„Der Weise von Franzensbad“: Arzt und Medizinschriftsteller Josef Löbel

Josef Löbel mit seinen Söhnen Peter und Karl (Foto aus dem Buch „Dr. Josef Löbel (1882-1942), Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien-Berlin-Prag“)

Die populärmedizinischen Texte von Josef Löbel wurden in 16 Sprachen übersetzt. Sein Schriftstellerfreund Josef Roth hat ihn in seinem Roman „Radetzkymarsch“ als Doktor Skowronnek verewigt. In den 1930er Jahren wurde Löbel wegen seiner jüdischen Herkunft aus Deutschland verbannt und fand in der Tschechoslowakei Zuflucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet er völlig in Vergessenheit – niemand fühlte sich mehr zuständig für den Schriftstellerarzt, der zwischen Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei pendelte.

Josef Löbel um 1930  (Foto aus dem Buch „Dr. Josef Löbel  (1882-1942),  Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien-Berlin-Prag“)

„Löbel nahm den typischen Weg eines Intellektuellen im mitteleuropäischen Kulturraum. Er oszillierte ständig zwischen Wien, Prag und Berlin. Es war eine Achse. Der Schwerpunkt war geographisch sicherlich in Wien, Wien war vorrangig seine Heimat.“

Soweit der deutsche Medizinhistoriker Peter Voswinckel. Er hat in seinem Buch „Dr. Josef Löbel. (1882-1942), Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien – Berlin – Prag“ die Biographie des Arztes und Autors von dessen Wiege in Siebenbürgen bis zum Tod in Prag dargestellt.

Josef Löbel stammte aus Kronstadt. Dort wurde er 1882 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Michael Löbel und seiner Frau Adele geboren. Am Kronstädter Gymnasium legte er sein Abitur ab und studierte dann  in Wien Medizin. Nach seiner Promotion zum Doktor der Medizin führte er eine Praxis in Bratislava / Pressburg. Dort heiratete er 1909 Leontine Glücklich aus Wien, mit der er zwei Söhne hatte. Peter Voswinckel fährt fort:

Foto aus dem Buch „Dr. Josef Löbel  (1882-1942),  Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien-Berlin-Prag“

„Ab 1910 finden wir ihn in den Sommermonaten als Badearzt in Franzensbad. Also ist er gependelt: in den zwei bis drei Sommermonaten Franzensbad, im Winter in Berlin und zwischenzeitlich immer wieder Besuche bei seiner Mutter in Wien. 1933 musste er Berlin verlassen, 1938 auch Wien, und seine letzten vier Lebensjahre verbrachte er in Prag.“

Frauenarzt in Franzensbad

Eigentlich führte Löbel ein Doppelleben. Während der Sommermonate praktizierte er als Frauenarzt im westböhmischen Kurort Františkovy Lázně /  Franzensbad, im Winter lebte er als Journalist und Schriftsteller in Berlin. Wie war es möglich, diese beiden Berufe zu verbinden?

Franzensbad  (Quelle: CC0)

„Ich glaube, das war gar nicht so selten. Man muss sich vorstellen, Franzensbad war ein relativ kleiner Ort, hatte etwa 2500 Einwohner. In den Sommermonaten waren dort Zehntausende von Patienten aus aller Welt, und vor Ort praktizierten  51 Badeärzte. Natürlich konnten im Winter nicht alle  dort arbeiten. Offenbar war diese Tätigkeit während der Sommermonate für Josef Löbel so einträglich, dass er eine finanzielle Basis hatte, um den Winter mit der Familie in Berlin zu verbringen. Die Einnahmen aus seinen Zeitungs- und Feuilletonartikeln und später durch seine Bücher schufen eine gute Ausgangslage, um dieses Programm einzuhalten.“

In der deutschen Hauptstadt setzte sich Löbel als Schriftsteller und Feuilletonist durch.

Foto aus dem Buch „Dr. Josef Löbel  (1882-1942),  Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien-Berlin-Prag“

„Er versuchte, die naturwissenschaftlichen, vor allem medizinischen Erkenntnisse einem Laienpublikum zu vermitteln. Und das machte er sehr unterhaltsam. Das war damals durchaus neu und modern. Es gab viele große Entdeckungen am Anfang des 20. Jahrhunderts, wie etwa des Insulins und der Hormone. Seine Zeitungsartikel hatten meistens einen witzigen, eine leichte und heitere Stimmung. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum man ihn als Autor für die erste Ausgabe des ‚Knaurs Gesundheitslexikons‘ wählte. Für den Knaur-Verlag war das ein großer Erfolg, leider aber nicht für Löbel. Das Buch wurde ihm dann sozusagen entrissen und wurde arisiert. ‚Knaurs Gesundheitslexikon‘ wurde seit den 1940er Jahren bis zum Jahr 2005 immer wieder neu aufgelegt. In allen diesen über 50 Auflagen ist der Name Josef Löbel allerdings nicht erwähnt. Das machte für mich nun das Lebenswerk von Löbel so interessant. Ich wollte unbedingt wissen, wer ist dieser Löbel gewesen und was  aus ihm geworden ist.“

