Der Tschechenigel: Die Geschichte einer Panzersperre und ihres Erfinders

Tschechenigel

Zweiter Weltkrieg, Berliner Mauer, russische Invasion in der Ukraine – bei fast allen Kriegen und Konflikten der letzten fast hundert Jahre war ein Gegenstand immer dabei: der Tschechenigel. Hinter der Erfindung dieser Panzersperre steht – wie sollte es anders sein – ein Tscheche. František Kašík erfand in den 1930er Jahren die erste Version der Barriere, ursprünglich zum Schutz vor Nazi-Deutschland. Seine Entwicklung wird bis heute auf allen Kontinenten der Erde eingesetzt.

Gesehen hat ihn wohl jeder schon einmal: den Tschechenigel. Eine simple Panzersperre aus drei vernieteten oder verschweißten Stahlpfosten, die rund zwei Meter lang sind und kreuzweise miteinander verbunden werden. „Panzerigel“ oder „Stahlspinne“ werden die Hindernisse auch genannt, auf Tschechisch werden sie meist als „rozsocháč“ bezeichnet. Sehen kann man den Tschechenigel in alten Kasernen, in den Nachrichten, nicht zuletzt auch in Filmen, so etwa im James-Bond-Streifen „Stirb an einem anderen Tag“, in dem die Panzersperre die Drohkulisse an der nordkoreanischen Grenze illustriert.

Aber auch in der Realität ist das Hindernis zahlreich anzutreffen, etwa auf der Prager Burg. Die Barriere hindert dort ungewollte Fahrzeuge am Eindringen – wie lange das noch so sein soll, ist allerdings unklar, denn Staatspräsident Petr Pavel hatte nach seiner Amtseinführung angekündigt, bald hydraulische Straßenpoller anbringen zu wollen.

Begegnen kann man dem Tschechenigel also vielerorts – und das auch im Militärtechnischen Museum im mittelböhmischen Lešany. Jan Fedosejev ist einer der Kuratoren der dortigen Ausstellung. Und er weiß, warum der Tschechenigel „Tschechenigel“ heißt. Wenig überraschend steht ein Tscheche hinter dem Objekt…

„Die Idee stammt von František Kašík. 1935 begann er, in der neugegründeten Direktion der Befestigungsanlagen zu arbeiten. Die Aufgabe der Behörde war damals der Ausbau von Feldbefestigungen entlang der tschechoslowakischen Grenze. Gebaut werden sollten sie an den Grenzen zu den Nachbarstaaten, zu denen die Tschechoslowakei nicht gerade innige diplomatische Beziehungen pflegte. Das war zunächst Deutschland, später dann auch Österreich sowie Polen und Ungarn.“

Tschechenigel vor der Prager Burg | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Entwickelt zum Schutz vor Nazi-Deutschland

„Tschechoslowakischer Wall“ wird dieses Projekt heute genannt. Die Festigungsanlagen bestanden aus Bunkern und Schießscharten, Panzerglocken und sogenannten Drachenzähnen, also einer Höckerlinie aus Betonspitzen. Und geschützt wurde all das auch durch den Tschechenigel.

„Dessen Produktion begann 1937 und 1938. Die genauen Zahlen sind unbekannt, aber man geht davon aus, dass 150.000 bis 200.000 dieser Panzersperren hergestellt wurden.“

Einige der Objekte stehen heute in Lešany im Museum. Jan Fedosejev tritt an die Reihe der Igel heran, die im Freien vor einem historischen Bunker aufgestellt sind. An einem Exemplar schildert er den Aufbau:

Jan Fedosejev | Foto: Archiv von Jan Fedosejev

„Ein Träger hatte eine Länge von 1,80 Metern. An jedem wurde ein Stützblech befestigt, über das die einzelnen Stahlelemente verbunden und verschraubt wurden.“

