Der Klang im Bilde – die akustischen Zeichnungen von Milan Grygar

Foto: Miroslav Krupička

„Visuelles und Akustisches“ heißt eine Ausstellung, die noch bis April in der Städtischen Galerie in Prag zu sehen ist. Sie zeigt einen retrospektiven Ausschnitt aus dem Schaffen des tschechischen Künstlers Milan Grygar. Dieser beschäftigt sich in seinen Werken seit bereits fünf Jahrzehnten mit dem Verhältnis von Klang, Bild und Raum zueinander.

Milan Grygar  (Foto: Miroslav Krupička)
Die Verbindung von Bild, Raum und Klang charakterisiert das Werk von Milan Grygar. Auch andere Künstler arbeiten mit Klängen, sie nutzen diese meist aber nur als Begleitung zu ihren Installationen. Bei Grygar bildet der Klang eine Einheit mit dem Bild und erweiterte Dimension. Bei der Vernissage seiner Ausstellung erläuterte Grygar gegenüber dem Tschechischen Rundfunk:

„Die Einbeziehung des Klangs war eine Frage der weltweiten Kunstentwicklung. Ich habe mich bemüht, mit dieser Entwicklung irgendwie Schritt zu halten. Das war der wichtigste Impuls.“

Foto: Miroslav Krupička
Sehr wichtig sei der Rhythmus. Der Rhythmus in der Musik und der Rhythmus in der bildenden Kunst seien gleich, sie hätten dieselbe Dimension, meint der Künstler. Grygar stellt den Klang aber nicht mit Instrumenten her, sondern zum Beispiel mit einem Stück Holz, mit Draht, einer Blechschachtel oder einem mechanischen Spielzeug. Dabei lässt er sich von den Geräuschen im Alltag inspirieren, wie etwa Vogelgesang oder Kindergeschrei. Milan Grygar:

„Es war Anfang der 1960er Jahre. Damals habe ich danach gesucht, die Zeichnung im Klang räumlich widerzuspiegeln. Es dauerte etwa anderthalb Jahre, bis ich den Dreh herausgefunden hatte. Im Rückblick erscheint es sehr einfach, aber die Anfänge waren nicht so leicht. Ich habe viele Zeichnungen gemacht, die der akustischen Zeichnung vorausgingen. Danach kam ich zu dem Schluss, dass das, was wir sehen, und das, was wir hören, eine Einheit bilden, die durch den Rhythmus vereinigt wird. Dieser Rhythmus kann zugleich sowohl mit dem Gehör als auch mit den Augen wahrgenommen werden. Das war der Anfang meiner akustischen Zeichnungen.“

Hana Larvová  (Foto: ČT24)
Die Kunsthistorikerin und Kuratorin der aktuellen Ausstellung, Hana Larvová, bezeichnet das Schaffen von Milan Grygar als einzigartig in der tschechischen Kunst:

„Sein Werk entzieht sich allen hierzulande etablierten Kategorien und kann nicht mit ihnen koexistieren. Es räsoniert eher die westeuropäische Kunst als die einheimische Szene. Ein wichtiger Moment war, dass Milan Grygar Mitte der 1960er Jahre den Klang und dessen Raum in sein Schaffen einbezog. Seitdem ist der Klang ein untrennbarer Teil aller seiner Werke – von akustischen Zeichnungen, über Zeichnungen, gezeichnete Partituren bis zu Objekten sowie den aktuellsten Sachen, die eben (auch) in der laufenden Ausstellung zu sehen sind. Sie heißen 'Antiphonen', wobei der Name andeutet, dass sie etwas mit dem Klang zu tun haben.“

Foto: Miroslav Krupička
Die Ausstellung „Akustisches und Visuelles“ in der Prager Stadtgalerie zeigt die wichtigsten Themenbereiche, an denen Grygar in den letzten 50 Jahren gearbeitet hat. Die Namen der Zyklen verweisen in der Regel auf den Klang. Man sieht „Tonplastische Zeichnungen“ aus den 1970er Jahren und „Lineare Partituren“ aus den 1980ern, die an die Aufzeichnung von Klangwellen erinnern. Die 1990er Jahre sind mit dem Bereich „Polemiken über das Quadrat“ vertreten. Es sind quadratische Bilder, wobei eine Gerade die schwarze Unterlage durchschneidet. Den größten Teil der Ausstellung bilden aber die bereits genannten „Antiphonen“, die Grygar seit der Mitte der 1990er Jahre schafft. Dafür malt er große farbige Bilder:

