Der Philosoph und Preisträger der Havel-Stiftung Konrad Paul Liessmann im Interview
Im März dieses Jahres hielt er einen viel beachteten Vortrag in der zum Bersten gefüllten Aula der Prager Philosophischen Fakultät, viele seiner Essays und Bücher sind inzwischen auch auf Tschechisch erschienen. Besonders hohen Zuspruchs erfreut sich hierzulande wie auch in Deutschland und Österreich sein Buch „Theorie der Unbildung“, in dem er die Uniformisierung und Rationalisierung von Bildung und Wissenschaft heftig kritisiert. Diese Woche nun hat Konrad Paul Liessmann den diesjährigen Preis „Vision 97“ der Stiftung von Dagmar und Václav Havel verliehen bekommen. Radio Prag hat mit dem österreichischen Philosophen, Essayisten und Kulturkritiker gesprochen.
„Ich danke Ihnen.“
Peter Handke hat einmal gesagt, Preise bekomme – ich zitiere – „heutzutage jeder Trottel“, für Karel Schwarzenberg sind Ehrungen und Auszeichnungen wiederum eine lästige Alterserscheinung. Was bedeutet Ihnen denn der Preis?
„Ich würde das nicht so negativ sehen. Es hängt natürlich vom Preis ab. Aber ich finde, gerade im Bereich der Wissenschaft und vor allem auch der Geistes- und Humanwissenschaften sind Preise nicht so häufig. Ich empfinde das schon als Auszeichnung für meine Arbeit, für eine bestimmte Art des Denkens, auch für die Ausstrahlung, die mein Denken, meine Bücher über die Grenzen hinaus erfahren haben. Obwohl ich sowohl Peter Handke als auch Karel Schwarzenberg sehr schätze, kann ich mich in diesem Fall den beiden Herren nicht anschließen.“
Der Preis wird ja traditionell am Geburtstag von Václav Havel verliehen. Er und seine Frau sowie sein Bruder sind auch in der Jury vertreten. Wie ordnen Sie Václav Havel in der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts ein? Über seine politischen Verdienste, die zum Fall des Eisernen Vorhanges beigetragen haben, muss man sich ja heute beinahe nicht mehr unterhalten. Aber welche Bedeutung hat er heutzutage und was hat er in seinen Jahren als tschechischer Präsident Ihrer Meinung nach erreicht?„Ich kann das natürlich nur sehr von außen beurteilen. Ich möchte aber wirklich betonen, dass Václav Havel auch für österreichische Intellektuelle eine ganz wichtige Person ist. Einerseits schon als Dissident und Mitbegründer der Charta 77. Es war ja durchaus so, dass auch in Österreich beziehungsweise im nicht-kommunistischen Machtbereich sehr heftig darüber diskutiert wurde, wie man auch von Seiten der offiziellen Politik mit diesen Dissidenten Kontakt pflegen sollte, ob und wie man sie unterstützen sollte. Es gab ja damals auch wenige, die in den spätern Siebzigern und den Achtzigerjahren geglaubt hätten, dass es gelingen könnte, dieses kommunistische Regime auf eine friedliche Art und Weise zu Fall zu bringen. Und das zweite, wofür Václav Havel für mich und für viele meiner Kollegen steht, ist dieser Versuch, einen Traum – nennen wir es einmal einen Traum – zu realisieren, nämlich, dass Politik nicht von professionellen Politikern gemacht werden muss, auch nicht von Menschen, die aus den ursprünglichen Zentren der Macht kommen, zum Beispiel aus der Wirtschaft oder dem Militär, sondern, dass Politik auch aus einem Bereich kommen kann und vielleicht sogar entscheidende Anstöße aus einer Sphäre bekommen kann, die man normalerweise nur als Kunde und nicht als Gestalter der Politik sieht, nämlich aus dem Bereich der Kultur, aus dem Bereich der Literatur. Und ich denke, dass das eine Symbolwirkung hatte, die vielleicht sogar im Ausland stärker wahrgenommen wurde, als in der Tschechischen Republik selbst. Das kann ich jetzt schwer beurteilen. Aber das waren schon starke Momente, an die ich mich bis heute zurückerinnere: Diese Bilder des Dichters und ehemaligen Dissidenten, der es jetzt in die Prager Burg bis zum Präsidenten gebracht hat. Man muss allerdings auch sagen, dass die Entwicklung der weiteren Jahre natürlich dieses Bild, ich würde nicht sagen getrübt hat, aber schon gezeigt hat, dass auch in Osteuropa, in den Ländern, in denen der Kommunismus abgeschüttelt werden konnte, dann so etwas wie eine Normalisierung eingetreten ist. Dass die klassischen politischen Kräfte, nationale Kräfte, ökonomische Kräfte die Oberhand gewonnen haben. Aber ich denke, das ist kein Grund, nicht darüber nachzudenken, dass auch diese Politik Mitsprache braucht von Bürgern, von Autoren, von Schriftstellern, von Intellektuellen, die unserem gesellschaftlichen Prozess vielleicht doch die entscheidenden Impulse geben können.“Wir müssen beide in unseren Ländern nicht sehr weit um uns blicken, um festzustellen, dass Václav Havel die absolute Ausnahme war als Intellektueller, als Schriftsteller, als Dramatiker in der Politik. Warum ist das Ihrer Meinung nach so und wie kann man da vielleicht in Zukunft gegensteuern?
