Der Tschechische Rudfunk von aussen betrachtet
Liebe Hörerinnen und Hörer, so wie zum Ausklang jeder Woche, haben wir von Radio Prag für Sie auch diesmal eine neue Folge unserer Sendereihe Im Spiegel der Medien vorbereitet, zu der Sie Robert Schuster recht herzlich am Mikrophon begrüsst.
Wie Sie vielleicht bereits der einen oder anderen Sendung von Radio Prag entnommen haben, wird der Tschechische Rundfunk am 18. Mai sein 80-jähriges Bestehen feiern. Aus diesem Anlass haben wir uns entschieden in der heutigen und einer der kommenden Sendungen, die Bezeichnung unserer Sendereihe, also "Im Spiegel der Medien" wörtlich zu nehmen und Kollegen aus anderen Medien bitten, quasi von "aussen" den Tschechischen Rundfunk unter die Lupe zu nehmen und zu beurteilen. Den Anfang macht heute der Blick eines Kollegen von der schreibenden Zunft, nämlich von Jan Potucek von der tschechischen Tageszeitung Lidove noviny. Potucek gestaltet dort seit einigen Jahren allwöchentlich eine Themenseite, die sich mit der tschechischen Medienlandschaft beschäftigt.
Unsere erste Frage an Jan Potucek hängt mit dem Übergang des Tschechischen, bzw. früheren Tschechoslowakischen Rundfunks vom faktischen Monopolanbieter in Sachen Rundfunk vor 1989 zu einer der rund 80 Stationen, die in Tschechien täglich auf Sendung gehen. Hat es der Rundfunk geschafft sich den neuen Bedingungen und vor allem dem Konkurrenzdruck von Seiten der privaten Anbieter anzupassen?
"Bestimmt ist ihm das gelungen, denn sonst hätte der Rundfunk keine so grosse Hörerreichweite. Natürlich ist es auch in Tschechien so, dass kommerzielle Medien eine stärkere Anziehungskraft auf die Hörer ausüben und somit erfolgreicher sind. Aber im Grossen und Ganzen hat der Rundfunk diesen Übergang geschafft und es gelang ihm eine relativ grosse Zahl von Stammhörern zu bilden. Vor allem aber gewährt der Tschechische Rundfunk seinen Hörern einen anderen Service - gemäss seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag. D. h., dort bekommen auch jene Minderheiten-Genres Raum, die von keinem kommerziellen Anbieter angeboten werden."
Insgesamt hat der Tschechische Rundfunk heute sieben Programme, die - wie es Jan Potucek bereits andeutete - das breiteste Spektrum nicht nur an Themen, sondern vor allem an Hörern abdecken. So finden sich unter dem Dach von Ceský rozhlas Stationen, die primär auf Information, bzw. Hintergrundberichte und Publizistik ausgerichtet sind, wie etwa das erste Programm, also Radiozurnal und das sechste Programm, auf dem bis vor kurzem noch die tschechischen Sendungen von Radio Freies Europa ausgestrahlt wurden. Daneben gibt es aber im Rahmen des Rundfunks auch ausgewiesene Spartensender, wie z.B. das dritte Programm Vltava mit dessen Angebot an anspruchsvollen Kulturprogrammen, oder das vierte Programm Praha mit Sendungen für die jüngste und mittlere Hörergeneration.
Laut Jan Potucek entspricht das dem mitteleuropäischen Trend, wie ee im folgenden erläutert:
"Man kann sagen, wenn ich das im Rahmen des gesamten mitteleuropäischen Raums beurteilen sollte, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk dort überall eine herausragende Rolle spielt. Die Leute wissen eben, dass sie sich da auf einen bestimmten Mindeststandard an Information verlassen können und zwar nicht nur dann, wenn es zu irgendwelchen ausserordentlichen Ereignissen kommt. In diesen Fällen können die öffentlich-rechtlichen Radios sofort ihr Programm ändern und etwa mit Sondersendungen den erhöhten Bedarf an Informationen abdecken. So etwas können sich die kommerziellen Sender nur in den wenigsten Fällen leisten. Auf Grund dessen haben also die öffentlich-rechtlichen Radios einen stabilen Hörerstamm und die Sender als solche eine gewisse Sonderstellung in der ganzen Radiolandschaft."