Foto: Miroslav Krupička
„Was kann man über die Farbe sagen? Sie ist für die Malerei wichtig, jede Farbe hat eine andere Ausstrahlung. Die Arbeit mit der Farbe ist für mich von großer Bedeutung. Mittels einer Analogie wird auch der Klang durch die Farbe dargestellt. Die Farbe hat ihre Wirkung, genauso wie der Klang in der Musik. Das Ausdrucksmittel ist also die Farbe.“

Geometrische Formen sind ein weiteres charakteristisches Motiv dieser Bilder:

Foto: Miroslav Krupička
„Auf einem Gemälde gibt es ein Quadrat, das von einem Kreis umschlossen wird. Es geht um die Konfrontierung des Quadrats und des Kreises, sie ist grundlegend für dieses Bild.“

Die Bilder erinnern an Werke der tschechischen Vertreter des Konkretismus aus den 1960er Jahren, Grygar gehört auch derselben Generation wie sie an. Er wurde 1926 geboren und studierte an der Prager Hochschule für Kunstgewerbe Umprum. In den 50er Jahren malte er figurative Bilder, in den 60er Jahren wechselte er aber zur abstrakten Kunst. 1965 entstanden seine ersten akustischen Tusche-Zeichnungen, die er mit einem Stück Holz oder einem Schilfrohr auf Papier auftrug. Seitdem ist der Klang ununterbrochen im Werk von Grygar präsent. Ab den 80er Jahren schuf Grygar sogenannte Schwarz-Bilder: Sie sind nicht nur zweidimensional, sondern können auch ertastet werden, sind also dreidimensional.

Foto: Archiv der Städtischen Galerie in Prag
Seit den 60er Jahren stellt Grygar im In- und Ausland aus. Seine tonplastischen und akustischen Bilder, die so genannten Partituren, haben auch Musiker und Komponisten dazu inspiriert, die Werke des Malers musikalisch zu gestalten. Von besonderer Bedeutung war die Zusammenarbeit mit dem tschechischen Agon Orchestra.

„Diese Partituren sind eine besondere Sache. Sie dienen als Vorlage für Musikimprovisationen. Die Musiker interpretieren nach meiner Vorlage ein Musikwerk.“

Foto: Archiv der Städtischen Galerie in Prag
Vor der Aufführung kommt es aber immer zu einer Debatte mit dem Maler:

„Die Musik entsteht auf dem Grund einer Einigung. Die Musiker interessieren sich dafür, was ich als Maler im Sinn gehabt habe. Jede Partitur geht von einer Idee aus. Es ist wichtig, dass ich diese Idee den Musikern mitteile. Ich gebe ihnen zwar Freiheit, es ist aber keine willkürliche Freiheit. Es bestehen gewisse Einschränkungen, eine gewisse Gesetzmäßigkeit.“

Trotzdem könne jeder Musiker sein Bild unterschiedlich interpretieren. Es gebe nicht dieselben Grenzen wie bei der traditionellen Musik. Das gelte auch für die Lineare Partitur aus dem Jahr 1981:

Foto: Archiv der Städtischen Galerie in Prag
„Die Partitur besteht aus horizontalen Linien. Diese bedecken das ganze Blatt, sie ist von links nach rechts gezeichnet. Die Linie endet auf der rechten Seite mit einer Abweichung in der Farbe und in der Zeichnung, sie geht nach oben, nach unten oder geradeaus. Und der Interpret spielt die Linien auf seine subjektive Weise.“

Für die Interpretation einer anderen Partitur, der Partitur der alten Maschinen, benutzte das Agon Orchestra alte Plattenspieler sowie eine Schreibmaschine. Die Komposition wurde 1994 bei einem Konzert im Agnes-Kloster in Prag aufgeführt und kürzlich im Tschechischen Rundfunk gesendet.

„Diese Partitur entstand auf Grundlage einer Illustration aus einem alten deutschen Buch über Maschinen. Ich habe einige Elemente daraus genommen, verschiedene Walzen, Pendel und Apparate, die ich in Form einer Collage in ein Notenheft übertragen habe. So habe ich den musikalischen Klang geschaffen. Die musikalische Freiheit ist dabei groß, sie beruht auf der subjektiven Herangehensweise der Musiker. Der Zauber der Sache liegt auch darin, dass es sich um ein multimediales Werk handelt, das Buch beziehungsweise die Buchillustrationen werden auf eine Wand projiziert. Der Zuhörer kann so das Visuelle und die Akustik miteinander vergleichen.“

Foto: Miroslav Krupička
„Visuelles und Akustisches“

17. 12. 2014 – 5. 4. 2015

Městská knihovna (Stadtbibliothek), 2. Etage

Mariánské náměstí 1, Praha 1

Di-So 10.00–18.00