Zusammengebaut war der Tschechenigel dann ein wirksames Mittel, um Fahrzeuge aufzuhalten:

„Es ist ganz gleich, wie herum man den Tschechenigel gedreht hat – er erfüllte stets seine Funktion. Wenn man die Barriere mit Artilleriegeschützen beschossen hätte, wäre sie vielleicht kurz nach oben gesprungen, sie blieb aber immer stabil.“

Die Igel wurden dabei einzeln eingesetzt, mitunter aber auch miteinander verbunden und in mehreren Reihen hintereinander aufgebaut. Obwohl ein einzelner Igel eher unscheinbar wirke – Fahrzeuge habe er effektiv aufhalten können, meint Oberstleutnant Fedosejev:

Tschechenigel | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Gegen gepanzerte Fahrzeuge funktionierte die Barriere damals sehr gut – diese hatten keine Chance, den entsprechenden Weg zu passieren. Schwere Panzer konnten zwar womöglich auf die Barrikade hinauffahren, dann wären sie aber vielleicht in der Luft hängen geblieben, oder der Igel hätte von unten durch die Karosserie hindurchgestochen.“

Die Erfindung eines tschechoslowakischen Legionärs

Eine ausgeklügelte Erfindung, dieser Tschechenigel. Aber wer war dieser František Kašík, der hinter der Idee stand?

„Seine Militärkarriere begann damit, dass er 1914 in die österreichisch-ungarische Armee einberufen wurde. Er diente dort als Artilleriesoldat. Später wurde er in die Festung Przemyśl verlegt. Dort beteiligte er sich an der Verteidigung der Anlage gegen die Armee des russischen Zarenreichs.“

Tschechenigel | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Die Russen nehmen die Festung Przemyśl 1915 jedoch ein. Kašík gerät in russische Kriegsgefangenschaft – genauso wie über 100.000 weitere Soldaten. Im Feindesland schließt sich der Artillerist den tschechoslowakischen Legionen an und kämpft in Sibirien, wo die Tschechen und Slowaken die Transsibirische Eisenbahn unter ihre Kontrolle bringen. Von Russland aus tritt František Kašík schließlich die langwierige und beschwerliche Rückreise an, wie auch seine Kameraden.

„1920 kehrte er in die Tschechoslowakei zurück. Kašík war weiter in der Armee aktiv, zunächst beim Kommando für Böhmen in Prag. Anschließend wurde er unter anderem damit beauftragt, den Bau einer Munitionsfabrik im ostböhmischen Polička zu überwachen. 1935 dann wurde er eben in die Direktion der Befestigungsanlagen berufen.“

Die Inspiration für den Tschechenigel, der dort entstand, sei vermutlich der Spanische Reiter gewesen, eine seit dem Mittelalter bekannte Holzbarriere, meint Fedosejev. František Kašík habe dabei auch noch andere Ideen in die Armee eingebracht.

Tschechenigel | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Er gab den Impuls zu weiteren Innovationen. So war er etwa an der Innengestaltung von Bunkern und Festungen beteiligt. Aber seine Panzersperre war natürlich die bedeutendste Erfindung mit dem größten Erfolg.“

Die Stahlspinne wurde dabei von der Armee immer weiterentwickelt. Die Balkenelemente verlängerte man auf 2,10 Meter. Es wurde ein besserer Stahl verwendet. Die Aussparungen zur Aufnahme des Stacheldrahtes wurden verkleinert, so dass die Trägerelemente nicht mehr abbrechen konnten. Zudem versah man die Enden der Stahlelemente mit Füßen, damit der Igel nicht in der Erde versank.

Doch, es kam alles anders. 1939 besetzt Hitler-Deutschland Böhmen und Mähren.

