Der gelungene Spaziergang von Milos Forman

Gut bezahlter Spaziergang (Foto: Irena Vodakova)

Es war ein mit Neugier und Spannung erwartetes Kulturereignis der Saison: Die Neuinszenierung der einst populären Jazzoper "Ein gut bezahlter Spaziergang". Den Auftrag des Prager Nationaltheaters hat der Oscar-Filmregisseur Milos Forman angenommen. An der Inszenierung arbeitete er mit seinen Zwillingssöhnen Petr und Matej zusammen. Am vergangenen Sonntag erlebte die Neuinszenierung im Nationaltheater ihre Premiere.

Milos Forman mit seinen Söhnen Petr  (links) und Matej  (rechts)  (Foto: CTK)
Gleich beim ersten Blick auf die Bühne gab es beim Zuschauer keine Zweifel mehr: Die soeben beginnende Geschichte spielt in den sechziger Jahren. In einer Ecke ein enges Badezimmer, in der anderen ein nicht viel geräumigeres Schlafzimmer. Dazwischen viel Leerraum, der erst später gefüllt werden soll. Die Möbel, die riesigen Vorhänge mit Schwarzweißmustern, die die Bühne variabel machen, sowie alle Kostüme und auch die Frisuren unterstreichen die Atmosphäre der "Sixties". Es war die Zeit, in der es an Wohnungen mangelte, und viele Menschen in geteilten Wohnungen lebten. Uli und Vanilka, ein junges Ehepaar, wohnen im Badezimmer und lassen sich gerade scheiden. Der Briefträger bringt ihnen ein Telegramm mit der Nachricht, dass eine reiche Tante aus Liverpool ihrem Kind, das jedoch noch gar nicht existiert, eine Million Pfund schenkt. Die beiden fast geschiedenen jungen Leute fangen an zu spekulieren. Neben dem Briefträger, der gute Nachrichten überbringt, wird das Schicksal des Ehepaars noch von weiteren Personen beeinflusst.

Die Handlung der Jazz-Oper "Ein gut bezahlter Spaziergang" ist wenig realistisch, ähnlich wie bei anderen Stücken, die Jiri Slitr und Jiri Suchy für ihr Theater Semafor geschrieben haben. Alles ist stilisiert, die ganze Geschichte ist recht bizarr. Der Briefträger beeinflusst die Handlung mit seinen Telegrammen: Die reiche Tante ist einmal am Leben, ein anderes Mal ist sie tot. Die Buffooper, wie das Musikwerk einst von den beiden Autoren bezeichnet wurde, entstand 1965. Ein Jahr später machte Filmregisseur Milos Forman aus der Oper einen Fernsehfilm. In diesem Jahr ist der berühmte Filmemacher nach Prag gekommen, um das Stück im Nationaltheater in Zusammenarbeit mit seinen Zwillingssöhnen Petr und Matej zu inszenieren. Petr beteiligte sich an der Regie und Matej entwarf das Bühnenbild. Der neue Theaterdirektor Ondrej Cerny sagte anlässlich der Neuinszenierung, es sei eine Ehre für das Nationaltheater, dass Familie Forman hier arbeitet. Milos Forman stimmte dem nicht zu:

Jiri Suchy  (Foto: CTK)
"Nicht für das Nationaltheater ist es eine Ehre, sondern für uns. Ich musste versuchen, diese Ehrfurcht ein wenig abzuschütteln, als ich an der Inszenierung arbeitete. Ich habe diese Ehrfurcht schon damals gefühlt, als ich mit etwa 17 Jahren etwa zweimal in der Woche ganz oben auf den Stehplätzen im Nationaltheater war. Deshalb ist es eine Ehre für mich und auch für die anderen, die schon gewöhnt sind, hier zu arbeiten, davon bin ich überzeugt."

Denn wie der Filmregisseur andeutet, war es für ihn im Unterschied zu seinen Söhnen der erste Auftrag für das Prager Nationaltheater. Es war auch seine erste Opernregie überhaupt. Forman meint, dass die Filmarbeit im Vergleich mit der Theaterregie viel einfacher ist: Im Theater werde, so der Regisseur, konzentriert geprobt, aber am nächsten Tag könne man oft wieder von vorne anfangen. Denn der eine habe etwas vergessen und der andere mache wieder Fehler. Der Filmemacher hat schon immer die Poetik von Semafor, das schon in den sechziger Jahren zur Kultbühne geworden ist, bewundert. Die Jazzoper findet er nach wie vor aktuell:

"Es ist vielleicht meine emotionalste Erinnerung an den Mist in der tschechischen Kultur der fünfziger Jahre, als hier der aus Moskau importierte sozialistische Realismus kopiert wurde. Auf einmal entstand das Theater Semafor, das eine Streicheleinheit für den Geist und die Seele war. Ich stehe dem sehr sentimental gegenüber und ich bin Herrn Suchy sehr dankbar dafür, dass er uns damals die Augen geöffnet hat. Ich denke, deshalb wird sich jeder für das Stück interessieren, aber da kann ich mich auch irren."