Beurteilt man die vielschichtigen Aktivitäten des Tschechischen Rundfunks, zwingt sich dabei ein direkter Vergleich mit dem zweiten grossen öffentlich-rechtlichen Medium des Landes auf, nämlich dem Tschechischen Fernsehen - Ceská televize (CT). Dabei ist auffallend, dass z.B. in den Nachrichten- und Informationsprogrammen des Rundfunks weitaus weniger der Enthüllungsjournalismus gepflegt wird, als etwa beim Fernsehen. Hängt das vielleicht mit einer bestimmten Tendenz zusammen, bei den Hörern durch allzustark konfrontative Sendungen nicht anecken oder sie gar verlieren zu wollen? Jan Potucek von Lidové noviny sieht jedoch andere Gründe dafür, wenn er meint:
"Ich denke, dass das vor allem mit der Zahl der Mitarbeiter zusammenhängt, weil investigativer Journalismus eine relativ aufwendige Angelegenheit ist, was das Personal anbelangt. Das erfordert Teams, die sich auf bestimmte Sachen voll konzentrieren können und die notwendige Zeit dafür haben. Das ist also nichts für Journalisten in Redaktionen, die tagtäglich ein gewisses Soll an Nachrichten oder Berichten liefern müssen, was eigentlich dem Ist-Zustand in den meisten tschechischen Redaktionen entspricht. Aber dennoch arbeitet gerade das erste Rundfunkprogramm, also Radiozurnal, in diesen Angelegenheiten oft mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen zusammen. Aber der wichtigste Grund, warum Radiozurnal eigentlich wenig Raum für Enthüllungsjournalismus gewährt, ist ganz einfach dessen Sendeschema, dass voll und ganz auf regelmässige, halbstündige Informationen aufgebaut ist. Da gibt es recht wenig Platz für solche Sendungen, die mindestens 15 Minuten oder vielleicht sogar eine halbe Stunde dauern würden."
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen war in den letzten Jahren in einigen Fällen auch eine Art Spielball in der tschechischen Innenpolitik. So wurde z.B. versucht - meistens auf indirektem Wege - bei Ceska televize politischen Einfluss zu nehmen. Oft geschah dies mittels des Fernsehaufsichtsrates, der auch heute noch grösstenteils nach einem parteipolitischen Schlüssel besetzt wird. Um den Rundfunk war es aber in diesem Zusammenhang stets auffallend still. Warum eigentlich? Blieb der Tschechische Rundfunk von diesen Versuchen der politischen Einflussnahme verschont, oder geschah dies dort verdeckter, als beim Fernsehen? Abschliessend kommt noch einmal Jan Potucek von Lidové noviny zu Wort:
"Das ist vor allem dadurch gegeben, dass das Fernsehen populärer ist, als der Rundfunk. Zudem ist die Bilderberichterstattung für Politiker weitaus attraktiver, weil sie sich so besser in Szene setzen können, auch die Reichweite der Fernsehnachrichtensendungen ist eine bedeutend grössere. Es ist bezeichnend, dass man z.B. über die Mitglieder des Fernsehaufsichtsrates alles ausforscht und versucht mögliche Schwachstellen ausfindig zu machen, während das gleiche Gremium, welches den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrolliert ein Schattendasein fristet. Da sieht man eben, dass für die Politiker das Fernsehen absolute Priorität hat, während der Rundfunk eher auf dem zweiten Gleis fährt."
Verehrte Hörerinnen und Hörer, soweit unserer heutiger Medienspiegel. Für Ihr Interesse Bedanken sich und auf ein Wiederhören freuen sich Gerald Schubert und Robert Schuster.