„Die Wehrmacht probierte diese Panzersperren dann aus – und übernahm sie mit Erfolg für die eigene Armee. Eingesetzt wurden sie an der Ostfront, aber auch am Atlantikwall. So kam der Tschechenigel im Jahr 1944 etwa an den Stränden in der Normandie zum Einsatz.“

Die Wehrmacht übernimmt Kašíks Erfindung

František Kašík ist bereits 1938 aus der Armee entlassen worden und hat sich dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten angeschlossen. Dass seine Erfindung von den Nazis verwendet wird – für ihn ein herber Schicksalsschlag…

Tschechenigel | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Für ihn war wirklich schlimm, dass seine Entwicklung nun im großen Stil von der gegnerischen Seite verwendet wurde, gegen die sie eigentlich erdacht worden war“, so Fedosejev.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt František Kašík kurzzeitig in die tschechoslowakische Armee zurück. Vor der Machtübernahme durch die Kommunisten verlässt er sie aber ein für alle Mal. Der findige Ex-Militär arbeitet im Bereich der Denkmalpflege, laut dem Militärhistoriker Eduard Stehlík beteiligt er sich an der Restaurierung der Prager Burg sowie des Theaterbaus Laterna magika. 1969 stirbt František Kašík, 81 Jahre ist er damals alt. Seine Erfindung hat da längst schon ein Eigenleben entwickelt.

„Zur Zeit des Eisernen Vorhangs wurde der Igel im großen Stil an der tschechoslowakischen Grenze zu Österreich und Deutschland verwendet“, sagt Jan Fedosejev.

Verwendung an der Berliner Mauer

Eingesetzt wurde der Tschechenigel zudem von Armeen in der ganzen Welt – auch von der in Ost-Deutschland. So war die Panzersperre aus der Tschechoslowakei ein Teil des Todesstreifens der Berliner Mauer. Zwischen dem elektrischen Grenzsignalzaun und dem zwei Meter breiten Kontrollstreifen, der „K 2“ genannt wurde, wurden die Tschechenigel platziert. Jan Fedosejev hat zwei Exemplare aus der deutschen Hauptstadt in sein Museum in Lešany gebracht. In einer der hintersten Hallen stehen die Igel dort, direkt gegenüber von Panzern und anderem schwerem Gerät:

„Der ursprüngliche Tschechenigel entstand auf Grundlage technischer Zeichnungen, die von Ingenieuren erdacht wurden. Bei diesen Exemplaren sieht man aber deutlich, dass improvisiert wurde. Im Grunde handelt es sich um Eisenbahnschienen, die an drei Punkten miteinander verschweißt wurden. Jeder Igel ist von daher ein Stück weit anders.“

Tschechenigel von der Berliner Mauer | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Ukrainer verteidigen sich mit dem Tschechenigel gegen Russland

Derartige improvisierte Ausführungen des Tschechenigels werden bis heute produziert und verwendet – so etwa in der Ukraine. Ein Video von Radio Free Europe zeigt, wie Freiwillige Anfang März 2022 in Odessa Panzersperren zusammenschweißen, um sich gegen die russische Invasion zu schützen. In Kiew zu Beginn des russischen Angriffskrieges ähnliche Bilder. Die Nachrichtenagentur Reuters etwa berichtete aus dem Werk eines großen Immobilienkonzerns…

„Wir befinden uns hier in der Zentrale einer der größten Development-Firmen Kiews. Wegen des Krieges haben die Arbeiter ihre Produktion umgestellt. Sie helfen unserer Stadt und stellen nun Panzerigel her“, sagte Dmytro Bilotserkovets, Berater des Bürgermeisters von Kiew, Vitali Klitschko. Medienberichten zufolge wurden in der ukrainischen Hauptstadt auch Tschechenigel aus Museen auf die Straßen gebracht, um das Vorrücken russischer Truppen zu verhindern.

Das Militärtechnische Museum in Lešany hat in den Sommermonaten geöffnet – im Juni und September nur an Wochenenden, im Juli und August dienstags bis sonntags. Die diesjährige Museumssaison beginnt am 25. Mai.