„Ich weiß gar nicht, ob es wünschenswert wäre, dass überall Schriftsteller regieren. Ich glaube, dass Václav Havel aus vielerlei Gründen wirklich eine Ausnahme war. Man muss schon auch, glaube ich, sehr viele Fähigkeiten und auch die entsprechende Charakterstärke, das Durchhaltevermögen, die Konsequenz und auch ein bestimmtes politische Talent mitbringen, um dieses Amt dann erfüllen und diese politische Kraft entwickeln zu können. Aber es ist schon bedauerlich, dass die hier, vor allem in der Tschechischen Republik aufgezeigte Möglichkeit wenigstens eines konstruktiven Dialogs zwischen Intellektuellen, Schriftstellern, Künstlern und politischen Kräften…, dass das gegenwärtig oder in den letzten Jahren fast nirgendwo stattfindet. Auch in Österreich wird jetzt darüber geklagt, dass der Einfluss und die Bereitschaft der Intellektuellen sich auch nur in politische Diskurse einzumischen, sehr, sehr stark zurückgegangen ist. Keine Rede davon, dass es Quereinsteiger aus diesem Bereich gäbe. Das hat wohl auch damit zu tun, dass das politische Engagement von Intellektuellen insgesamt vielleicht nicht mehr erfordert ist oder nicht wahrgenommen wird. Und darüber müsste man nachdenken.“
Zurück zu Ihnen, Herr Professor Liessmann: Sie waren im März dieses Jahres in Prag, auf Einladung der Akademie der Wissenschaften und der Karlsuniversität. Dort haben Sie auf sehr historischem Boden, nämlich in der Aula der Philosophischen Fakultät, einen Vortrag gehalten. Der Hörsaal war so voll, dass man kaum mehr hinein konnte. Warum sind Sie denn gerade in Tschechien so beliebt?„Ich muss ehrlich gestehen, das ist mir selbst ein wenig ein Rätsel. Ich kann hier auch nur mutmaßen und mich nur auf das beziehen, was meine Kollegen in Tschechien mir erzählen. Es sind insgesamt vier Bücher von mir auf Tschechisch erschienen. Das schafft natürlich eine gewisse Möglichkeit, sich mit mir und meinen Thesen auseinanderzusetzen. Und dann dürfte es wohl so sein, das vor allem die „Theorie der Unbildung“ ein Buch war oder ist, das bis zu einem gewissen Grad auch den Nerv der Zeit oder zumindest ein sehr sensibles Thema getroffen hat. Dieses Buch war ja auch in Österreich und Deutschland ein sehr großer Erfolg. Und sehr viele Kollegen, sowohl Studenten als auch Professoren, haben mir gesagt, das Befreiende dieses Buches war einfach, dass etwas ausgesprochen wurde, was unter der Hand sehr viele denken, aber sich nicht zu sagen trauen. Es könnte sein, dass das auch auf die Verhältnisse hier in Tschechien zutrifft.“
Eine Frage zur aktuellen Situation in Tschechien, die Sie ja sicher ein wenig verfolgt haben und worüber Sie sich mit Ihren Kollegen austauschen konnten: Liegt Tschechien mit seiner Wissenschafts- und Bildungspolitik im europäischen Trend oder ist es vielleicht ein wenig eine Ausnahme? Immerhin gibt es wie überall auch hierzulande eine Streichorgie im Staatshaushalt, das Wissenschaftsbudget ist dabei aber als einziges verschont geblieben.„Da gehört Tschechien, zumindest auf dieser rein budgetären Ebene, zu den beneidenswerten Ausnahmen. Es gibt ja nur noch die Bundesrepublik Deutschland, wo man überlegt und unter diesem Spardruck versucht, bei Bildung und Wissenschaft nicht zu streichen. In Österreich ist das nicht der Fall. Dort wird im Bildungssektor meines Erachtens viel zu viel eingespart. Ich denke, auch wenn man jetzt nicht mit allen Maßnahmen zur Bildungsreform, zur Universitätsreform, wie auch immer einverstanden sein kann: Es ist ein ganz wichtiges Signal an die Gesellschaft, wenn sie dokumentiert, dass ihr die Bildung, dass ihr Wissenschaft, dass ihr Forschung etwas wert ist. Und dass das jetzt nicht nur unter budgetären oder ökonomischen, unter Kriterien der Effizienz gesehen wird, sondern dass einem klar ist, dass es da in gewissem Maße um mehr geht, nämlich um die Förderung von Kreativität und Neugier. Dass es auch um die Förderung der Entwicklung eines demokratischen Bewusstseins im Bildungsbereich geht, um eine Eröffnung von Chancen, die letztlich über unsere Zukunft entscheiden werden.“