. Wir haben da unter anderem auch über die Flüchtlingspolitik gesprochen, aber sehr viel mehr eigentlich noch über andere Themen. Im Moment steht besonders die Frage des Referendums in Großbritannien auf der Agenda und welche Auswirkungen das nicht nur auf das Vereinigte Königreich, sondern auf die ganze Union haben könnte.“

„Es gibt viele Aspekte der Flüchtlingspolitik, die nicht kontrovers sind zwischen Deutschland und Tschechien.“

Sie haben gesagt, dass es vergangenes Jahr bestimmte Meinungsverschiedenheiten gegeben hat. Wie stark bestimmt die Diskussion über die Flüchtlingspolitik derzeit deutsch-tschechische Treffen auf politischer Ebene – aber auch die weiteren Foren für eine grenzüberschreitende Verständigung?

„Zunächst einmal: Die Flüchtlingspolitik ist eine hoch komplexe Frage. Und die ganze Debatte hat sich fokussiert auf das eine Thema, bei dem wir nicht gleicher Meinung sind, nämlich die sogenannte relocation oder die Verteilung der Flüchtlinge beziehungsweise die Quotenentscheidung in Brüssel. Es gibt aber auch viele andere Aspekte der Flüchtlingspolitik, die überhaupt nicht kontrovers sind zwischen Deutschland und Tschechien! Angefangen damit, dass Tschechien, genau wie wir, die Herausforderung durch die Flüchtlingswelle als europäische Frage sieht. Das ist ein sehr wichtiger Grundsatz. Und bei vielen Fragen, wie etwa der Seenotrettung, dem Kampf gegen Schlepperbanden, der Grenzsicherung, dem EU-Türkei-Abkommen und vor allem der verstärkten Bekämpfung von Flüchtlingsursachen sind wir weitgehend einer Meinung. Das Thema Flüchtlingspolitik steht also durchaus auf der Tagesordnung. Sehr wichtig ist auch der Migrationsdialog zwischen Deutschland und Tschechien, eine Initiative übrigens der tschechischen Seite, die Anfang dieses Jahres begonnen wurde. Wir haben inzwischen mehrere Runden dieses hochrangigen Migrationsdialogs absolviert, immer auf der Ebene von Vladimír Špidla, dem Chefberater von Ministerpräsident Bohuslav Sobotka. Da geht es ganz konkret vor allem um die Frage, wie man Flüchtlinge optimal in ein Land integriert. Aber auch beim Deutsch-Tschechischen Gesprächsforum spielt das Thema eine Rolle und bei vielen weiteren politischen Kontakten. Aber, wie gesagt, es ist beileibe nicht das einzige Thema.“

Welche weitere Themen halten Sie aktuell denn noch für wichtig im deutsch-tschechischen Dialog? Sie haben zwar den möglichen Brexit erwähnt, aber meine Frage zielt genuin auf Themen zwischen beiden Ländern…

„Der Brexit wäre eine dramatische Erschütterung für das Europa, wie wir es kennen.“

„Da muss ich Sie korrigieren. Ich habe bewusst nicht vom Brexit gesprochen, sondern vom britischen Referendum, weil ich wirklich nicht hoffe, dass es zum Brexit kommt. Aber das Ergebnis ist ja absolut offen, wie die Meinungsumfragen in den letzten Tagen gezeigt haben. Für uns alle verbindet sich damit eine enorme Sorge. Es wäre eine ganz dramatische Erschütterung für das Europa, so wie wir es kennen, wenn das erste Mal ein Land austreten würde. Man weiß einfach überhaupt nicht, wie sich andere Länder darauf einlassen würden. Das Thema spielt in diesen Tagen, denke ich, die allerwichtigste Rolle, und das – wie gesagt – mit Blick auf die EU als Ganzes. Ich möchte aber noch zwei andere Themenkomplexe nennen: Wirtschaft und Kultur. Deutschland hat ja einen sehr engen wirtschaftlichen Austausch mit Tschechien, über 4000 deutsche Unternehmen sind hier auf dem Markt. Derzeit geht es besonders um die Industrie 4.0, also die Digitalisierung der herkömmlichen Industrieproduktion. Für diese Initiative interessiert sich Tschechien enorm und will mit uns zusammenarbeiten. Zudem ist der Fachkräftemangel für die tschechische Wirtschaft fast schon zum größten Problem geworden, so sehen es zumindest die deutschen Unternehmen.“

Gerhard Richter  (Foto: Hans Peter Schaefer,  CC BY-SA 3.0)
Und im kulturellen Bereich?

