Der Vertrag, der Kommissar, der Klaus und der Havel

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In den tschechischen Zeitungen dieser Woche geht es vor allem um den Lissabon-Vertrag, um EU-Kommissare, um Antidiskriminierung und eine heftige Havel-Ohrfeige für das ganze Land.

Foto: ČTK
Moderator: Fangen wir mit dem Aktuellsten an. In Brüssel findet der wichtige Sommer-Gipfel der Europäischen Union statt, noch einmal unter tschechischem Vorsitz. Wichtig unter anderem deshalb, weil es um das größte Sorgenkind in der EU geht, um Irland und sein zweites Referendum über EU-Reformvertrag von Lissabon. Einen Tag vor Beginn des Gipfels hat sich Präsident Klaus wieder zu Wort gemeldet und zwar mit einem offenen Brief an Premier Fischer. Der war ja schon mit einem Bein in Brüssel.

C.R.: Genau. Es geht ja um die Garantien, die man Irland geben will, damit es ein zweites Referendum über den Vertrag abhält. Die komplizierteste Frage ist: In welcher Form gibt man die Garantien? Und: Werden sie dadurch Bestandteil des Lissabon-Vertrages? Darüber grübelt man in Brüssel nach. Und da setzt Präsident Klaus auch den Hebel an. Wenn die Garantien für Irland rechtlich bindende Wirkung haben sollen, dann handelt es sich um eine Ergänzung des Lissabon-Vertrages. Und dann muss alles von Neuem ratifiziert werden. Und zwar in jedem Land. Eine Horrorvorstellung für die EU; gut für Lissabon-Gegner Klaus. Petr Fischer schreibt in der „Hospodářské Noviny“ unter dem Titel „Ein ausnahmsweise nützlicher Klaus“:

„Der Protest des Präsidenten ist faktisch möglicherweise richtig. Aber rechtlich und politisch schießt er daneben. Václav Klaus gab diese Erklärung ab, obwohl er das alles schon lange vorher wusste. Denn wochenlang schon konnte er lesen, wie sich die Diplomaten sorgfältig bemühen, dass die Garantien für Irland keine neue Ratifizierungslawine auslösen. Übrigens: Das haben sie auch deshalb gemacht, weil sie Klaus´ Reaktion fürchteten. Und so musste er einfach diesen Brief schreiben. Denn sonst hätte er seine europäischen Fans enttäuscht“, so Kommentator Petr Fischer.

Moderator: Das klingt, als wäre das Gerangel um den Lissabon-Vertrag schon zu einem Katz-und-Maus-Spiel geworden, in dem jeder einfach nur noch das macht, was man von ihm erwartet.

C.R.: Ja, den Eindruck kann man gewinnen. Ein anderes Thema hierzulande ist der Posten des künftigen tschechischen EU-Kommissars. Die beiden großen Parteien wollen sich ja mit der Personalie Zeit lassen bis nach den Parlamentswahlen im Herbst. Das sei ein wichtiges Wahlkampfthema. Und unter der Hand gilt der Kommissarsposten auch als Trostpflaster für den Wahlverlierer – Topolánek oder Paroubek. Dieses Pfand will man also noch nicht aus der Hand geben, obwohl man auf den Brüsseler Fluren schon anfängt, zu verhandeln. Ein großer Fehler, wie Adam Černý - ebenso in der „Hospodářské Noviny“ - kommentiert. Er fragt rhetorisch:

„Welches Land, das den EU-Vorsitz inne hat, lässt sich die Chance durch die Lappen gehen, seine Position zu nutzen bei der Besetzung eines Platzes in einer der Schlüsselinstitutionen der Union – nämlich der Kommission?“

Moderator: Die Antwort lautet wohl: Tschechien.


Moderator: Christian, gibt es sonst noch Kommentare zu erwähnen, die mit Brüssel zusammenhängen?

C.R.: Das letzte Stichwort dazu heißt: Antidiskriminierungsgesetz.