So sehr hat sich Milos Forman jedoch nicht geirrt, wenigstens wenn man die Reaktionen des Publikums bei den beiden Premieren der Inszenierung miterlebte. Mit langen Standing Ovations haben sich die Zuschauer bedankt. Dabei saßen im Nationaltheater bei weitem nicht nur diejenigen, die vor vierzig Jahren zu den Stammbesuchern von Semafor gehören konnten. Begeistert war das Publikum nicht nur von der Musik, sondern auch von den spielerischen Ideen des Inszenierungsteams. Es gab keinen leeren Moment, ständig konnte der Zuschauer auf der Bühne etwas sehen und entdecken. Bei der imposanten Anreise der vornehmen Tante füllte sich der Raum mit allen möglichen Utensilien, darunter war auch eine Drachenstatue, die als Zigarettenanzünder Feuer spuckte. Einmal erhob sich der Chor der geschiedenen Frauen aus den Zuschauerreihen, ein anderes Mal sang der Chor der Platzanweiserinnen aus den Logen.

Die einstige Kammeroper verwandelte sich in eine großartige Musikshow. Das Originalopus von 1965 wurde durch einige Chöre ergänzt. Auf Wunsch des Regisseurs wurden weitere Lieder aus einem anderen Semafor-Stück in die Oper integtriert. Die Instrumentalisierung oblag dem jungen tschechischen Komponisten Marko Ivanovic:

Marko Ivanovic  (Foto: CTK)
"Die Partitur ist während der Hochwasserkatastrophe verloren gegangen, die 2002 Prag und auch das Theater Semafor heimgesucht hat. Es sind nur noch der Klavierauszug und die Filmaufnahme erhalten geblieben. Beide unterschieden sich aber voneinander. Das Regieteam hat den Originaltext ein wenig bearbeitet und außerdem Lieder aus einem anderen Stück für die Vorstellung benutzt. Dies hat mich dazu gebracht, die Sache etwas freier aufzufassen. Ich habe mich aber bemüht, die Tatsache zu respektieren, dass es um eine Hommage an das Theater Semafor im Nationaltheater geht."

Das Orchester des Nationaltheaters leitet Libor Pesek. Der ehemalige langjährige Chefdirigent der Königlichen Philharmonie Liverpool ist mit Milos Forman Jahre lang befreundet:

"Diese Musik umfasst viele Genres: Vom Spiritual, über Ragtime, Swing bis zu einer Art Diskomusik. Ich meine, dass die Instrumentalisierung gut gelungen ist. Man darf aber nicht erwarten, dass es das ursprüngliche Semafor sein wird. Damals war es eine Kammervorstellung, und heute ist es gewissermaßen ein Großformat."

Jiri Suchy, dessen Liedertexte und Gedichte heute schon in den Lehrbüchern auftauchen, spielt in der Oper genau wie vor vierzig Jahren den Briefträger. Neben Schauspielern, die um zwei Generationen jünger sind, ist der lebende Klassiker nicht zu übersehen. Er erinnerte sich bei der Neuinszenierung an seinen Kollegen, den Komponisten Jiri Slitr, der 1969 gestorben ist.

"Es tut mir nur Leid, dass Jiri Slitr nicht dabei ist. Der hätte sich sehr gefreut. Denn er hatte den Ehrgeiz, den Gut bezahlten Spaziergang auf dem Broadway durchzusetzen. Dies ist ihm nicht gelungen, aber die Aufführung im Nationaltheater wäre eine Genugtuung, die er bestimmt begrüßt hätte."

Der "Gut bezahlte Spaziergang" wird im Nationaltheater mit englischen und deutschen Obertiteln aufgeführt, obwohl die Semafor-Texte sehr schwer zu übertragen sind. Sind die ausländischen Theaterbesucher imstande, diese Theaterpoetik zu verstehen? Milos Forman dazu:

"Für einen Ausländer, für jemand, der nicht tschechisch spricht, verliert die Vorstellung schon viel von seiner Wirkung. Denn es gibt Sachen, die nicht zu übersetzen sind. Die Poesie ist das einzige, was ich bis heute nur auf Tschechisch lesen kann. Nicht einmal auf Englisch erlebe ich Poesie so wie auf Tschechisch. Deshalb haben wir uns darum bemüht, dass die Inszenierung stark visuell wirkt und interessant ist. Auf der kleinen Bühne von Semafor reicht der Text für den Abend aus. Aber hier haben wird versucht, dass es auch für diejenigen annehmbar ist, die die Poetik nicht verstehen können. Darunter können aber auch manche Tschechen sein."

Über den "Gut bezahlten Spaziergang" sprach in der heutigen Ausgabe des "Spaziergangs durch Prag" der namhafte Filmregisseur Milos Forman. Während seiner Filmkarriere wurde Milos Forman bereits zweimal mit dem Oscar für die beste Regie ausgezeichnet. Falls Sie den Namen wenigstens eines Forman-Filmes kennen, der mit dem Oscar für die beste Regie bedacht wurde, können Sie ihn uns schreiben. Denn so lautet die heutige Frage zur Sendung, für deren richtige Beantwortung Sie ein Buch über Prag gewinnen können. Ihre Zuschriften richten Sie bitte an Radio Prag, Vinohradska 12, PLZ 120 99 Prag 2.

In der Sendung vor einem Monat fragten wir Sie nach tschechischen Komponisten, die auf dem Nationalfriedhof auf dem Vysehrad bestattet wurden. Die bekanntesten Komponisten, die auf dem Vysehrad bestattet sind, sind Antonin Dvorak und Bedrich Smetana. Ein Buch geht an Michael Barth aus Bodenheim.