„Wir werden im kommenden Jahr drei Monate lang einen deutsch-tschechischen Kulturfrühling veranstalten. In Prag wird es unter anderem eine – so denke ich – ganz großartige Ausstellung von Gerhard Richter geben. Es handelt sich um die erste Ausstellung von diesem sehr bedeutenden deutschen lebenden Künstler in Mittel- und Osteuropa. Wir wollen aber auch einen starken Fokus auf die Regionen in Tschechien legen und in mindestens zehn regionalen Metropolen mehrtägige deutsch-tschechische Begegnungen veranstalten. Mit Kultur natürlich, aber auch weit darüber hinaus. Nächstes Jahr wird ja die Deutsch-Tschechische Erklärung, also das grundlegende Versöhnungsdokument für beide Seiten, 20 Jahre alt. Das bietet einen Anlass, um in vielerlei Hinsicht Bilanz zu ziehen.“

Vor fünf Jahren haben Deutschland und Österreich hier in Tschechien die Kampagne Šprechtíme gestartet. Sie soll auf die Vorteile aufmerksam machen, die das Beherrschen der deutschen Sprache bietet. Sie haben auch Prominenz als Zugpferde gewinnen können, so werben unter anderem die Sängerin Marta Jandová und der Handballspieler Filip Jícha für das Deutschlernen. Wie ist die Bilanz, zeigen sich Erfolge?

Karel Gott  (Foto: David Sedlecký,  CC BY-SA 4.0)
„Es gibt seit zwei Jahren eine Trendwende, das ist sehr erfreulich. Nachdem über zwanzig Jahre lang in Tschechien die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die Deutsch lernen, rückläufig war, geht es jetzt wieder in eine positive Richtung. Nach den neuesten Zahlen des Bildungsministeriums lernen heute etwa 360.000 Schülerinnen und Schüler hierzulande die deutsche Sprache. Das sind über 15 Prozent mehr als vor zwei Jahren. Dafür ist sicher die Einführung der zweiten Wahlpflichtsprache an Grundschulen wichtig gewesen. Aber ich denke, auch unsere Kampagne war dafür sehr nützlich. Sie haben prominente Befürworter erwähnt, ich kann auch noch Karel Schwarzenberg und Karel Gott nennen. Wir als deutsche Botschaft, das Goethe-Institut und die entsprechenden österreichischen Institutionen bemühen uns, soweit wir können, diese Kampagne zu unterstützen. Bei jedem meiner Besuche in einer regionalen Hauptstadt arrangiere ich beispielsweise Mittagessen mit Direktorinnen und Direktoren von Grundschulen und werbe für diese Kampagne. Es gibt jedes Jahr in vielen Städten öffentliche Aktionstage. Und wir haben auch eine informative Webseite, www.sprechtime.cz. Gerade ist zudem eine Broschüre zu dem Thema neu erschienen. Und wir haben eine Reihe von Animations-Kurzfilmen entwickelt, die jetzt ins Fernsehen kommen. Und eine App, in der das alles zusammengefasst ist, steht kurz vor der Veröffentlichung.“

Deutsche Botschaft in Prag  (Foto: CzechTourism)
Werbung für die deutsche Sprache ist natürlich auch der Tag der offenen Tür in der Botschaft, zu dem Sie am Donnerstag, 23. Juni, laden. Der Vormittag ist dabei Schulklassen vorbehalten, am Nachmittag kann jedermann kommen, und es besteht ein dichtes Programm. Zudem präsentieren sich rund 30 Organisationen, die im tschechisch-deutschen Umfeld tätig sind. Radio Prag ist auch dabei. Vielleicht können Sie auf ein paar Highlights im Programm hinweisen beziehungsweise auf die Schwerpunkte…

„Beim Tag der offenen Tür wollen wir ein möglichst breites Publikum ansprechen.“

„Wir haben in der Tat diesmal ein sehr breites Programm. Wir haben nicht einen einzigen Schwerpunkt gesetzt, sondern viele, weil wir ein möglichst breites Publikum ansprechen wollen. Es wird zum Beispiel Jens Hase dabei sein, einer der DDR-Botschaftsflüchtlinge von 1989, der erzählen kann, was er damals erlebt hat. Wir werden natürlich Führungen durch das Palais Lobkowicz anbieten, also durch das Botschaftsgebäude. Dabei geht es um das Schicksal der DDR-Flüchtlinge, aber auch um die Vorgeschichte. Erfahrungsgemäß interessiert das sehr viele Botschaftsbesucher. Zudem sind wir ja in der EM-Phase, für die Kinder wird es daher Fußballspiele geben. Wir veranstalten außerdem eine Podiumsdiskussion über den Stand der deutsch-tschechischen Beziehungen. Und auch Schriftsteller aus beiden Ländern werden miteinander ein Bühnengespräch führen, so wie vieles anderes mehr. Ich selbst freue mich nicht zuletzt deswegen auf den Tag der offenen Tür, weil ich am Abend mit der Gitarre auftreten werde. Wir haben meine Lieblingsband aus Prag hier, die Agharta-Band, und da werde ich mitspielen. Darauf freue ich mich ganz persönlich am meisten.“