Moderator: Vielleicht dazu schnell ein paar Sätze zur langen Vorgeschichte: So ein Gesetz sollte die Tschechische Republik schon bei ihrem Beitritt zur Europäischen Union 2004 verabschieden. Dann gab es jahrelang ein Hin und Her über Inhalt und Form, das Parlament hatte schließlich ein Gesetz verabschiedet und Präsident Klaus hat es mit einem Veto bedacht.

C.R.: Das ging dann soweit, dass die EU seit einiger Zeit schon mit Sanktionen drohte, denn Tschechien war das einzige Land in der Union, das noch kein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet hatte. So viel zur Vorgeschichte. Am Mittwoch hat dann das Parlament endgültig das präsidiale Veto überstimmt und das Problem ist damit aus der Welt geschaffen. Kommentator Petr Uhl räumt in der druckfrischen „Právo“ mit einem Vorurteil auf.

„Es ist nicht richtig – wie man häufig behauptet – dass das Gesetz irgendeine Vorschrift der EU ist. Sie hat nur die Grundsätze festgelegt und beschlossen. Die Staaten haben sich freiwillig verpflichtet, dass sie ein eigenes Gesetz verabschieden werden. Der Eindruck, dass uns die EU wieder etwas aufzwingt, unsere Souveränität einschränkt – in diesem Falle die Freiheit jemanden zu diskriminieren – dieser Eindruck ist falsch.“ Meint Kommentator Petr Uhl und liefert auch gleich eine Begründung, warum der ganze Prozess in Tschechien so lange gedauert hat. Er schreibt:

„Seit den 60er Jahren hat Westeuropa eine antiautoritäre Entwicklung durchlaufen. Sie veränderte innerhalb von zwei, drei Jahrzehnten die Haltung der Öffentlichkeit gegenüber Frauen, Kindern, Ausländern, Behinderten oder Homosexuellen. Diese Einflüsse waren bei uns nur eine Randerscheinung und nach August 1968 waren sie fast überhaupt nicht mehr spürbar. Wir befanden uns in kultureller Isolation. Auch deshalb ist Tschechien das letzte Land in der EU, das – durch eine Überstimmung des Präsidenten - ein Diskriminierungsverbot verabschiedet hat.“

Moderator: Christian, kann es sein, dass alles immer irgendwie bei Klaus endet? - Ob das der Lissabon-Vertrag ist oder das Antidiskriminierungsgesetz?

C.R.: Ein bisschen ist das so. Im Zusammenhang mit dem Präsidentenamt müssten wir vielleicht noch auf ein Ereignis eingehen, das sozusagen die gesamte tschechische Gesellschaft betrifft. Ex-Präsident Havel hat sich nämlich wieder zu Wort gemeldet und zwar in einem Interview mit der Presseagentur Bloomberg. Havel beschrieb Tschechien wie folgt: Ein Land mit korrupten Politkern, ein Land, in dem aus Schiebern und Mafiosi Milliardäre wurde, ein Land, in dem man Konsumtempel baut, ein Land, das völlig atheistisch ist. Starker Tobak also. Und den greift Martin Komárek in der „Mladá Fronta Dnes“ auf. Er fragt: „Entspricht dieses deprimierende Bild der Wahrheit?“ Und antwortet selbst:

„Zweifelsohne ja. Ganz sicher würden das die Wähler der Kommunisten, der Sozialdemokraten, der rechtsextremen Nationalpartei und der rechtsradikalen Arbeiterpartei unterschreiben. Manche mit drei Kreuzen. Václav Havel war ein genialer Kritiker der Verhältnisse in der totalitären Tschechoslowakei. Wenn er aber in dieser Weise auch die Verhältnisse im demokratischen Tschechien scharf kritisiert, dann zeigt dies, dass Havel seine vergangenen 20 Jahre als Enttäuschung empfindet. Neben Václav Klaus war er es nämlich, der entscheidenden Einfluss darauf hatte, wie dieser ´Postkommunismus´, über den er spricht, sein wird.“

Soweit also Martin Komárek in der aktuellen „Mladá Fronta Dnes“. Und das war dann auch für heute von mir.

Moderator: Christian Rühmkorf präsentierte Ihnen die Pressestimmen dieser Woche. Vielen Dank!