Foto aus dem Buch „Dr. Josef Löbel  (1882-1942),  Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien-Berlin-Prag“

Das war der Anfang einer Forschung, die mehrere Jahrzehnte dauerte. Josef Löbel hat mehrere Hundert Zeitungs-, Illustrierten- und Feuilletonartikel veröffentlicht. Er widmete sich mannigfaltigen medizinischen Themen und brachte unter anderem die damals noch junge Erforschung  von Krebserkrankungen einem breiten Publikum nahe. Unterzeichnet hat er sich gewöhnlich mit den Worten Löbel – Franzensbad, das war sozusagen sein Markenzeichen. Daneben lieferte er aber auch eigene Buchbeiträge.

„In den 1930er Jahren hat er zum Beispiel Detektivgeschichten aus der Historie der Medizin geschrieben, längere Essays bis hin zu einem Roman über Robert Koch.“

Literat in Berlin

Foto aus dem Buch „Dr. Josef Löbel  (1882-1942),  Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien-Berlin-Prag“

Der Arzt veröffentlichte populärmedizinische Titel wie „Von der Ehe zur Liebe“, „Danke – gut! Fünfzig neue Kapitel optimistischer Medizin“ oder „Dem Manne kann geholfen werden“. Löbels Texte wurden in 16 Sprachen übersetzt. Er war in der Berliner Literatenszene zuhause und wurde zum Freund vieler Schriftsteller, Schauspieler und Künstler:

„An erster Stelle ist natürlich Joseph Roth zu nennen. Doktor Löbel diente ihm als Vorbild für die Figur des Doktor Skowronnek aus dem ‚Radetzkymarsch‘. Hinzu kommt eine ganze Reihe von anderen Journalisten und Feuilletonisten, besonders die Brüder Balder und Rudolf Olden. Löbel muss eine enge Beziehung zu Balder Olden gehabt haben. Dieser war sehr populär in den 1920er und 1930er Jahren und ist später nach Südamerika emigriert. Alle Freunde, die ich hier nenne, sind emigriert, verschwunden oder sogar ermordet worden. In diese Reihe gehören auch Egon Erwin Kisch und Soma Morgenstern, der später in New York lebten. Und dann gibt es noch berühmtere Namen. Löbel ist auch einmal Arthur Schnitzler begegnet, und über Schnitzler ist überliefert, dass er Löbel gelesen hat. Im Falle von Thomas Mann gab es zwar kein persönliches Treffen, aber Mann nannte Löbel immer ‚den Weisen von Franzensbad‘ oder, in einem anderen Zusammenhang, einen ‚heiteren Menschenfreund‘.“

Stolperstein,  Josef Löbel,  Budapester Straße 11,  Berlin-Tiergarten  (Foto: OTFW,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)

1933 ergriffen die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht. Da Löbel jüdischer Herkunft war, wurde das Leben in Berlin für ihn unmöglich. Seine Bücher waren fortan ebenso unerwünscht wie ihr Autor. Das Ehepaar Löbel flüchtete zunächst nach Wien. 1938 zogen sie weiter nach Prag:

„Dieser Entschluss war aus der Not geboren, und zwar relativ früh. Wir wissen, dass Löbel die Stadt Wien im April 1938 verlassen hat. Offenbar war die Stimmung in der Stadt  schon sehr aufgeheizt. Er muss geahnt haben, was sich anbahnte. Und als er 1938 doch noch einmal den Versuch machte, in Franzensbad die Sommermonate zu verbringen, herrschte dort schon eine Pogrom-Stimmung. Noch vor dem Anschluss des sogenannten Sudetenlandes, also vor dem Münchner Abkommen im September, sind fast alle jüdischen Ärzte aus Franzensbad abgereist. Es lag einfach in der Luft. Löbel war darüber sehr deprimiert und niedergeschlagen. In dieser Situation ist er nach Prag gekommen. Diese Entscheidung  hatte auch wirtschaftliche Wurzeln, weil die große Not in den 1920er Jahren, die Inflation, nicht die Tschechoslowakei betraf. Wer hier  Geld verdiente, der war gut gestellt. Löbel war seit 1918 tschechoslowakischer Staatsbürger. Deswegen lag es für ihn wahrscheinlich nahe, nach Prag zu gehen.“

Das Ende in Prag

Josef Löbel: Haben Sie keine Angst  (tschechische Ausgabe). Foto aus dem Buch „Dr. Josef Löbel  (1882-1942),  Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien-Berlin-Prag“

Im Folgenden wohnte das Ehepaar an zwei Adressen in guten Stadtvierteln, Löbel führte aber aller Wahrscheinlichkeit nach keine Praxis. Er hat immer wieder versucht, in Frankreich oder England unterzukommen. Alle Bemühungen um eine Emigration scheiterten allerdings. 1939 wurde auch die Tschechoslowakei von den deutschen Nationalsozialisten besetzt:

„Das Ende war wohl sehr schlimm für ihn. Wir wissen aus vielen anderen Berichten, dass die Maßnahmen gegen die Juden auch in Prag immer weiter verschärft wurden. Dann kam es Anfang 1942 zu dem Abtransport. Offenbar waren beide Eheleute für die Deportation vorgesehen. Aber weil Löbel sich in den letzten Monaten offenbar eine Tuberkulose zugezogen hatte, ist er noch mal zurückgestellt worden. Seine Frau musste allein zur Abholungsstelle gehen. Wir haben später in Berlin einen kleinen, mit Bleistift beschriebenen Zettel aufgefunden, auf dem Löbel schildert,  wie er seine Frau bis zu der Straßenbahnhaltestelle brachte und sie dann Abschied nahmen, in dem vollen Wissen, dass sie sich nicht mehr wiedersehen würden. Ich glaube, von da an hat er sich aufgegeben. Zwei Monate später hat er sich in seiner Wohnung in Prag das Leben genommen. Das war lange nicht bekannt. Bis ins Jahr 2000 wusste man nicht, wann und wo Löbel überhaupt gestorben war.“

Postkarte von Leontine Löbel aus dem KZ Theresienstadt an ihren Mann vom 2. Mai 1942  (Foto aus dem Buch „Dr. Josef Löbel  (1882-1942),  Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien-Berlin-Prag“)

Die Söhne, die zu dieser  Zeit schon in Großbritannien lebten, haben von dem Schicksal der Eltern – dem Suizid ihres Vaters und der Ermordung ihrer Mutter in Auschwitz  – erst nach dem Krieg erfahren.

„Die Söhne konnten sich beide retten. Aber ihr Leben war davon überschattet und geprägt. Sie haben ein traumatisiertes Leben geführt. Das merkt man nicht zuletzt daran, dass sie bis zum Lebensende keinen Kontakt mehr zueinander hatten, obwohl sie beide in England lebten. Beide waren sehr verzweifelt, dass ihre Bemühungen zur Rettung ihrer Eltern gescheitert sind.“

Porträtgemälde gesucht

Totenschein von Josef Löbel  (Foto aus dem Buch „Dr. Josef Löbel  (1882-1942),  Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien-Berlin-Prag“)

Über die Kontakte und Freunde von Löbel in Prag ist nur sehr wenig bekannt, sagt der Historiker:

„Der wichtigste Kontakt war ohne Zweifel der Journalist Emil Faktor, den Löbel noch aus Berlin kannte. Er war seit 1933 beim Prager Tagblatt tätig, bevor er 1942  ebenfalls deportiert wurde. Emil Faktor war ein wichtiger Ansprechpartner, und wir vermuten  das gleiche für andere Kollegen.  Da gab es Harry Klepetař, mit dessen Frau Trude Löbel ein sehr freundschaftliches Verhältnis hatte. Sie war nach unseren bisherigen Kenntnissen die einzige, die bei  seiner  Beisetzung 1942 dabei war.“

Porträtsgemälde von Josef Löbel  (Foto aus dem Buch „Dr. Josef Löbel  (1882-1942),  Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien-Berlin-Prag“)

Soweit Peter Voswinckel über seine Forschungen zu Josef Löbel. Er fügt noch einen persönlichen Wunsch hinzu:

„Ich wünschte, wir würden noch mehr Bekannte Löbels finden. Weil ich nämlich die große Hoffnung habe, dass wir das Gemälde von Josef Löbel, das bis 1942 in seiner Wohnung hing, irgendwo wiederfinden. Vielleicht haben sich seine Freunde oder Nachbarn die Mühe gemacht, das Bild zu retten. Ich gehe davon aus, dass dieses Gemälde von dem ungarischen Maler Artur Halmi angefertigt wurde. Er war nämlich der Trauzeuge von Josef Löbel. 1910 ist er nach Amerika ausgewandert und hat dort große Karriere als Porträtmaler gemacht. Dieses Gemälde zeigt den jungen Doktor Löbel mit Zigarette an einem Tisch sitzend. Vielleicht finden sich  noch Zeugen,  womöglich unter den Hörern dieser Sendung. Das würde mich freuen.“

Foto: Markéta Kachlíková

Der Medizinhistoriker Peter Voswinckel hat die Biographie von Josef Löbel unter Mitwirkung von Gisela Wulff, Susan Drees und Ulrike Zischka in einem Band mit 230 Fotos, Dokumenten und Faksimiles zusammengetragen. Das Buch „Dr. Josef Löbel. (1882-1942), Franzensbad/Berlin. Botschafter eines heiteren deutschen Medizin-Feuilletons in Wien – Berlin – Prag“ wurde 2018 von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie herausgegeben und ist kostenfrei zu beziehen unter:

https://www.dgho.de/publikationen/buecher-zur-dgho-geschichte/dr-josef-loebel