„Der Leichenverbrenner“ aus Prag auf der Bühne in Wien
„Der Leichenverbrenner“ (Spalovač mrtvol) ist eine psychologische Horror-Novelle über einen Angestellten des Prager Krematoriums. Karel Kopfrkingl ist ein vorbildlicher Vater und Ehemann. Er liebt seine Familie und seine Arbeit. Durch den Einfluss des Nationalsozialismus, aber auch wegen seines Interesses an orientalischer Philosophie tauchen bei ihm in den späten 1930er Jahre manischen Visionen auf. Zunehmend plagt ihn die Frage, ob er wirklich genug Arbeit zum Schutz der Gesellschaft leistet. Er ermordet seine Familie, wobei er glaubt, dass ihr Tod ihn reinigen könnte. Der Regisseur Nikolaus Habjan hat diesen psychologischen Horror-Text von Ladislav Fuks nun am Wiener Burgtheater inszeniert, in der Dramatisierung des österreichischen Autors Franzobel. Ein Gespräch mit Regisseur Habjan.
„Der Leichenverbrenner“ ist eine Novelle des tschechischen Autors Ladislav Fuks, geschrieben 1967. Nun wird eine Dramatisierung dieses Prosastücks auf die Bühne des Burgtheaters in Wien gebracht. Herr Habjan, warum haben Sie sich entschieden, den „Leichenverbrenner“ aufzuführen?
„Ich habe das Buch relativ früh kennengelernt, als Jugendlicher. Mich hat das immer sehr fasziniert. Ich kenne auch die Verfilmung von Juraj Herz, die ganz großartig ist. Schon lange hatte ich den Wunsch, diesen Stoff auf die Theaterbühne zu bringen. Ich habe das vorher schon in einem anderen Theater versucht, aber dort hat man nicht an diesen Stoff geglaubt. Deswegen bin ich umso glücklicher, dass die Dramaturgieabteilung und der Intendant im Burgtheater mir ganz vertraut haben. Ich glaube, dass dieser Stoff uns in der jetzigen Zeit sehr viel gibt und auch sehr viele Denkanstöße auslöst.“
Was ist Ihrer Meinung nach an diesem Stoff heute aktuell?
„Das sind eigentlich Nebenfiguren, die im Roman aber sehr wichtig und präsent sind. Da ist das Paar, das immer wieder vorkommt. Sie hat immer Todesahnungen, sieht tausende Tote und Horrorvisionen, und er macht das lächerlich. Das ist für mich eine klare Zeichnung unserer jetzigen Zeit. Wir hören so viel Unterschiedliches. Wir haben den ‚Leichenverbrenner‘ geprobt, kurz bevor Corona ausgebrochen ist, kurz bevor die ganzen Lockdown-Maßnahmen passiert sind. Während wir geprobt haben, ist es mir bei so vielen Dingen so gegangen: Die einen sagen, Trump sei furchtbar, die anderen sagen nein, er sei doch gut. Dieses Paar bildet die Gesellschaft ab. Die einen sagen, es werde schrecklich, die anderen sagen, es seien Fake-News. Es gibt zwei oder mehrere Stimmen, und in der Mitte steht der Karel Kopfrkingl. Wir sehen den Prozess, so wie er immer weiter seinen Weg geht, der vollkommen logisch erscheint. Wir denken, wir verändern uns nicht, aber es verändert sich alles rasend schnell. Bevor wir die Veränderung wahrgenommen haben, hat sie schon weitere Auswirkungen.“
Inwieweit ist in Ihrer Interpretation die Hauptfigur, also der Leichenverbrenner Kopfrkingl, und ihre psychische Entwicklung von Bedeutung?
„Er ist ganz wichtig. Das ist die Figur, die die Verbindung zum Publikum aufbaut. Er ist im Grund wie Richard III. – eine Figur, mit der man in einer gewissen Form sympathisiert. Das kabarettistische Moment an dem Stück ist, dass man diese Figur logisch nachvollziehen kann, in allen grausamen Entscheidungen, die sie trifft. Daher ist das Stück auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer so gnadenlos. Wir werden auf diesen Weg mitgenommen und quasi verführt. Das finde ich sehr spannend. Und ebenso spannend ist diese große Frage, die ich bewusst in Zweifel lasse: Wird Herr Kopfrkingl durch das System, durch die Nazis böse? Oder ist er es von Anfang an und kann sich durch das neue System erst entfalten?“
Welche Mittel nutzen Sie, um den Stoff auf der Bühne zu zeigen?
„Die Familie Kopfrkingl habe ich mit Menschen besetzt. Denn diese Familie ist auch für die Hauptfigur das Zentrum. Der ganze Abend spielt aber im großen Raum des Krematoriums. Das sind die zwei großen zentralen Punkte, die diese Figur hat: die Familie und das Krematorium. Alle anderen Figuren, die nicht innerhalb der Familie sind, sind lebensgroße Puppen.“
Das sind die Figuren, die die Handlung irgendwie nach vorne bringen…
„Genau. Das sind Figuren, die nicht Teil der Familie sind und bei denen auch die Interpretation möglich ist, dass sie vielleicht nicht real sind.“
In Tschechien ist weniger die eigentliche Novelle von Fuks bekannt, als die Verfilmung von Juraj Herz. Sie haben gesagt, dass Sie diesen Film auch gesehen haben. Inwieweit hat Sie dies bei der Inszenierung beeinflusst?
„Dieser Film, den ich großartig finde, hat es mir natürlich nicht leichter gemacht, den Stoff auf die Bühne zu bringen. Bei dem Film wird auf spannende Weise der Schnitt gemacht. Eine Szene ist noch gar nicht fertig, wir sind aber schon in die nächste Szene hineingeschmissen. Dieser Zwang, diese Psychose von Kopfrkingl ist filmisch dargestellt. Für mich war daher folgende Frage eine große Herausforderung: Wie kann ich mich auf der einen Seite vom Film distanzieren, aber gleichzeitig auch dessen Aspekte vielleicht für mich nützen, ohne den Film aber auf der Bühne zu kopieren? Ich habe mich entschieden, dass ich die Puppen in eine Art Schwarz-weiß-Ästhetik bringe. Ansonsten haben wir aber versucht, dem Buch treu zu bleiben.“
Im März dieses Jahres stand die Inszenierung kurz vor der Premiere. Wegen der Corona-Pandemie musste der Start jedoch auf Oktober verschoben werden. „Der Leichenverbrenner“ wird aufgeführt auf der Bühne des Akademietheaters des Burgtheaters in Wien. Die nächsten Vorstellungen sind am 15., 20. und 26. Oktober geplant sowie am 4., 5., 10., 11. und 24. November.